- Berlin
- Geflüchtete aus der Ukraine
Schulen in Berlin-Mitte platzen aus allen Nähten
Bezirk nutzt jetzt Räume der Musikschule und eines Jugendclubs, um ukrainische Willkommensklassen einzurichten
Berlins Schulsystem beginnt durch die steigende Zahl ukrainischer Schüler langsam, aber sicher, aus allen Nähten zu platzen. Seit dem Start des russischen Angriffskriegs haben die Schulen nach Angaben der Bildungsverwaltung »bereits weit über 3000« aus der Ukraine geflüchtetete Kinder und Jugendliche aufgenommen – und das wohlgemerkt in einer Stadt, die seit Jahren unter Schulplatz- und Lehrkräftemangel leidet.
Aus Mitte heißt es nun, dass bei den Platzkapazitäten demnächst das Ende der Fahnenstange erreicht sein dürfte. »Wir werden eine Grenze erreichen, danach wird an den allgemeinbildenden Schulen kein Platz mehr sein«, sagt Mittes Schulstadträtin Stefanie Remlinger (Grüne) zu »nd«. Der Bezirk habe inzwischen rund 80 sogenannte Willkommensklassen, davon seien allein 27 in den vergangenen Wochen für ukrainische Geflüchtete eingerichtet worden. Mehr sei kaum machbar. Schon jetzt sind Notlösungen gefragt. »Wir werden am kommenden Montag drei Lerngruppen im Ausweichbau der Musikschule des Bezirks und zwei weitere in einem Jugendclub eröffnen«, sagt Remlinger.
Bei alldem wird erwartet, dass mit dem kommenden Schuljahr die Zahl der ukrainischen Schüler in Berlin noch einmal stark ansteigt, wenn auch jene Kinder und Jugendlichen einen Platz suchen, die bislang beispielsweise digitale Angebote aus der Ukraine genutzt haben. In Mitte etwa sind Remlinger zufolge aktuell jedenfalls noch »deutlich mehr« schulpflichtige Kinder und Jugendliche registriert als in den Schulen unterrichtet werden. »Ich tingele jetzt durch die Jugendclubs, um sukzessive mehr Unterrichtsräume zu finden«, sagt die Grünen-Politikerin, die zugleich klarstellt: »Ich laufe Sturm gegen das Auf-Sicht-Fahren in dieser Frage.«
Tatsächlich hatte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) erst vor wenigen Tagen erklärt, dass Prognosen zur Entwicklung der ukrainischen Schülerzahl schwer möglich seien: »Da bräuchte ich eine Glaskugel.« Es geht auch ohne Glaskugel, findet Remlinger. Wichtig sei es, Szenarien für die kommenden Wochen und Monate zu entwickeln, auch mit Blick auf tendenziell in Beschlag zu nehmende weitere Räumlichkeiten: »Und hier bekenne ich ganz offen: Das schaffe ich als Bezirksstadträtin nicht allein, hier brauche ich Hilfe von der Senatsbildungsverwaltung.«
Die Bildungsverwaltung sieht sich freilich nur bedingt in der Pflicht. »Für die Bereitstellung von Schulplätzen tragen in Berlin grundsätzlich die Schulträger, also die Bezirke, Verantwortung«, sagt Busses Sprecher Martin Klesmann zu »nd«. Selbstverständlich wolle man »hier den Bezirken die bestmögliche Unterstützung zukommen lassen«. So gebe es nicht nur »regelmäßige Runden« mit den Bezirksstadträtinnen und -stadträten. Auch habe die Bildungsverwaltung »den Bezirken gerade erst eine Checkliste zukommen lassen, welche öffentlichen Räume auch außerhalb von Schulgebäuden für die Beschulung von ukrainischen Schülerinnen und Schülern in Betracht kommen und wie diesbezüglich vorzugehen ist«.
Checkliste hin, Gesprächsrunden her: Die Opposition im Abgeordnetenhaus nutzt den Hilferuf aus Mitte derweil, um zur Attacke gegen die Bildungssenatorin zu blasen. »Schlimmer kann es kaum werden mit dem Chaos um fehlende Schulplätze, dass Stadträte in den Bezirken öffentlich um Hilfe rufen. Wo bitte war oder ist SPD-Bildungssenatorin Busse? Warum hat sie sich nicht längst darum gekümmert und für schnelle, unbürokratische Unterstützung gesorgt?«, empört sich etwa die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Katharina Günther-Wünsch. Um dann grundsätzlich zu werden: »Dass Frau Busse hier immer noch keine Konzepte vorgelegt hat, wirft die Frage auf, ob sie ihrer Aufgabe gewachsen ist.«
»Diese Art der Generalkritik ist doch reichlich unseriös«, erwidert Marcel Hopp, der Bildungsexperte der SPD-Fraktion. »Denn dass in dieser herausfordernden Situation nicht immer alles ideal läuft, ist klar. Und natürlich müssen wir schauen, wo es Raumpotenziale gibt, und natürlich müssen das Land und die Bezirke hier zusammenarbeiten«, sagt Hopp zu »nd«. Er sei da aber optimistisch, dass man die Herausforderung gemeinsam stemmen könnte.
Genau das wünscht sich Mittes Schulstadträtin. Den Krawall der CDU hält Stefanie Remlinger im Gegenzug für umso verzichtbarer: »Es hilft mir überhaupt nicht, wenn die Senatorin gebasht wird. Ich brauche Unterstützung – und das rasch.«
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