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  • Berlin
  • Architects for Future

Einfach nicht mehr neu bauen

Die Architects for Future wollen ihre Branche klima- und sozialgerecht umgestalten

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Jährlich 20 000 neue Wohnungen will die rot-grün-rote Berliner Koalition unter der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bis 2030 in der Hauptstadt bauen, um dem Wohnungsmangel entgegenzuwirken. Das Problem dabei: Neubauten sind extrem klimaschädlich, die Gebäudewirtschaft ist für etwa 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. »Eigentlich sollten wir gar nicht mehr neu bauen, sondern nur noch umbauen, sowohl die Gebäude als auch unsere Branche«, sagt Claus Friedrichs zu »nd«. Er ist Architekt und bei den Architects for Future aktiv, die sich für einen nachhaltigen Wandel in der Baubranche einsetzen und an diesem Wochenende ein Bauwende-Festival in den Atelier Gardens der Bufa-Filmstudios in Tempelhof ausrichten.

In zahlreichen Vorträgen, Workshops und Exkursionen mit über 50 Referent*innen aus Wissenschaft, Bauwirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft widmen sich rund 400 Teilnehmer*innen aus der Baubranche und der »For Future«-Bewegung drei Tage lang der Frage: »Wie können wir klima- und sozialgerecht (um)bauen?« Sowohl Neubau als auch Abriss »müssen kritisch hinterfragt werden«, findet Leonie Wipf, Architektin, Nachhaltigkeitsberaterin und Koordinatorin des Bauwende-Festivals. Wenn man sämtliche Dachstühle der Berliner Häuser ausbauen würden, böte das erhebliches Potenzial. »Diese Substanz sollte man nutzen statt immer nur neu zu bauen. Denn je länger ein Gebäude steht, desto mehr sind auch die Emissionen gerechtfertigt, die durch Bau und Zement entstanden sind«, sagt Wipf zu »nd«.

Das setze aber auch ein »Umbauen in den Köpfen« voraus. Deshalb beginnt das Bauwende-Festival mit den Themenblöcken Aktivismus und Selbstreflexion, in denen es darum gehen soll, das eigene Selbstverständnis zu definieren. Der Bereich Umstrukturierung widmet sich notwendigen Änderungen wirtschaftlicher Strukturen. Hier halten die Architects for Future Partizipation für entscheidend. »Im Vorfeld von Bauprozessen sollte es einen Austausch mit den zukünftigen Nutzer*innen geben, um Konflikte oder Fehlplanungen zu vermeiden«, erklärt Claus Friedrichs. Wenn es um Schulbauten gehe, habe er zum Beispiel gute Erfahrungen mit Planspielen gemacht, in denen die Schulsituation mit Lehrer*innen, Eltern und anderen Mitarbeiter*innen durchgespielt worden sei.

Ähnliche Prozesse könne es auch bei Wohnquartieren mit den Anwohner*innen geben. Der geplante Umbau des Hermannplatzes durch den Konzern Signa, gegen den 6000 Berliner*innen ein Protestschreiben unterzeichnet haben, zeigt, dass auch hier ein Partizipationsprozess gut getan hätte. Positives Beispiel sei dagegen das Haus der Statistik am Alexanderplatz, das mit intensiver Beteiligung der Nachbarschaft neu gestaltet wird.

Ein weiterer Themenblock des Festivals dreht sich um politische und rechtliche Rahmenbedingungen, die nachhaltiges Bauen oft erschweren würden. Häufig ließen Bauordnungen nicht zu, dass Gebäude geteilt werden, obwohl der Flächenverbrauch vieler Häuser eigentlich zu groß sei. »Wohnraum müsste ganz anders verteilt werden«, sagt Friedrichs. Und wenn alte Gebäude umgebaut werden, müssen neue Normen auf den alten Bau angewendet werden. Das bedeutet zum Beispiel, »dass eine Tür plötzlich zehn Zentimeter zu schmal ist für einen Fluchtweg, weil sich die Norm geändert hat, obwohl sie zwanzig Jahre lang breit genug war«, kritisiert der Architekt.

Allgemein fehle es in Deutschland an Flexibilität im Sinne des Klimaschutzes, findet auch Leonie Wipf. Wenn schon neu gebaut werde, dann sollten wenigstens Materialien verwendet werden, die CO2 binden statt zu produzieren, also zum Beispiel Holz statt Zement. »Das ist absolut möglich, früher wurde schon ganz viel aus Holz gebaut«, erklärt sie. Heute werde das durch strenge Brandschutzbestimmungen verkompliziert. Schließlich sollten alte, aber noch brauchbare Bauteile wie Fenster oder Türen wiederverwertet werden, wie es unter anderem im Kreislaufwirtschafts-Haus CRCLR in Neukölln vorgemacht wird.

Eine weitere Schwierigkeit sei die finanzielle Frage. Gerade soziale Träger, zum Beispiel von Schulen, hätten in der Regel nur begrenzte Mittel, Förderungen seien nicht an Nachhaltigkeit gebunden, stellt Claus Friedrichs ein Problem dar. Auch die Berliner Wohnungsbaugesellschaften könnten nicht klimagerecht arbeiten, weil die Baupreise zu hoch und Holz viel zu teuer sei. »Da braucht es mehr Druck«, so Friedrichs. »Subventionen für energetische Sanierungen sind wichtig«, ergänzt Leonie Wipf.

Die beiden Architekt*innen kritisieren auch die eigene Branche. Architekturbüros sollten hinterfragen, ob sie jedes Bauprojekt annehmen, oder dabei Wert auf Nachhaltigkeit legen. »Wir müssen miteinander reden, voneinander lernen und uns bewusst werden, dass es endliche Grenzen gibt und dass Mensch und Umwelt zusammengehören«, findet Friedrichs. Ein entsprechender Erfahrungsaustausch bildet den fünften Block des Bauwende-Festivals. Letzlich gehe es genau darum, Synergien von Bauwirtschaft, Politik, Wissenschaft und Aktivismus für Klima- und soziale Gerechtigkeit zu nutzen.

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