Der Mangel wird neu verteilt

Berliner Bildungssenatorin will größer werdender Lehrkräftelücke mit neuem Stellenmanagement begegnen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Lehrkräftemangel in Berlin könnte sich im kommenden Schuljahr dramatisch verschärfen. Selbst die Bildungsverwaltung geht davon aus, dass nach den Sommerferien 920 Vollzeitstellen an den Schulen unbesetzt sein werden – noch mal gut 300 mehr als zum letzten Stichtag am 1. November 2021. Das Haus von Senatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) will daher jetzt nach eigener Aussage »aus der Not eine Tugend machen«: Da die Personalsituation zwar an vielen Schulen mehr als grenzwertig ist, andere dafür aber »überausgestattet« sind, soll künftig über ein neues »Bewerbungsmanagement« für »mehr Verteilungsgerechtigkeit« in der Stadt gesorgt werden. Busses entsprechende Pläne sind am Dienstag im Senat vorgestellt worden.

»Der Versorgungsgrad darf nicht mehr in der Art schwanken, wie das zurzeit noch der Fall ist«, hatte Busse vorab bei einem Pressegespräch erklärt. Konkret arbeite die Bildungsverwaltung an einem sogenannten Einstellungskorridor. Das heißt, Lehrkräfte, die sich auf eine Stelle in Berlin bewerben, sollen über ein internes Modell mit drei Steuerungsebenen – Land, Bezirk und Schule – gezielt in bestimmte Schulregionen und dann an eine bestimmte Schule geschickt werden. »Im Moment haben wir einfach an verschiedenen Stellen eine Schere. Wir versuchen, das Personal über den Korridor nun gleichmäßiger zu verteilen, dann heißt das aber auch, dass wir den Mangel gleichmäßiger verteilen«, sagt Holger Schmidt, Busses Referatsleiter für Personalmanagement.

Zum Konzept gehört auch, dass »überausgestattete« Schulen Personal abgeben sollen. »Abgeben ist immer schlecht, das ist psychologisch nicht so gut«, sagt Astrid-Sabine Busse. Deshalb werde man hierbei »behutsam vorgehen müssen« und erst mal das Gespräch mit den Schulen suchen: »Wer würde denn freiwillig gehen?« Aber das werde nicht den Schwerpunkt des neuen Mangelverteilsystems bilden, ergänzt Holger Schmidt: »Wir steuern im Vordergrund über die Zugänge.«

Zusätzlich dazu will die Bildungsverwaltung an ein weiteres Thema ran: Nach ihren Zahlen arbeiten aktuell 37 Prozent der Berliner Lehrkräfte in Teilzeit. Das ist »recht hoch«, findet die Bildungssenatorin. Ihr Plan: Wer von Teil- zurück auf Vollzeit wechseln will, muss nicht mehr wie bisher acht Monate warten, sondern darf jetzt sofort »aufstocken«.

Dass überhaupt so viele Lehrerinnen und Lehrer darauf verzichten, die volle Stundenzahl an Berlins Schulen zu absolvieren, »hat natürlich auch alles Gründe«, berichtet Busse aus ihrer Vor-Senatorinnen-Zeit. Als da wären: eigene Kinder und die Pflege von Angehörigen. »Alle, die ich kenne von meiner Schule, haben das nicht gemacht für die Work-Life-Balance und weil das so schön ist«, erinnert sich die ehemalige Leiterin einer Grundschule in Neukölln. Sowieso sei dort aber einiges anders gewesen, sagt Busse: »Wir hatten nie einen Mangel an Bewerberinnen.«

Das sei ja schön für Busses ehemalige Schule, mit der Realität an vielen anderen Standorten habe das aber wenig zu tun, erwidert Tom Erdmann, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin. »Der Einstellungskorridor ist allein deshalb von der Idee her sinnvoll«, sagt Erdmann zu »nd«. Allerdings müsse »die Bildungsverwaltung die Steuerung dann auch konsequent durchziehen, und ich bezweifele, dass sie das tun wird«.

Wenig Verständnis hat der Gewerkschafter auch dafür, dass Busse eine Work-Life-Balance nicht als hinreichenden Teilzeitgrund betrachtet. »Warum soll das keine Rolle spielen? Gerade junge Menschen sind bemüht, Privatleben und Beruf in Einklang zu bringen, und das ist auch richtig so.« Zumal in den vergangenen Jahren die Arbeitsbelastung an den Schulen der Hauptstadt kontinuierlich gestiegen sei. »Auch das ist ein Effekt des Lehrkräftemangels: Die Kolleginnen und Kollegen müssen dadurch deutlich mehr arbeiten«, sagt Erdmann. Ein Teufelskreis.

Die bildungspolitische Kampagne »Schule muss anders« verweist dabei schon seit Langem auf das eigentliche Problem bei der Lehrkräftegewinnung: die erschreckend niedrigen Abgängerzahlen der Universitäten. Die GEW – Teil der Kampagne – geht für das kommende Schuljahr von einem Einstellungsbedarf von rund 3000 Personen aus. Dem würden aber nur rund 1000 vollausgebildete Bewerber gegenüberstehen. Susanne Kühne von »Schule muss anders« sagt zum neuen Plan der gerechten Mangelverteilung daher auch: »Das kann man ja alles machen, aber es nutzt doch nichts, wenn der Bus nicht voll ist.«

Ihr sei jetzt auch nicht bewusst, dass es in Berlin massenhaft Schulen gebe, an denen sich locker mal Personal abziehen ließe. »Eine gerechtere Personalverteilung wäre wünschenswert, aber beim jetzigen Mangel braucht es zusätzliche Unterstützung durch multiprofessionelle Teams und, ganz klar, eine Ausbildungsoffensive«, sagt Kühne zu »nd«.

Bildungssenatorin Busse hat derweil erkannt, dass die als Antwort auf den Mangel mit Volldampf forcierte Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrkräften keine kurzfristigen Effekte nach sich ziehen wird. Im Februar hatte die Bildungsverwaltung in einem ersten Schritt die sogenannte Drehtürverbeamtung wieder möglich gemacht: Lehrkräfte, die in andere Bundesländer abwandern und dort verbeamtet werden, müssen nun damit keine fünf Jahre mehr warten, um als Beamte nach Berlin zurückkehren zu dürfen. Doch die Drehtür klemmt. Es gebe da einen »kleinen Wermutstropfen«, sagt Busse am Montag. Die Länder, in denen es die Rückkehrwilligen verschlagen hat, »müssen sie erst mal gehen lassen«. Deshalb werde man bei dieser Gruppe auch »noch ein Jahr warten müssen«.

Um wieviele potenzielle Lehrkräfte es sich hierbei überhaupt handelt, kann Busse nicht sagen. Nur so viel: »Die Anfragen gibt es, sind zahlenmäßig aber nicht erfasst.« Langfristig, das macht die SPD-Politikerin bei der Gelegenheit aber noch einmal klar, glaubt sie fest an den Erfolg der Maßnahme. Wenn Berlin erst mal wieder verbeamtet, »dann bindet das so viele Lehrkräfte an unsere schöne Stadt«, ist Busse überzeugt.

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