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  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Wer ist hier radikal?

Die Berliner Enteignungskonferenz stärkt den globalen Mietenkampf, glaubt Aktivistin Nina Scholz

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Kommenden Freitagabend beginnt die Enteignungskonferenz, wobei die Auftaktveranstaltung mit »Die Welt schaut auf Berlin« überschrieben ist. Trotz aller Aufmerksamkeit für die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen in den vergangenen Jahren und dem gewonnen Volksentscheid – ist das nicht zu großspurig?

Wir sind sehr im Fokus internationaler Berichterstattung gewesen und die Mietenbewegung ist auch international vernetzt. Wir haben uns immer wieder Hilfe von anderen Mietenaktivist*innen geholt – aus Barcelona, aus Portugal, aus den USA oder Schweden. Andersherum haben auch wir geholfen. Wir sind nicht nur eine bundesweite, sondern eine internationale Bewegung. Der Sozialisierungsartikel 15 des Grundgesetzes ist vielleicht in einer anderen Stadt nicht anwendbar, trotzdem lernen wir voneinander. Wie baut man Druck auf, wie hält man ihn? Wie widersetzt man sich Privatisierungen? Dass der Kampf ein internationaler ist, zeigt sich auch daran, dass der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen, Balakrishnan Rajagopal, ein Grußwort an die Teilnehmer*innen richten wird.

Interview

Nina Scholz ist eine der Organisator*innen der Enteignungskonferenz der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Hunderte Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt werden am Himmelfahrtswochenende in Berlin erwartet. Darüber sprach Nicolas Šustr mit ihr.

Die Konferenz fällt in eine Zeit des gefühlten Stillstands in der Frage der Sozialisierung der Berliner Bestände renditeorientierter Großvermieter. Die Senatskommission ist eingesetzt, ein Ergebnis soll es nächstes Jahr geben. Was sind die Ziele des Treffens?

Tatsächlich stehen wir nun vor einer unfreiwilligen Pause von einem Jahr. Es ist aber alles andere als ruhig bei uns. Durch die Kampagne sind die konkreten Mieter*innenanliegen in den Hintergrund geraten. Das wird ein großer Fokus sein in der Konferenz. Wir sind tatsächlich in einer Luxusposition, weil wir sehr viele Aktive haben, die Kämpfe geführt haben. Wir werden Gespräche dazu führen, wie künftige Strategien aussehen. Und natürlich geht es auch um eine bundesweite Vernetzung. Vonovia ist schließlich eine große Gegnerin, die inzwischen europaweit agiert. Wir müssen uns den Raum geben, darüber zu sprechen. Auch beim Thema Enteignung sind wir längst nicht mehr die einzige Initiative. Die Anfragen zu dem Thema haben sich in letzter Zeit gehäuft. Konkret soll es in Hamburg sehr bald losgehen mit der Kampagne für ein Volksbegehren. Bei der Konferenz können wir viele Menschen bundesweit erreichen und vernetzen.

Mit wievielen Teilnehmenden rechnen Sie?

Wir haben jetzt bereits fast 500 Anmeldungen und sind auf 700 bis 800 Menschen eingestellt. Man kann sich immer noch anmelden, für Auswärtige gibt es natürlich eine Schlafplatzbörse. Am Wochenende gibt es auch eine Kinderbetreuung. Damit sich alle Menschen bei so einer großen Veranstaltung auch sicher fühlen können, gibt es sehr fitte Leute im Awareness-Team. Die sind auch telefonisch zu erreichen. Und am Geld soll die Teilnahme wirklich nicht scheitern.

Was erwartet die Menschen?

Das Programm ist so vielfältig, wie ich es selbst zu Anfang gar nicht erwartet hätte. Das gelang jedoch nur dank unserer zahlreichen Aktiven. Daneben haben uns auch der Asta der Technischen Universität Berlin und die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Es gibt in den Räumen der Universität große Podien und Runden mit namhaften Menschen. Kleinere Workshops bieten Gelegenheiten für einen persönlicheren Austausch. Man wird auch mit unseren Kiezteams hinausgehen können und lernen, wie man vor Ort mit Leuten beispielsweise bei Haustüraktionen ins Gespräch kommt.

Woher kommt der Enthusiasmus trotz der Hängepartie mit der Kommission? Wenden sich nicht viele Unterstützende ab, wenn von der Koalition kein ernsthafter Wille zu erkennen ist, den erfolgreichen Volksentscheid umzusetzen?

Wir mussten bereits einmal sehr lange warten, nämlich als der SPD-Politiker Andreas Geisel als damaliger Innensenator die Rechtsprüfung des Volksbegehrens ewig verzögerte. Aber auch das hat uns eher stärker gemacht. Denn wir haben von Anfang an ehrlich mit den Leuten gesprochen. Wir haben ihnen gesagt, dass sehr große Konzerne und mächtige Interessengruppen gegen unsere Ziele stehen. Und wir haben von Anfang an klargemacht, dass der Kampf mit dem Volksentscheid noch lange nicht vorbei ist. Das Jahr mit der Expert*innenkommission verschafft uns Zeit, uns neu zu organisieren. Denn irgendwann kommt in einer Kampagne der Punkt, an dem man nur noch reagiert.

Halten Sie es nicht für erstaunlich, dass es eine so deutliche Mehrheit beim Volksentscheid für eine so radikale Forderung wie die Sozialisierung von Wohnungskonzernen gab?

Ich halte es eher für eine Diffamierung, unser Ziel als so wahnsinnig radikal zu bezeichnen. Die Leute erleben einen Klassenkampf von oben in ihrem alltäglichen Leben. Beim Unterschriftensammeln hat ein Reinickendorfer Reihenhausbesitzer, der CDU wählt, unterzeichnet. Weil seine Mutter in einem Pflegeheim der Deutsche Wohnen lebt und die Tochter keine Wohnung findet. Es gibt Arbeiter beim Lieferdienst Gorillas, die sich zu dritt ein Zimmer teilen, und Menschen, die Arbeit haben und obdachlos sind. Wir nähern uns wieder den Wohnverhältnissen, die Friedrich Engels im 19. Jahrhundert beschrieben hat. Wer ist hier also radikal?

Das Thema Enteignung ploppt aktuell aus unerwarteter Ecke auf. Auf einmal wurde darüber im Zusammenhang mit den Besitztümern russischer Oligarchen und russischer Energieunternehmen sehr laut nachgedacht. Könnten das Präzedenzfälle werden?

Hierzulande wird nicht enteignet, weil andere Reiche auch Angst haben, dass sie gleich mitenteignet werden. Man muss sich doch nur vor Augen führen, wie leicht es ist, Eigentum und Geldströme zu verschleiern. Was sich an den Problemen gezeigt hat, die Sanktionen gegen die Oligarchen durchzusetzen. Wir werden uns auf der Konferenz auch mit Investitionen von Oligarchen in Berlin und Recherchen zu Kapitalströmen generell beschäftigen. Unser Ziel ist aber ein anderes: Wir streben Vergesellschaftung von unten an und haben einen langen Atem. Die Konferenz wird dabei ein neuer, bundesweiter Meilenstein.

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