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  • Soziale Wohnraumversorgung

Privatisierungsdruck am Molkenmarkt

Eine zu kleinteilige Bebauung könnte Einfallstor für den Verkauf von Eigentumswohnungen sein

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Privatisierung für die schöne Fassade? Der Molkenmarkt könnte Schauplatz eines Paradigmenwechsels in der Stadtentwicklung werden.
Privatisierung für die schöne Fassade? Der Molkenmarkt könnte Schauplatz eines Paradigmenwechsels in der Stadtentwicklung werden.

»Städtebau ist politisch und die Auseinandersetzung mit den Rekonstruktionsfreunden ist keine ästhetische Frage und muss von uns als Linke entschieden für den Erhalt bezahlbarer Wohnungen geführt werden«, sagt Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg zu »nd«. Die Zeit läuft am Molkenmarkt. Bis zum 7. Juli soll entschieden werden, welcher der zwei erstplatzierten städtebaulichen Entwürfe, die jeweils noch Nachbesserungsbedarf haben, verbindlich für den Neuaufbau des Stadtquartiers im historischen Kern Berlins werden soll.

Die zwei Entwürfe unterscheiden sich sehr stark. Das Team Bernd Albers, Gesellschaft von Architekten und Vogt Landschaftsarchitekten setzt mit teils sehr kleinen Parzellen auf einen starken historischen Bezug. Es sieht auch die »Möglichkeit zur Neuinterpretation oder Fassadenrekonstruktion der historischen Bebauung« vor. Der zweite Vorschlag für den künftigen Städtebau kommt von einer Planergemeinschaft aus dem Kopenhagener Büro OS Arkitekter und Czyborra Klingbeil Architekturwerkstatt mbB. Sie legten viel Wert auf Nachhaltigkeit und abwechslungsreiche, an der Historie orientierte, aber aktuelle Gebäudetypen.

»Es war schon in den Koalitionsverhandlungen klar, dass der Molkenmarkt die Nagelprobe für den Rollback in der Stadtentwicklung und Wohnungspolitik wird. Denn das konservative Lager, das seit 1990 für Historisierendes in der Mitte Berlins kämpft, ist das Kernteam von SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey«, sagt Katalin Gennburg.

An den Beispielen Potsdam und Frankfurt am Main kann man sehen, was die Kosten der Realisierung solch einer Bebauung nach sich ziehen. Nur höchstpreisige Miet- und Eigentumswohnungen werden trotz millionenschwerer Subventionen in den Altstadt-Nachbauten angeboten.

»Deswegen will SPD-Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für die Realisierung von Eigentumswohnungen wieder öffnen«, führt Gennburg aus. Mehrfach hatte der Senator diese Möglichkeit als »Beitrag zur Finanzierung« der öffentlichen Bauziele gepriesen. »Das machen wir nicht mit!«, entgegnet die Linke-Politikerin.

Das Areal ist auch Thema der Veranstaltung »Kultur Stadt Quartier Molkenmarkt« der Hermann-Henselmann-Stiftung und der Initiative Offene Mitte Berlin am Montagabend in der Alten Münze. »Wir wollen überlegen, wie die Kultur an dem Ort ihre Ansprüche formulieren könnte«, sagt Thomas Flierl, Vorstandschef der Henselmann-Stiftung.

Dieser Unterschied hat auch konkrete Folgen für eine mögliche Flexibilität der Nutzung und auch für die Baukosten. »Die Gebäude dürfen nicht zu klein sein, weil sie zu ineffizient und teuer werden«, sagt Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer. Und bloß, weil man auf die Historie des für die autogerechte Stadt abgerissenen Viertels Bezug nimmt, »heißt das nicht, dass man die Stadt von vorgestern bauen muss«, so die Standesvertreterin weiter.

»Der eine Entwurf ist sehr modular gedacht, sehr flexibel gedacht und sieht auch größere Volumina vor«, sagt Georg Scharegg vom Freien Theater TD Berlin, das ursprünglich unter dem Namen Theaterdiscounter bekannt war. »Ein Kriterium für die Beurteilung der beiden Entwürfe besteht darin, welche eine nachhaltige Veränderung der Raumnutzung zulassen«, erklärt Annette Maechtel. Sie ist Geschäftsführerin des Kunstvereins nGbK, der noch in der Kreuzberger Oranienstraße residiert, allerdings bald in die ehemalige »McDonald’s«-Filiale an der Karl-Liebknecht-Straße umzieht. Sie wird nun Mieterin der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM), denn der bisherige Standort gehört einem Fonds aus Luxemburg, wo exorbitante Mietforderungen drohen.

Die WBM und eine weitere Ladeseigene sollen auch am Molkenmarkt bauen, unter anderem über 400 neue Wohnungen, die Hälfte davon preisgebunden. »Flexibilität ist für uns das größte Thema. Wie schafft man das? Indem man größere Strukturen einplant«, sagt Patricia March, Bereichsleiterin Projektentwicklung bei der WBM. Die historische Struktur gebe es nicht mehr im Quartier.

»Hier etwas Neues zu errichten, was zukunftsfähig und flexibel ist, muss eine besondere Bedeutung haben«, so March weiter. Das gelte sowohl im Bereich des Wohnens als auch für die gewerblichen Flächen, worunter sie auch die Kulturräume zählt. Diese hohe Flexibilität in den Gebäuden selbst gebe es im Entwurf von OS Arkitekter.

Horst Arenz von der Initiative Mietenvolksentscheid bringt in der offenen Diskussionsrunde das Thema soziale Wohnraumversorgung in die Veranstaltung. Er lenkt den Fokus auf die »Planungsgruppe Stadtkern«, die sich für eine kleinteilige Parzellierung und teilweise Privatisierung der Grundstücke einsetzt. Ihr gehörte auch die heutige Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) an. »Geht es um mehr Eigentumswohnungen oder um sozial-ökologischen Wohnungsbau?«, will er vom Podium wissen.

»Wir sind immer davon ausgegangen, dass alles in öffentlicher Hand bleibt und ich habe auch die Zuversicht, dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle eingehalten wird«, sagt Architektenkammer-Präsidentin Theresa Keilhacker.

»Politisch ist eine Lösung, einen Teil der Wohnungen zu verkaufen, um das andere querzusubventionieren, nicht akzeptabel«, sagt Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer (Linke). »Mit mir ist nichts zu machen, was als Abweichung oder Aufweichung der Liegenschaftspolitik verstanden werden könnte«, so Lederer weiter.

»Es ist unsere ganz klare Aufgabe, Wohnraum zu schaffen und diesen in öffentlichem Eigentum zu behalten. Wir sind nicht in der Lage, eine einzige Wohnung zu verkaufen. So sind derzeit unsere Rahmenbedingungen und so sind unsere Planungen am Molkenmarkt«, unterstreicht Patricia March von der WBM.

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