Ein Urteil über Kronprinz Wilhelm

Über die Entschädigungsforderung der Hohenzollern entscheidet nun das Verwaltungsgericht Potsdam

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Nun muss also das Verwaltungsgericht Potsdam darüber urteilen, ob den Hohenzollern eine Entschädigung von 1,2 Millionen Euro zusteht, ob sie diese Summe erhalten sollen für nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend bis zum Jahr 1948 in der sowjetischen Besatzungszone enteigneten Besitz. Es hängt davon ab, ob Kronprinz Wilhelm von Preußen den Nazis einst erheblichen Vorschub leistete.

»Es ist in dem genannten Verfahren noch kein Termin für eine mündliche Verhandlung beziehungsweise eine Entscheidung absehbar«, sagt Gerichtssprecher Ruben Langer zu »nd«. Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens habe das Haus Hohenzollern nun zunächst Gelegenheit für eine Stellungnahme zur Klageerwiderung des Landes Brandenburg. Diese war noch eingegangen, bevor das Verfahren lange Zeit ruhte.

Gutachten zur Geschichte
  • Kronprinz Wilhelm von Preußen verzichtete am 1. Dezember 1918 auf den Thron. Sein Vater, der deutsche Kaiser Wilhelm II., hatte bereits am 9. November 1918 abgedankt. Beide begaben sich ins Exil in den Niederlanden. Der Vater ließ sich in Doorn nieder und kehrte nie nach Deutschland zurück. Der Sohn ging auf die Insel Wieringen. Die Weimarer Republik nahm ihn 1923 wieder auf.
  • Zu der Frage, ob Ex-Kronprinz Wilhelm den Faschisten erheblichen Vorschub leistete, gibt es vier Gutachten von Historikern.
  • Ein Gutachten stammt von Stephan Malinowski von der Universität Edinburgh, der 2021 mit seinem Buch "Die Hohenzollern und die Nazis" nachlegte. Es erschien im Propyläen-Verlag und beschränkt sich nicht auf den Kronprinzen, sondern beleuchtet die Rolle der Hohenzollern insgesamt bei Übernahme und Festigung der Macht der Faschisten.
  • Ein drittes Gutachten schrieb Professor Christopher Clark von der Universität Cambridge, Autor des 2007 veröffentlichten Standardwerks "Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600 bis 1947". Clark bescheinigte dem Kronprinzen in seinem Gutachten, den Nazis zwar Vorschub geleistet zu haben, nicht jedoch in erheblichem Maße. Später gelangte Clark jedoch im Lichte neuer Erkenntnisse zu einer anderen Einschätzung.
  • Die beiden übrigen Gutachten lieferten die Professoren Wolfram Pyta und Peter Brandt, ältester Sohn von Altbundeskanzler Willy Brandt (SPD). af

    Im Jahr 1932 spielte Kronprinz Wilhelm erst mit dem Gedanken, sich zum Reichspräsidenten wählen zu lassen und Adolf Hitler zum Kanzler zu ernennen. Als ihm sein Vater diesen Schachzug verbot, unterstützte Wilhelm bei der Reichspräsidentenwahl den nun selbst angetretenen Hitler und protestierte gegen das zeitweilige Verbot der SA. Am Ende machte allerdings Reichspräsident Paul von Hindenburg, der die Hohenzollern nicht leiden konnte, einen von Industriellen geförderten Hitler zum Kanzler. Dies zum Thema Vorschub leisten bis 1933. Ab 1933 ereignete sich, was der Historiker Lothar Machtan als Nachschubleistung bezeichnet: Wilhelm diente sich dem an die Macht gelangten Hitler an, glorifizierte dessen Politik und rechtfertigte sie im Ausland. Er ließ sich in Uniform mit Hakenkreuzbinde im Schloss Cecilienhof fotografieren. Unter Historikern gehen die Meinungen auseinander, wie wertvoll seine Unterstützung für die Nazis gewesen ist. Historiker können sich aus verbürgten Fakten ein Urteil bilden. Die Justiz muss ein Urteil fällen.

    »Unabhängig davon, wie die Gerichte das politische Handeln meines 1951 verstorbenen Urgroßvaters bewerten werden, werde ich auch weiterhin die Erforschung und den Aufarbeitungsprozess unserer Familiengeschichte aktiv unterstützen – wie ich es in der Vergangenheit bereits getan habe«, versichert Georg Friedrich Prinz von Preußen. Der 45-Jährige ist seit 1994 Oberhaupt des Hauses Hohenzollern. Seine Vorfahren waren erst brandenburgische Kurfürsten, dann preußische Könige und zuletzt deutsche Kaiser – bis Wilhelm II. am 9. November 1918 abdanken musste.

    Nach der deutschen Einheit wünschte sein Großvater Louis Ferdinand Prinz von Preußen die Rückgabe bei der Bodenreform enteigneter Grundstücke und anderer Vermögenswerte, wofür es aber noch keine Rechtsgrundlage gab. Nachdem der Bundestag 1994 ein Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz verabschiedet hatte, beantragte der Generalbevollmächtigte der Hohenzollern, Job Ferdinand von Strantz, die Herausgabe von Kunstwerken und Wiedergutmachung. Im Januar 2014 kamen Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen zu dem Schluss, dass die Hohenzollern 1,2 Millionen Euro Entschädigung erhalten sollen. Doch Brandenburgs damaliger Finanzminister Christian Görke (Linke) ließ dies überprüfen. Es erging in der Folge ein ablehnender Bescheid. 2015 legte Georg Friedrich Prinz von Preußen Klage dagegen ein.

