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Verhaken statt unterhaken

Es mehren sich die Anzeichen für ein Scheitern von Franziska Giffeys Wohnungsbündnis

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 8 Min.

»Wir wollen zurzeit wenig Konkretes unterschreiben, weil die Zukunft sehr offen ist«, sagt der Vorstand einer Genossenschaft zu »nd«, der sehr gut mit den Verhandlungen zum Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten vertraut ist, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. »Es spricht ja gerade nichts dafür, dass man sich für den Wohnungsneubau noch engagiert«, so der Vorstand weiter. Der sich verschärfende Fachkräftemangel, die explodierenden Baukosten im Zuge der Corona-Pandemie und des Überfalls Russlands auf die Ukraine, außerdem noch die vollkommen unklare Fördersituation auf Bundesebene für ökologischen Neubau nach dem Stopp der alten Programme: Die Probleme sind bekannt.

Die eigene Genossenschaft habe gerade eine Baustelle stilllegen müssen, weil sich die Lieferzeiten für Baustoffe von bisher zwei auf sechs bis acht Wochen verlängert haben, nennt er ein konkretes Beispiel. Einer anderen Genossenschaft, die auf den Buckower Feldern in Neukölln besonders ökologisch bauen wollte, hat der Förderstopp die Kalkulation vollkommen verhagelt. Die Kostenmiete pro Quadratmeter liege nun bei satten 18 Euro. »Gleichzeitig will sich das Land Berlin in diesem Bündnis zu wenig verpflichten«, kritisiert er.

»In so einer Situation in einem knappen halben Jahr auf Teufel komm raus so ein Bündnis vereinbaren zu wollen, ist keine gute Idee«, sagt der Genossenschaftsvorstand. »Statt eines verbindlichen Papiers sollte ein permanenter Dialog in dieser Form beibehalten werden, in dem die Gespräche intensiviert und konkretisiert werden«, fordert er.

20 000 Wohnungen pro Jahr bis 2030, gleichzeitig ein »freiwilliger Mietenstopp« für fünf Jahre: So sah der Plan der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihres Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (beide SPD) aus, um exorbitante Mietsteigerungen und Wohnungsnot in Berlin zu bekämpfen – und natürlich dem ungeliebten gewonnenen Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Ein wichtiger Baustein in den Augen der SPD ist das besagte Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten, in dem sich alle »unterhaken« sollen, wie Andreas Geisel mantraartig betont – Senat, Bezirke, Genossenschaften, landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und private Immobilienunternehmen.

Doch inzwischen räumen die beiden SPD-Granden nach und nach die Ziele ab. »Anfang des Jahres war unser Ansatz dafür, das über einen freiwilligen Mietenstopp zu machen, verbunden mit einem festen Prozentsatz von einem oder zwei Prozent für den Inflationsausgleich«, so Geisel am Wochenende. »Aber hier hat die veränderte Wirklichkeit voll zugeschlagen und uns diesen Weg versperrt.« Angesichts von sieben Prozent Inflation und ungewisser Aussichten bei der weiteren Entwicklung sei das nicht möglich.

Alternativen würden im Bündnis aber bereits diskutiert: »Ein Weg könnte sein, festzulegen, dass maximal 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete ausgegeben werden dürfen«, so Geisel. »Diese Regelung, die wir für unsere kommunalen Wohnungsbaugesellschaften getroffen haben, wollen wir auch den Privaten vorschlagen. Das loten wir im Bündnis zurzeit aus. Das ist aber noch nicht unterschriftsreif, wir ringen darum.«

Jeder könne dann prüfen: »Ist meine Miete höher als 30 Prozent meines Einkommens?«, sagte Franziska Giffey im Interview mit dem »Tagesspiegel« dazu. »Wenn ja, muss es ein geregeltes Verfahren geben, zum Beispiel eine öffentliche Mietpreisprüfstelle, die die Höhe der Überschreitung feststellt und Mieterinnen und Mieter dabei unterstützt, dagegen vorzugehen. Oder die sich an die Partner im Wohnungsbündnis wendet und darauf hinwirkt, gegenzusteuern.«

