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Russlands Öl darf weiter fließen
EU-Gipfel einigt sich nur auf Teil-Embargo für schwarzes Gold
Ein Embargo ist das »behördliche Verbot des Exports und/oder Imports von Gütern und Dienstleistungen«, verrät uns das Online-Lexikon Wikipedia. Insofern ist das, was da in der Nacht zum Dienstag in Brüssel beschlossen wurde, kein richtiges Embargo. Zwar will die EU wegen des Ukraine-Kriegs auf Öleinfuhren aus Russland verzichten, aber nur auf jene, die bislang über den Seeweg kamen. Der Import über die Pipeline Drushba soll auch weiterhin möglich sein. Die in den 1960ern gebaute Trasse verbindet die russischen Erdölfelder mit Raffinerien in Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Somit profitiert auch Deutschland von dem Kompromiss. Schließlich wird die PCK-Raffinerie in Schwedt über den Nordstrang der Drushba-Pipeline versorgt. Zumindest mittelfristig wird das Öl also weiter fließen zur Raffinerie, die etwa Berlin und Brandenburg mit Benzin und Diesel versorgt. Deutschland will aber, ebenso wie Polen, bis zum Jahresende auf russisches Öl verzichten.
In den Verhandlungen war es vor allem der ungarische Premier Viktor Orbán, der sich gegen ein Embargo stemmte. Der Rechtspopulist hatte immer wieder erklärt, sein Land sei zu abhängig von russischen Lieferungen. Weil die 27 EU-Mitgliedsstaaten die Sanktionen einstimmig mittragen müssen, führte an Orbán kein Weg vorbei. Triumphierend erklärte er nun auf Facebook: »Unsere Familien können ruhig schlafen, wir haben die haarsträubende Idee abgewehrt.« Auch der Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen, wertete den Kompromiss als Sieg Orbáns und Putins: »Ein Zwei-Drittel-Öl-Embargo ist wie kein Embargo.« Zuvor hatte EU-Ratspräsident Charles Michel bestätigt, dass das Embargo höchstens zwei Drittel der Ölimporte betreffe. Später rechnete er noch einmal nach und kam auf 75 Prozent. Trotzdem behauptete Michel, die EU übe »maximalen Druck auf Russland aus, den Krieg zu beenden«.
Analysten bezweifeln, dass die Sanktionen Putin tatsächlich treffen werden. Der durch Krieg und Sanktionen steigende Ölpreis könnte seine Einnahmenverluste kompensieren. Bereits die Ankündigung des EU-Ölembargos hatte den Preis an den Weltmärkten hochgetrieben. Die »Financial Times« warnt, dass es derzeit nicht genug frei verfügbares Öl auf dem Weltmarkt gebe. Der weltgrößte Ölexporteur Saudi-Arabien weigert sich, seine Ölproduktion hochzufahren, und lehnt die Strafmaßnahmen des Westens gegen Russland ab. Moskau wird sich andere Abnehmer für sein Öl suchen. Statt Rotterdam werden die Öltanker nun verstärkt indische und chinesische Häfen anlaufen.
Doch Zweifel am Sinn der Sanktionen ließ man in Brüssel nicht erkennen. Der Kommission kann es gar nicht schnell genug gehen. Ursprünglich sollte der Ölimport aus Russland bereits zum Winter vollständig auslaufen. Lediglich Ungarn und die Slowakei sollten für eine begrenzte Zeit weiterhin russisches Öl importieren dürfen. Doch Orban pokerte in den Verhandlungen immer höher, verlangte zwischendurch bis zu 18 Milliarden Euro als Entschädigung für ein Importverbot.
Nicht nur Ungarn erwies sich bei den wochenlangen Verhandlungen um das sechste Sanktionspaket als Bremsklotz. Auch die Slowakei und Tschechien hängen an der Drushba-Pipeline und drängten auf Ausnahmen. Interessanterweise gehörten auch die USA zu dieser Koalition der Bremser. Die regierenden Demokraten von US-Präsident Biden fürchten, bei den wichtigen Zwischen-Wahlen im November die Quittung für steigende Benzinpreise zu erhalten. Bei einem Besuch Bidens in Brüssel hatte seine Delegation ihre diesbezüglichen Bedenken deutlich gemacht.
Das ursprünglich geplante Transportverbot für russisches Öl ist am Widerstand von Griechenland, Zypern und Malta gescheitert. Alle drei Staaten wollten das Verbot aus Rücksicht auf die eigenen Reedereien nicht mittragen. Im auf dem Brüsseler Gipfel beschlossenen Sanktionspaket wird das Transportverbot nicht einmal mehr erwähnt. Stattdessen soll die russische Sberbank vom internationalen Zahlungsverkehr via SWIFT abgeschnitten werden. Doch auch das ist halbherzig, denn die für den russischen Staatshaushalt viel wichtigere Gazprombank, über die alle Gasgeschäfte mit der EU laufen, darf im SWIFT-System bleiben. Ein paar symbolische Sanktionen treffen russische Staatsmedien und weitere Bürger*innen Russlands, die man für Putin-Unterstützer*innen hält.
Zudem einigte sich der Gipfel auf »Sonderfinanzhilfen« für die Ukraine in Höhe von neun Milliarden Euro, um den dringenden Liquiditätsbedarf Kiews zu decken. Die anwesenden Staats- und Regierungschefs betonten, dass die Unterstützung der EU für den Wiederaufbau »an die Durchführung von Reformen geknüpft wird, die mit ihrem europäischen Kurs im Einklang stehen«. Offenbar fürchtet man in Brüssel, die Hilfsmilliarden könnten in dem notorisch korrupten Land einfach versickern.
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