    Im Juli 2019 beantragte Minister Görke beim Verwaltungsgericht Potsdam die Wiederaufnahme des ausgesetzten Verfahrens, doch nach der Landtagswahl zwei Monate später wurde er abgelöst und seine Nachfolgerin Katrin Lange (SPD) ließ erneut eine Verfahrenspause einlegen, um einer gütlichen Einigung von Bund und Ländern mit den Hohenzollern über eine Gesamtlösung für alle strittigen Fragen nicht im Wege zu stehen. Sie machte sich zuletzt aber auch keine Illusionen mehr, dass eine Vergleichslösung noch zu erwarten sei. Bei einer Besprechung von Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) mit Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sowie mit Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und Finanzministerin Lange zeigte sich im April 2022, dass außer Lange alle anderen weitere Gespräche mit den Hohenzollern klar ablehnten. Der Streit um eine Entschädigung soll nun also durch die Justiz entschieden werden.

    Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter hat sich das schon lange gewünscht. Am 8. August 2019 hatte er gemeinsam mit seinen Genossinnen Anja Mayer, Diana Golze und Kathrin Dannenberg bei einem Termin am Potsdamer Neuen Garten die Volksinitiative »Keine Geschenke den Hohenzollern« gestartet. Bis zur Übergabe der Listen Anfang vergangenen Jahres kamen 20 537 gültige Unterschriften zusammen, mindestens 20 000 waren erforderlich. Ohne diesen knappen Erfolg hätte sich die rot-schwarz-grüne Landesregierung »nicht bewegt« und mit den Hohenzollern außergerichtlich auf einen Kompromiss verständigt. Davon ist Sebastian Walter fest überzeugt. Der Politiker bekräftigt: »Ich bleibe dabei, dass alles vor Gericht zu klären ist.«

    In zwei von drei Themenkomplexen ist das aber noch nicht ausgemacht. Nach Angaben der »Generalverwaltung des vormals regierenden preußischen Königshauses«, so die Selbstbezeichnung im Briefkopf einer Presseinformation, geht es außer um die Entschädigung noch um Dauerleihgaben und Beutekunst. Kunst aus der privaten Sammlung von Louis Ferdinand Prinz von Preußen und aus dem alten Hohenzollernmuseum, die sich 1945 auf westdeutschem und Westberliner Gebiet befanden, seien nie enteignet worden, heißt es. Louis Ferdinand habe seit den 1950er Jahren wesentliche Teile Westberliner Museen unentgeltlich als Dauerleihgaben überlassen. »1994 hatte Prinz Georg Friedrich nach dem Tod seines Großvaters dessen private Kunstsammlung übernommen und gehört heute selbst zu den großen privaten Leihgebern der staatlichen Schlösser und Museen in Berlin und Potsdam«, steht in der dreiseitigen Presseinformation. »Allerdings sind die Leihverträge inzwischen ausgelaufen und müssten dringend erneuert werden, falls die staatlichen Schlösser und Museen diese Leihgaben weiter ausstellen möchten.« Das Oberhaupt der Hohenzollern sei für die Erneuerung der Leihverträge offen.

    Offen ist nach dieser Darstellung auch der Umgang mit Kunstwerken aus der privaten Sammlung des früheren Kronprinzen Wilhelm (1882-1951) und aus dem Hohenzollernmuseum, die als sogenannte Beutekunst nach dem Zweiten Weltkrieg ohne förmliche Enteignung in die Sowjetunion abtransportiert und die später – hauptsächlich im Jahr 1958 – an Kulturinstitutionen in der DDR übergeben worden sind. Sie befinden sich heute in Schlössern und Museen oder in deren Depots. Das Haus Hohenzollern beruft sich auf Juristen, deren Einschätzung zufolge für diese Beutekunst das Entschädigungs – und Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 nicht gelte. Das bedeute, so argumentieren die Hohenzollern, dafür sei das Verhalten des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm gegenüber den Faschisten »nicht relevant«. Die Beutekunst gehöre damit dem Urenkel Georg Friedrich und müsste an diesen rückübertragen werden.

    Der 45-Jährige beteuert: »Selbstverständlich respektiere ich die Entscheidung der staatlichen Seite, einen Teil der offenen Themen durch Gerichte klären zu lassen.« Nach Auskunft seiner Generalverwaltung sei nun aber auch zu klären, wie es mit den Dauerleihgaben und mit der Beutekunst weitergehen solle. »Mir geht es darum, die Kunstwerke aus den früheren königlichen Sammlungen dauerhaft für die Öffentlichkeit zu erhalten«, versichert der Hohenzollernchef. Er sei überzeugt, »dass auf dem Gesprächsweg die beste Lösung« für Schlösser und Museen und damit für alle kunstinteressierten Bürgerinnen und Bürger erreicht werden könne.

    Linksfraktionschef Walter hat den Eindruck, dass die Hohenzollern vorausahnen, dass sie die Prozesse verlieren würden und jetzt versuchen, zu retten, was noch zu retten ist.

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