Auch das Bauziel von jährlich 20 000 neuen Wohnungen lässt Andreas Geisel noch nicht ziehen, räumt aber ein, dass die Frage sei, wie man da zeitlich hinkomme. »Linear geht es bestimmt nicht, also immer 20 000 pro Jahr, schon deshalb, weil die Instrumente, die wir jetzt neu einführen, erst später ihre Wirkung entfalten«, sagte der Stadtentwicklungssenator bereits am Himmelfahrtstag. Die Situation sei zu volatil, um seriös zu sagen, wann man das erste Mal die Marke erreiche.

Von 2012 bis 2019 hat sich die Anzahl fertiggestellter Wohnungen von etwas über 5400 auf knapp 19 000 fast vervierfacht, mit der Corona-Pandemie bröckelten die Zahlen deutlich, auf zuletzt knapp 15 900 Wohnungen im Jahr 2021. Die jährlich erteilten Baugenehmigungen erreichten 2017 mit etwa 21 500 Wohneinheiten in neuen Gebäuden ihren Höchststand, bis 2021 sanken sie auf rund 16 800. Im ersten Quartal 2022 wurden Genehmigungen für etwa 2900 Wohnungen erteilt, über ein Viertel weniger als im Vorjahreszeitraum. Zahlen über so kurze Zeiträume sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da die Genehmigung eines großen Projekts sie bereits stark verzerren kann.

Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg, will die Hoffnung auf das Bündnis aber nicht aufgeben. »Seitens der Wirtschaftsvertreter kann ich sagen, dass alle ernsthaft ringen, was sie konkret beitragen können«, sagt sie zu »nd«. Es werde nichts verschwiegen. »Realitäten müssen auf den Tisch. Es nutzt nichts, die heiklen Themen auszuklammern«, so Schreiner weiter.

»Umso befremdlicher ist es, wenn abseits des Wohnungsbaubündnisses dann ein Beschluss der Linken gegen eine zu starke Verdichtung gefasst wird oder die Grünen ein fünfjähriges Mietenmoratorium verlangen«, kritisiert die Baulobbyistin, die auch Vize-Landesvorsitzende der Berliner CDU ist. Dann frage man sich als Bündnispartner schon, warum Grünen-Bürgermeisterin Bettina Jarasch und Linke-Bürgermeister Klaus Lederer, »die sich im Bündnis nur mäßig einbringen, darüber in den vielen Sitzungen seit Januar noch kein Wort verloren haben«.

Tilmann Heuser, Berliner Landesgeschäftsführer des Umweltverbands BUND, der auch an den Verhandlungen beteiligt war, kritisiert gegenüber »nd«, dass dieser »Prozess nur darauf angelegt war, möglichst zügig Ergebnisse für ein Bündnispapier zu erzielen«. Es sei »keine richtige Strategie erkennbar« gewesen, sagt er und nennt als Beispiel das Konfliktthema Nachverdichtung, wo man durchaus die Berücksichtigung von Umweltaspekten wie das Vermeiden von Versiegelungen hineinbekommen habe. »Es war bei den Beteiligten die Lust auf eine echte Auseinandersetzung über die Aspekte zu spüren. Darüber zu reden, wo es Konsens und wo es Unterschiede gibt«, sagt Heuser. Knackpunkte und Herausforderungen hätten nicht zu Ende diskutiert werden können.

Das gelte auch für Themen wie »ein vernünftiges Projektmanagement in der Verwaltung«, sagt Heuser. »Wie müssen Denkmal- und Naturschutz gestaltet werden, damit Ämter frühzeitig eingebunden werden und entscheiden können, bevor man alles durchgeplant hat?« Oder: »Wie können Förderungen zielgerichtet und effizient gestaltet werden, damit ein Bauherr nicht 35 Anträge stellen muss?« Die Beantwortung solcher Fragen sei gar nicht angegangen worden. »Die produzierten Papiere sind wirklich abstrakt, und in vielen Punkten ist nicht greifbar, was es für Ergebnisse gibt«, sagt der Umweltlobbyist.

