Neustart bei der Wohnraumversorgung

Nach dem Abgang von Volker Härtig werden im Aufsichtsgremium die Karten neu gemischt

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Muss sich einen neuen Blockadeposten suchen: Ex-WVB-Vorstand Volker Härtig
Muss sich einen neuen Blockadeposten suchen: Ex-WVB-Vorstand Volker Härtig

»Die Finanzverwaltung strebt im Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen eine baldige Neuaufstellung der Wohnraumversorgung Berlin (WVB) – entsprechend den Richtlinien der Regierungspolitik – an. Das gilt auch für die Neubesetzung des Vorstands«, erklärt auf »nd«-Anfrage Alexis Demos, stellvertretender Sprecher der Finanzverwaltung. Der Senat werde dem Abgeordnetenhaus entsprechende Vorschläge unterbreiten.

Damit ist nun offiziell bestätigt, wenn auch indirekt, dass Volker Härtig den Vorstandsposten bei der WVB, die die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften beaufsichtigen und beraten soll, nicht mehr bekleidet. Am Dienstag hatte »nd« berichtet, dass der SPD-Politiker am 31. Mai seinen letzten Arbeitstag bei der Anstalt hatte und nach dem Weggang der Co-Vorständin Ulrike Hamann Ende März das Gremium nun kommissarisch verwaltet wird. Da die Wohnraumversorgung der Stadtentwicklungsverwaltung untersteht, leite sie die Verwaltung von Senator Andreas Geisel (SPD) »während der Übergangszeit federführend«, so die Finanzverwaltung.

»Es ist gut, dass Volker Härtig nicht weitermacht, denn seit seiner Besetzung wurde die Arbeit dieser wichtigen Institution blockiert«, sagt Niklas Schenker, mietenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Genauso sieht das auch die Initiative Mietenvolksentscheid. »Lange Zeit« habe Härtig, der Sprecher des für Mieten und Wohnen zuständigen Fachausschusses »soziale Stadt« der SPD Berlin ist, die Arbeit der Wohnraumversorgung blockiert.

Ulrike Hamann hatte ihre Kündigung Ende März öffentlich gemacht. Was sie seit einem Jahr als Vorständin der Wohnraumversorgung Berlin erlebe, sei nicht das, wofür der Mietenvolksentscheid organisiert worden sei, schrieb sie in einer Erklärung. »Ich gehe jetzt, weil das erkämpfte Instrument seit über einem Jahr blockiert ist«, schrieb sie weiter.

Ohne ihn beim Namen zu nennen, war klar, wer der Grund für die Blockade ist: Der Co-Vorstand Volker Härtig. Der SPD-Politiker ist gegen den massiven Widerstand der Berliner Mietenbewegung und der Koalitionspartner Grüne und Linke vom damaligen Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) Ende 2020 ernannt worden. Härtig polemisierte vor seiner Ernennung gegen den Mietenvolksentscheid, forderte Entlassung oder Rücktritt der ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und zeigte große Nähe zur Immobilienwirtschaft.

»Die Blockade gründet letztlich in einer unklaren Aufgabenbestimmung der Anstalt im Wohnraumversorgungsgesetz«, heißt es in einer Stellungnahme der Initiative für »nd«. Diese könne nur durch eine – in der anstehenden Novellierung des Gesetzes zu vereinbarenden – Neuausrichtung der WVB überwunden werden, heißt es weiter. »Oberstes Ziel muss dabei mehr Transparenz der Landes-Wohnungsunternehmen für die Mieterschaft und Politik in Berlin sein«, fordert die Initiative Mietenvolksentscheid.

Die im Wohnraumversorgungsgesetz festgeschriebene Funktion der WVB der »Evaluierung und Fortschreibung« der politischen Leitlinien des »Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrages« der Landes-Wohnungsunternehmen müsse größeres Gewicht bekommen. »Dazu müssen bestimmte Gesellschafterkompetenzen und Weisungsbefugnisse des Landes für die Unternehmen an die WVB mit zwei Schwerpunkten übertragen werden«, heißt es weiter von der Initiative.

Die Mietervertreter*innen fordern, dass die Wohnraumversorgung deutlich mehr Einfluss auf die Festschreibung der Geschäftspolitik der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften bekommen. 75 Prozent der Wohnungen im Bestand und sogar 100 Prozent im Neubau sollen künftig an Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen vergeben werden. Denn laut einer Studie des Stadtsoziologen Andrej Holm für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung fehlen in Berlin 360 000 Wohnungen mit Nettokaltmieten bis zu sechs Euro pro Quadratmeter. Rund 60 Prozent der Bevölkerung der Hauptstadt hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein.

