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Umkämpfte Verfassung
Die Einführung des Sondervermögens für die Bundeswehr ins Grundgesetz hat unrühmliche Vorgänger
Um das Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Millionen Euro freizugeben, musste am Freitag die Verfassung geändert werden. Das ist bei weitem nicht die erste umstrittene Verfassungsänderung. Ganze 66 Änderungen hat es seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 gegeben. In diesen Änderungen spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik und damit auch die ihrer politischen Kämpfe.
Die 50er-Jahre waren geprägt von den Kämpfen gegen die Wiederbewaffnung. Im sich verschärfenden Ost-West-Konflikt suchte die Adenauer-Regierung von Anfang an die Nähe zur 1949 gegründeten Nato. Hiergegen formierte sich eine Friedensbewegung, die vor allem von christlichen Organisationen, Frauengruppen, den Gewerkschaften, kritischen Intellektuellen und der KPD getragen wurde. Trotz allen Widerstandes trat die Bundesrepublik 1955 der Nato bei und die Bundeswehr wurde gegründet, was 1956 mehrere Grundgesetzänderungen zur Folge hatte. Die KPD hatte nicht mehr viel Zeit, sich dazu zu äußern; sie wurde – als einzige kommunistische Partei in Westeuropa – noch im gleichen Jahr verboten.
Die hiernach einsetzende Ruhe hielt bis zur Mitte der 60er-Jahre. Die 1966 ins Amt gekommene Große Koalition aus SPD und CDU/CSU machte Ernst mit den Notstandsgesetzen. Sie finden 1968 Eingang in die Verfassung. Eingeführt wurden damit diverse Möglichkeiten zur Einschränkung von Grundrechten und demokratischen Verfahren bei Kriegen, Aufständen oder Katastrophen. Möglich wurde damit beispielsweise die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf den »Gemeinsamen Ausschuss«, ein Miniparlament aus Teilen von Bundestag und Bundesrat und die Übertragung der militärischen Befehlsgewalt auf die*den Bundeskanzler*in. Auch verschiedene Grundrechte sind seitdem im Notstandsfall sehr viel leichter einschränkbar: das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, die Freizügigkeit und wegen neuer Regelungen zur Wehrpflicht auch die Berufsfreiheit.
Die außerparlamentarische Opposition, vor allem Gewerkschaften und linke Studierendenverbände, liefen Sturm gegen die umfangreichen Verfassungsänderungen und Grundrechtsbeschränkungen, die böse Erinnerungen an Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung weckten. Durch diesen waren dem Reichspräsidenten im Ausnahmezustand umfangreiche Kompetenzen zugewiesen. Der Artikel 48 war zur Grundlage der Notverordnungen geworden, die zu Beginn der 30er-Jahre genutzt worden waren, um das Parlament teilweise zu entmachten.
Die Notstandsgesetze kamen trotzdem. Dass mit ihnen auch das Widerstandsrecht ins Grundgesetz aufgenommen wurde und die Anwendbarkeit des Notstandsrechts gegen Streiks beschränkt wurde, war für die Gegner*innen des neuen Ausnahmerechts nur ein schwacher Trost. Mit dem Scheitern des Widerstands gegen die Notstandsgesetze begann bereits 1968 die außerparlamentarische Opposition langsam zu zerfallen.
Ein Sprung in die 90er-Jahre: Auf die Wende, die selbst verschiedene Anpassungen des Grundgesetzes erforderlich machte, folgen die »Baseballschlägerjahre«. Das rassistische Klima und die Furcht vor angeblichem Missbrauch des Asylrechts führten nicht nur zu den Brandanschlägen von Mölln und Solingen sowie den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen. Es bildete auch den Hintergrund für den sogenannten Asylkompromiss – die weitgehende Abschaffung des Grundrechts auf Asyl durch eine am 6. Dezember 1992 beschlossene Verfassungsänderung. Einen grundgesetzlichen Anspruch auf Asyl hat man seitdem nicht mehr, wenn man über ein anderes Land der EU oder einen »sicheren Drittstaat« einreist. Asylsuchende aus »sicheren Herkunftsstaaten« müssen seitdem die Vermutung widerlegen, dass es in ihrem Herkunftsland keine Verfolgung gibt. Auch der Rechtsschutz von Asylsuchenden wurde mit der Verfassungsänderung eingeschränkt.
Doch zumindest kleinere positive Veränderungen hat die Verfassung auch erlebt. 1994 schlug sich der Einfluss der Frauen-, Umwelt- und Behindertenbewegung der 80er-Jahre im Grundgesetz nieder. Der Tier- und Umweltschutz fanden als Staatszielbestimmung über den neu geschaffenen Artikel 20a Eingang ins Grundgesetz. Die Gleichheitssätze aus Artikel 3 wurden um die Bestimmung ergänzt, dass Frauen und Männer nicht nur gleichberechtigt sind, sondern der Staat auch auf ihre tatsächliche Gleichberechtigung hinarbeiten soll. Zudem wurde der Artikel 3 um die Kategorie der Behinderung ergänzt, um eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Grundsatz auszuschließen.
Ein weiterer Dämpfer folgte jedoch bereits 1998 mit dem »Großen Lauschangriff«. Durch eine Änderung des Artikel 13 wurde die akustische Wohnraumüberwachung ermöglicht. Ein intensiver Eingriff in die Privatsphäre, den das Bundesverfassungsgericht 2004 billigte, auch wenn es seiner Anwendung hohe Hürden auferlegte. Die Bilanz der Verfassungsänderungen ist also nicht sehr ermutigend. Es zeigt sich aber auch, dass es immer auch linke Bewegungen waren, die gegen Angriffe auf die Verfassung und die Grundrechte gekämpft haben. Das kann man als hilflose Abwehrkämpfe abtun. Wie jedoch die Verfassung ohne den Widerstand der gesellschaftlichen Linken heute aussähe, mag man sich lieber auch nicht vorstellen.
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