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Raus aus dem Gas
Die Wärmewende in Berlin ist möglich – aber nicht mit Vattenfall
Zwei unterschiedlich steil abfallende Linien in einem Koordinatensystem zeigen die Treibhausgas-Reduktionspfade nach altem und neuem Klimaschutzgesetz an. Dazwischen klafft die sogenannte Umsetzungslücke. »Wenn wir ehrlich sind, reicht es aber nicht, diesen kleinen Bereich zu überwinden, sondern es gibt eine noch viel größere Ambitionslücke«, sagt Benedikt Heyl von der Klimagruppe Gasexit über den noch größeren Abstand zur steil abfallenden Kurve, die den für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze notwendigen Reduktionspfad beschreibt. Heyl erklärt in einem Vortrag im Neuköllner Projektraum »Ori« auch, warum sich Gasexit Anfang 2021 gegründet hat, um gegen fossile Gasinfrastruktur in Berlin zu kämpfen: »Wir wollen weder Gas aus Russland noch aus Katar«. Der Klimaaktivist ist sicher: »Die Lösungen für die fossile Abhängigkeit und die Klimakrise hängen zusammen«, so Heyl zu »nd«.
Ein wichtiger Teil dieser Lösung bestehe in einer klimaneutrale Wärmeversorgung, erklärt er. Denn Wärmeversorgung mache 55 Prozent des Endenergieverbrauchs aus. Und bislang wird der Wohnungsbestand in Deutschland zu fast 50 Prozent mit Gas und zu knapp 25 Prozent mit Öl geheizt, also überwiegend mit klimaschädlichen fossilen Energiequellen. Im Bestand seien sogar 90 Prozent der neu eingebauten Heizungen Gasheizungen. »Wenn man weiß, dass eine Gasheizung über 20 Jahre hält, dann ist das einfach nicht klug«, kritisiert Heyl.
Auch mit Strom produzierter Wasserstoff sei keine gute Alternative für Gebäudewärme, da dieser nur einen Wirkungsgrad von 57 bis 64 Prozent habe, »das heißt, der Großteil wird weggeschmissen«, erklärt Heyl. Für die Verbraucher*innen wäre das viel zu teuer. Eine Wärmepumpe dagegen habe einen Wirkungsgrad von 300 Prozent, also gut das Fünffache, »und im Gegensatz zu Gasheizungen ist die automatisch klimaneutral«. Eine Wärmepumpe funktioniert wie ein »umgekehrter Kühlschrank«: Sie nimmt Umweltwärme aus der Luft, der Erde oder Gewässern auf und gibt diese an das Gebäude ab. Durch energetische Sanierungen könnten theoretisch auch Bestandsbauten problemlos auf Wärmepumpen umgerüstet werden. Die würden allerdings viel Platz wegnehmen, wofür Berlin vielerorts zu dicht bebaut sei. Daher sei der Anschluss an Wärmenetze sinnvoll, die Wärme aus verschiedenen Quellen gewinnen – zum Beispiel aus Abwärme, Oberflächengewässern und Solaranlagen – und diese speichern können, sodass nicht jedes Gebäude eine eigene Pumpe braucht. Notwendig wären also sowohl energetische Sanierungen des Bestands als auch der Ausbau von Wärmenetzen und -speichern sowie deren Dekarbonisierung, sagt Heyl. Bislang baut nämlich auch das Berliner Fernwärmenetz zu 53 Prozent auf Erdgas, zu 22 Prozent auf Steinkohle und nur zu 12 Prozent auf erneuerbare Energien.
Betrieben wird das Wärmenetz der Hauptstadt fast vollständig vom privaten Energieversorger Vattenfall. »Das sind neoliberale Altlasten und die sind jetzt ein Problem, weil es keine demokratische Kontrolle über das Fernwärmenetz gibt«, erklärt Heyl. Vattenfall zeigt wenig Interesse am Umstieg auf erneuerbare Energien, sondern plant im Gegenteil am Kraftwerk Reuter West noch eine neue Gasinfrastruktur. »Weil man die prinzipiell auf Wasserstoff umrüsten könnte, gibt es dafür noch Förderungen von der EU, obwohl es gar keine technische Perspektive gibt und Wasserstoff furchtbar ineffizient ist«, kritisiert der Gasexit-Aktivist.
Dabei wird die Dekarbonisierung des Berliner Fernwärmenetzes bis 2035 vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik als technisch machbar eingestuft: mit Großwärmepumpen, die zum Beispiel Abwärme aus Industrieprozessen und Rechenzentren sowie Flusswärme und Geothermie nutzen könnten. »Wenn wir es hinbekommen, das Fernwärmenetz zu dekarbonisieren, wären wir ganz schnell klimaneutral«, so Heyl. Gasexit fordert daher einen konkreten Zeitplan zur Stillegung der Berliner Gasinfrastruktur. Die Stadt Berlin müsse Vattenfall das Fernwärmenetz abkaufen, um die Kontrolle darüber zurückzuerlangen. »Und im Kaufpreis muss sich widerspiegeln, dass die fossile Infrastruktur nicht mehr viel wert ist«, betont Benedikt Heyl.
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