Die WVB soll zudem eine »koordinierende und beratende Funktion zur Stärkung der faktisch nicht vorhandenen Zusammenarbeit zwischen den Landes-Wohnungsunternehmen« erhalten. Das Ziel der Initiative ist, dass die sechs Unternehmen »über Synergieeffekte« Kosten sparen sollen.

Die Initiative Mietenvolksentscheid fordert zudem, dass bei der Novellierung des Wohnraumversorgungsgesetzes auch die »Förderung der bislang unterentwickelten Beteiligung der Mieterschaft über Mieterräte und -beiräte und selbstorganisierte Strukturen in den Landes-Wohnungsunternehmen« definiert werden müsse.

Eine Forderung, die bereits in der letzten Legislaturperiode akut war, denn Rot-Rot-Grün wollte bereits damals das Wohnraumversorgungsgesetz novellieren. Der Referentenentwurf lag schließlich im Februar 2021 vor. »Weil darin der Begriff Mitbestimmung auftauchte, erklärte die zuständige Fachpolitikerin der SPD-Fraktion, Iris Spranger, ihn für unvereinbar mit Aktien- und Handelsrecht, und blieb dabei, als die Verwaltung als Kompromiss den Begriff ›Mitbestimmung‹ im Entwurf durch ›Mitwirkung‹ ersetzte«, sagte Horst Arenz vom Mietenvolksentscheid im Sommer 2021. Iris Spranger, die inzwischen Berliner Innensenatorin ist, entgegnete gegenüber »nd« damals: »Ich kann nicht das Aktien- und Handelsrecht aushebeln.« Sie sei »enttäuscht, auch vom Mieterverein, dass man das der SPD in die Schuhe schiebt«.

»Die WVB ist von der Berliner Mietenbewegung mit dem Wohnraumversorgungsgesetz erkämpft worden. Die Haltung der SPD zu den Mieteninitiativen kann deshalb – jenseits von Beteuerungen – symbolhaft an ihrer Position zur WVB gemessen werden«, heißt es heute vom Mietenvolksentscheid.

»Nun gilt es die Wohnraumversorgung Berlin endlich zu stärken«, sagt Grünen-Mietenexpertin Katrin Schmidberger zu »nd«. Aufgaben für die WVB gebe es genug, wie die Einrichtung einer Ombudsstelle für Mieter*innen der landeseigenen Wohnungsunternehmen, den Ausbau des Controlling, Mieter*innenmitbestimmung sowie Synergieeffekte beim Neubau zu organisieren. »Versuche, die WVB bei der Kontrolle der Landes-Wohnungsunternehmen zu schwächen, lehnen wir ab«, so Schmidberger weiter. »Wir werden im Rahmen der Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes den Auftrag der WVB erweitern«, kündigt sie an.

»Es braucht jetzt eine personelle Neuaufstellung, die der wichtigen Arbeit der WVB gerecht wird«, sagt Linke-Politiker Niklas Schenker. Die Anstalt sei ein »wichtiges Instrument zur Steuerung und Demokratisierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und wurde durch den Mietenvolksentscheid erkämpft«, erinnert er. Er erwarte, dass seine Fraktion an der Neuaufstellung beteiligt werde. »In der Vergangenheit war die WVB zu oft eher Dienstleister der Landeseigenen. Wir brauchen aber eine WVB als übergreifende Steuerungseinrichtung mit einer klaren Richtlinienkompetenz für deren Geschäftspolitik«, so Schenker weiter. Allerdings ist auch ihm die harte Haltung der SPD bekannt. »Ich fürchte, dass die personelle Neuaufstellung vom Senat zum Anlass genommen werden könnte, die WVB auch inhaltlich neu aufzustellen oder rückabzuwickeln. Das werden wir nicht zulassen«, sagt der Linke-Politiker.

»Bislang sind die Landes-Wohnungsunternehmen eine Black Box für Mieterschaft und Öffentlichkeit. Deshalb muss die Arbeit der WVB Thema im Parlament sein, vor allem ihre Berichte zur Kooperationsvereinbarung und zur wirtschaftlichen Lage der Unternehmen«, fordert der Mietenvolksentscheid.

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