Ausgebremster Autostopp

Berliner Senat hält den Volksentscheid »Berlin autofrei« für unzulässig

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Wieder ist ein weißes Fahrrad aufgetaucht, das an einen tödlich verunglückten Radfahrer erinnert – diesmal am Schlesischen Tor/Ecke Falckensteinstraße, wo ein 71-Jähriger Ende März mit einem Auto kollidierte. Weiße Fahrräder finden sich überall in Berlin und machen deutlich: Autoverkehr kann tödlich sein. Zu den Unfällen kommt die Luftverschmutzung: Berlin lag laut EU-Umweltagentur 2021 hinter allen anderen deutschen Städten. Und nicht zu vergessen die Klimabilanz, die auch für Elektroautos im Vergleich zu öffentlichen Transportmitteln schlecht ausfällt.

Dieser Realität stellt sich die Initiative »Volksentscheid Berlin Autofrei«, die ein partielles Autoverbot innerhalb des Berliner S-Bahnringes anstrebt. In ihrer Vision einer autofreien Stadt gäbe es weiterhin Busse und Feuerwehr sowie Ausnahmen für beispielsweise Menschen mit Behinderung. Ansonsten wäre, abgesehen von 12 Freifahrten im Jahr, eine Sondererlaubnis für private Pkw-Nutzung notwendig.

Am Dienstag wurde der Weg zum Volksentscheid vom Senat allerdings vorläufig versperrt. Denn zum einen hält die Berliner Innenverwaltung den zur Prüfung eingereichten Gesetzesentwurf für unzulässig. Zum anderen empfindet ihn die Verkehrsverwaltung unter Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) als politisch unsozial.

Bereits vergangenen Dienstag hieß es aus der Innenverwaltung, der Gesetzesvorschlag sei »unverhältnismäßig« und stehe im Konflikt mit Artikel 2 des Grundgesetzes, dem Recht auf »freie Entfaltung« der Persönlichkeit. Mit dieser Einschätzung ging der Vorschlag an die Verkehrsverwaltung, die in der Senatssitzung am darauffolgenden Dienstag inhaltlich Stellung bezog. In der Pressekonferenz erklärte Verkehrssenatorin Jarasch, warum ihre Verwaltung den Gesetzesentwurf nicht dem Abgeordnetenhaus zur Übernahme empfiehlt: Auch wenn das Ziel, den Autoverkehr in Berlin zu reduzieren, dasselbe sei, halte man den Fokus auf die 88 Quadratkilometer große Innenstadt für unsozial: »Sämtliche Probleme, die wir momentan mit dem Verkehr haben, würden sich nach außerhalb des S-Bahnringes verlagern«, so Jarasch. Das sei eine Frage der Umweltgerechtigkeit, denn mehr Lärm und Verkehrsbelastung in Randbezirken würde vor allem Niedrigverdiener treffen. Außerdem stehe das Gesetz im Widerspruch zum eigenen »gesamtstädtischen Ansatz« und vergesse die Menschen außerhalb des Ringes. »Wir brauchen autofreie Kieze und grüne Oasen, aber keine autofreie Innenstadt«, betonte Jarasch. Benni Wasmer, Sprecher des Autofrei-Bündnisses, hält Jaraschs Einwände »nd« gegenüber für unbegründet. Der Stadtrand wäre automatisch besser angebunden, würden Busse pünktlich aus der Innenstadt herauskommen und der ÖPNV, wie im Volksbegehren gefordert, weiter ausgebaut. Pendler*innen könnten zudem mit weniger Autoverkehr eher auf das Fahrrad zurückgreifen. »Dadurch würde sich eine Freiheit an Angeboten eröffnen, die es zurzeit nicht gibt.« Zugleich macht Wasmer auf verkehrspolitische Projekte des Senats wie die Pkw-Maut aufmerksam, »die alles andere als sozial gerecht ist«. Er zweifelt an Jaraschs Willen zur ökologischen Verkehrswende: »Wenn Frau Jarasch unsere Ziele wirklich teilen würde, würde sie uns keine Steine in den Weg legen.«

Mehr als die Stellungnahme der Verkehrsverwaltung bremst allerdings die juristische Einschätzung das Volksbegehren aus. Die Initiative muss nun vor das Landesverfassungsgericht. Dieses soll die Verhältnismäßigkeit prüfen. Sprecher Wasmer gibt sich zwar optimistisch: »Keine rechtliche Einschätzung stellte bisher grundsätzliche Einwände fest.« Charlotte Heppner, Doktorandin im Verwaltungsrecht, erkennt in einer juristischen Analyse auf verfassungsblog.de aber durchaus mögliche Angriffsstellen. Nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, auch das Eigentumsrecht und die Berufsfreiheit könnten durch Pkw-Verbote als eingeschränkt gelten. Zugleich macht sie auf die »freiheitssichernden Aspekte der Autoreduzierung« aufmerksam: Mehr Platz für andere Gewerbe, mehr Sicherheit für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen zum Beispiel. Bei einer Abwägung könnte das Gericht zur einen oder anderen Seite neigen.

Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie hält ebenfalls einen Erfolg vor Gericht für möglich. Von insgesamt 35 Volksbegehren in Berlin seien nur fünf wegen Unzulässigkeit gescheitert. »Deswegen sollte man schon abwarten, was das Gericht sagt«, so Wiedmann zu »nd«. So wichtig eine ordentliche Prüfung sei, um Prozesse direkter Demokratie juristisch abzusichern, so problematisch sei die Wartezeit. Mindestens zwölf Monate dürften bis zu einem Urteil vergehen. »Für ein Volksbegehren ist das ärgerlich, denn dadurch geht die Luft raus, die Dynamik.« Wiedmann hält deshalb eine Frist für sinnvoll, damit die Gerichte Volksbegehren nicht nur genau, sondern auch schnell prüfen.

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