Unersetzliche Diplomaten

Streik in Frankreichs Außenamt am Quai d‘Orsay gegen Reform und Streichungen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

An einer Arbeitsniederlegung im französischen Außenministerium haben sich am Donnerstag mehrere hundert vor allem jüngere Diplomaten und Mitarbeiter, aber auch mehr als ein Dutzend Botschafter und einige Direktoren, Abteilungsleiter und andere hohe Beamte beteiligt. Die Angehörigen des gewöhnlich sehr zurückhaltenden Berufsstandes wollen mit dieser außergewöhnlichen Aktion gegen die geplante Reform des Ministeriums protestieren. Die sieht eine massive Streichung von Posten im Inland, die Schließung zahlreicher Konsulate oder die Verkleinerung von Botschaften im Ausland vor, um Kosten zu sparen. Ganz besonders richten sich die Proteste aber gegen die Absicht, in diesem Zuge auch gleich die Diplomaten als eigenständigen Berufsstand abzuschaffen. Der Streik wird von allen Gewerkschaften außer der regierungsnahen und reformistischen CFDT getragen.

Entzündet hat sich der Konflikt an einem Regierungsdekret, das ohne Konsultation des Betriebsrates und gegen die Bedenken des seinerzeitigen Außenministers Jean-Yves Le Drian zwischen den beiden Wahlgängen der Präsidentschaftswahl erlassen wurde. Es sieht im Zuge einer grundlegenden Reform des Staatsapparats vor, mit Wirkung vom 1. Januar 2023 die beiden Korps der »Berater für internationale Angelegenheiten« und der »Geschäftsträger von Auslandsvertretungen« aufzulösen und diese heute rund 800 Personen in der Gesamtheit der »höheren interministeriellen Staatsbeamten« aufgehen zu lassen. Dasselbe Schicksal trifft das Korps der Präfekte, die den Staat in den Departements repräsentieren.

Die Diplomaten befürchten, dass sie künftig jederzeit aus ihrer spezifischen Berufslaufbahn abberufen und in ein anderes Ministerium versetzt werden können und dass sie bei der Bewerbung um Auslandsposten auf Konkurrenten aus anderen Behörden stoßen werden. Stellvertretend für sie äußert sich der langjährige Botschafter in den USA und bei der Uno, Gérard Araud, der inzwischen im Ruhestand ist. Er prangert den »völlig praxisfernen Ansatz der Reform« an. Vor allem warnt er davor, dass in Frankreich die in den USA verbreitete Praxis einzieht, »verdienstvolle« Personen aus Politik oder Wirtschaft mit einem prestigereichen diplomatischen Posten zu »belohnen«.

Ein junger Beamter des Ministeriums, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, sagte gegenüber der Zeitung »Le Monde«: »Diplomat zu werden ist eine Berufung und eine Entscheidung fürs Leben. Wir sind speziell ausgebildet und nicht beliebig austauschbar. Unsere Berufslaufbahn baut sich über viele Jahre auf durch gesammelte Erfahrungen auf Posten in verschiedenen Ländern und bei internationalen Verhandlungen.«

In einer Erklärung der beteiligten Gewerkschaften heißt es: »Diese Reform spiegelt den uns unverständlichen Willen wider, unser Ministerium zu untergraben und ein großes Risiko für die Fähigkeit unseres Landes einzugehen, sich in der Welt zu positionieren und seine Interessen nachhaltig zu vertreten.« Die Gewerkschaften verweisen darauf, dass das Personal des Ministeriums und der Auslandsvertretungen in den letzten 30 Jahren um die Hälfte gekürzt wurde, dabei allein in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent. In einem von mehr als 500 Diplomaten verabschiedeten und in der Zeitung Le Monde abgedruckten Offenen Brief wird gemahnt: »Der kürzliche Abzug aus Afghanistan, der gegenwärtige Krieg in der Ukraine und die gerade erst hinter uns liegende weltweite Corona-Pandemie haben einmal mehr gezeigt, wie wichtig die hochprofessionelle Fähigkeit für internationale Kontakte und Verhandlungen im Interesse des Friedens, des Fortschritts und des Zusammenlebens der Völker ist.« Das schließe nicht aus, dass zeitweise Beamte anderer Ministerien, Militärs, Experten aus der Wirtschaft, Wissenschaftler oder NGO-Vertreter in die Arbeit eingebunden werden. »Doch der Berufsdiplomat ist dadurch nicht zu ersetzen.«

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