Andererseits sind in den »nd« vorliegenden Papieren vom Stand Mitte Mai einige Dinge auch sehr konkret festgelegt. Zu den irgendwann jährlich 20 000 zu bauenden Wohnungen sollen die Landeseigenen 7000 beisteuern, Genossenschaften 1000 und renditeorientierte Vermieter 12 000. 70 Prozent der 5000 Neubau-Sozialwohnungen jährlich sollen von Landes-Wohnungsunternehmen errichtet werden, der Rest von Privaten und Genossenschaften.

»Die großen privaten Wohnungsunternehmen verpflichten sich in der Wiedervermietung, 25 Prozent an Mieterinnen und Mieter zu vergeben, die ein Einkommen haben, mit dem sie Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben«, heißt es beispielsweise im Papier der Arbeitsgruppe »Mietenentwicklung & Mietenschutz«. Das haben die Konzerne Vonovia und Deutsche Wohnen bereits im Zuge der Fusion für fünf Jahre zugesagt, Heimstaden hat bereits seit Längerem die Bereitschaft dazu erkennen lassen. Ähnliches gilt bei der Kappung der Miete auf 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens, die aber nur greift, wenn auch die in den Regelungen für Transferleistungsempfangende festgesetzen Obergrenzen bei der Wohnungsgröße eingehalten werden. Außerdem geht es nur um die Nettokaltmiete ohne Betriebs- und Heizkosten. Für kleinere Vermieter ist nichts davon verbindlich. Hier heißt es schlicht im Papier: »Die Wohnungsverbände wirken auf ihre Mitglieder ein, sich ebenfalls der Verpflichtung der großen privaten Wohnunternehmen anzuschließen.«

Katalin Gennburg und Niklas Schenker, die in der Linksfraktion für Stadtentwicklung und Mieten zuständig sind, nennen das Bündnis und dessen Vorbereitungsprozess in einem fünfseitigen internen Papier, das »nd« vorliegt, ein »Ärgernis«. »Das Bündnis nimmt im Wesentlichen eine kommunikative Funktion ein, die nach außen Handlungsfähigkeit simulieren soll«, lautet ihre Einschätzung.

Das Wohnungsbündnis führe aber »strukturell zu problematischen Effekten demokratietheoretischer Natur, da es den Zugang privatwirtschaftlicher Akteure zu politischen Entscheidungen erweitert und im schlimmsten Fall sogar die Möglichkeiten des Parlaments einschränkt«. Als Beispiel wird Giffeys Vorbild Hamburg genannt, wo die privatwirtschaftlichen Akteure erreicht hätten, dass jährlich nur ein Milieuschutzgebiet neu erlassen werden soll.

Man müsse sich darüber im Klaren sein, schreiben Gennburg und Schenker, dass das Bündnis von den Koalitionspartnern – »allen voran der SPD« – genutzt werden könne, »um Beschlüsse zu unterlaufen«. Als Beispiel werden die Neubaugebiete genannt: »Ist im Koalitionsvertrag noch die Rede davon, die Potenziale von Gebieten wie Späthsfelde, Elisbath-Aue und so weiter, ›auszuloten‹, wird in der aktuellen Entwurfsfassung des Bündnistextes bereits von einer Entwicklung der benannten Gebiete gesprochen – und halb der Legislative vorweggenommen.«

»Wir handeln innerhalb des Bündnisses aus einer Position der Schwäche heraus und müssen uns auf den guten Willen von Akteuren verlassen, deren strukturelle Verfasstheit als profitorientierte Unternehmen einer sozialen Wohnraumversorgung diametral gegenübersteht«, schreiben die beiden Abgeordneten.

Die Probleme sind vielfältig. Franziska Giffey rückt vorsichtig davon ab, dass das Bündnis bereits am 20. Juni unterzeichnet wird.

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