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Real Madrid siegt in Seelenruhe
Beim 1:0-Finalerfolg gegen Liverpool trotzen die Königlichen wieder einmal der Wirklichkeit
Zum Schluss darf Marcelo ran. Der Mann mit der Starkstromfrisur ist vor zwei Wochen 34 Jahre alt geworden und hat in seiner jetzt 15. Saison bei Real Madrid nur noch eine bescheidene Rolle gespielt. Auch im Finale der Champions League, es ist sein letztes Spiel für die Königlichen, muss er 90 Minuten plus fünf Minuten Nachspielzeit auf der Bank sitzen. Aber was heißt schon sitzen? Marcelo ist aufgeregt wie ein kleiner Junge vor seiner ersten Einwechslung bei den Minis. Er trippelt von rechts nach links, von links nach rechts, zum Schluss mag er nicht mehr hinschauen. Und als es dann endlich vollbracht ist, weint er hemmungslos an der Schulter eines Kollegen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
1:0 gegen den FC Liverpool – Real Madrid gewinnt zum 14. Mal die Champions League. Für Trainer Carlo Ancelotti ist es bereits der vierte Triumph, für den deutschen Mittelfeldspieler Toni Kroos sogar der fünfte. Da Marcelo als dienstältester Spieler offiziell als Mannschaftskapitän präsidiert, darf er bei der Siegerehrung den entscheidenden Part spielen. Der Brasilianer hüpft und singt und stößt immer wieder den mit königlich weißen Schleifchen behängten Pokal in den Himmel. Das hat den symbolisch interessanten Effekt, dass er dabei das Gesicht des entscheidenden Mannes dieser Nacht von Paris verdeckt. Direkt hinter Marcelo steht Thibaut Courtois. Der belgische Zweimetermann hatte gerade mit geschätzt sieben Händen, mindestens, das Madrider Tor verbarrikadiert und das Finale fast im Alleingang gewonnen. Jürgen Klopp findet dafür eine der für ihn typischen Formulierungen. »Wenn der Torwart ›Man of the Match‹ ist, dann weißt du, dass irgendetwas scheiße gelaufen ist«, sagt Liverpools deutscher Trainer.
Seine letzte und größte Tat vollbringt Courtois zehn Minuten vor Schluss. Mohammed Salah, Liverpools großartiger Stürmer, läuft mal wieder auf ihn zu, er drischt den Ball mit Wucht und Präzision Richtung linkes Eck, aber der Torwart liegt quer in der Luft und bekommt irgendwie noch den Handrücken dran. Dann ist auch diese Chance verpasst. Salah dreht ab und senkt den Kopf, aber Courtois muss noch einmal zupacken. Aus dem Hintergrund stürmt David Alaba heran und springt seinem Torhüter in die Arme. Der Belgier umarmt den Kollegen und schiebt ihn ganz schnell wieder weg. Volle Konzentration auf den Eckball für Liverpool, aber auch daraus wird nichts.
Es ist in allerlei Hinsicht ein seltsames Finale in der Champions League, einseitig von der ersten bis zur fünften Minute der Nachspielzeit, allerdings nicht im Sinne des Siegers. Vor Reals Tor staut es sich zuweilen wie vor dem Stadion, wo Liverpools Fans von der französischen Polizei so intensiv kontrolliert werden, dass das Spiel erst mit 36 Minuten Verspätung beginnt. Die Verantwortung dafür schoben sich der europäische Fußballverband Uefa und die Behörden gegenseitig zu, es ging dabei um vermeintlich gefälschte Tickets und Tränengas. Da dürfte in den nächsten Tagen noch einiges zu klären sein.
Was weiterhin überraschte, war die Seelenruhe, mit der Real das ständige Anrennen des Gegners und die Vielzahl der von Courtois vereitelten Torchancen ertrug. Wenn es dafür eine Erklärung gibt, dann ist sie im metaphysischen Segment zu suchen. Die Spanier standen schon im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain, im Viertelfinale gegen Chelsea und besonders im Halbfinale gegen Manchester City vor dem K.o. Vielleicht hat ihnen dieser Weg nach Paris den fatalistischen Glauben vermittelt, dass irgendwie schon alles wird. Dass eine Situation reicht, um der Wirklichkeit zu trotzen.
Dieser eine Moment ist in Paris zweimal zu bestaunen. Zum ersten Mal kurz vor der Pause, als Karim Benzema nach einem Durcheinander in Liverpools Strafraum mit der ersten richtigen Offensivaktion den Ball ins Tor stößt. Der Schiedsrichterassistent aber hat eine Abseitsstellung ausgemacht, was vom Video-Schiedsrichter nach minutenlangem Zeitlupenstudium schließlich bestätigt wird. Der zweite Moment ist der entscheidende, das Siegtor nach zehn Minuten in der zweiten Halbzeit. Federico Valverde flankt von rechts, Vinicius Junior hält den Fuß hin und der Ball ist im Tor. Auch hier mischt sich der Video-Schiedsrichter ein und gibt sein Placet, weil Liverpools Verteidiger Trent Alexander-Arnold eine Fußspitze näher am Tor steht als Vinicius Junior.
Was folgt ist das bekannte Muster. Der FC Liverpool stürmt, Courtois fährt seine sieben Hände aus, Marcelo trippelt vor der Bank herum, bis er dann bei der Siegerehrung mit dem Pokal das Gesicht des Matchwinners verdeckt. Macht nichts, Thibaut Courtois hat andere Sorgen in dieser Nacht. Er stand vor seinem Wechsel nach Madrid sieben Jahre lang in England beim FC Chelsea unter Vertrag und empfindet es als besondere Genugtuung, dass er dieses Finale gegen eine englische Mannschaft gewinnt. »Heute musste ich ein Finale für meine Karriere gewinnen, für all die harte Arbeit, um meinem Namen Respekt zu verschaffen, denn ich glaube, ich werde nicht genug respektiert, besonders in England«, sagt Courtois. »Selbst nach einer großartigen Saison habe ich viel Kritik einstecken müssen. Ich bin wirklich stolz auf die Mannschaft.«
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