Vom Schmerz zur Sucht

Kritik an leichtfertiger Verordnung von Opioiden

In Deutschland werden mehr Opioide verordnet als in den meisten anderen Ländern weltweit. Das ist ein Problem, weil diese starken Schmerzmittel ein hohes Suchtpotenzial haben. Insgesamt sind laut Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums mehr als 166 000 Menschen in Deutschland von Opioiden abhängig. Davon sind zwar längst nicht alle von medizinisch verordneten Medikamenten süchtig. Doch eine aktuelle Studie lässt darauf schließen, dass viele Ärztinnen und Ärzte zu leichtfertig Opioide verordnen. 

Eigentlich sollen Opioide wie Morphin, Fentanyl und Tilidin wegen der hohen Suchtgefahr nur in besonders schwerwiegenden Fällen, etwa bei Patienten mit Tumorschmerzen, und in Hospizen eingesetzt werden. In Deutschland erhalten jedoch mittlerweile überwiegend Patienten mit Rückenbeschwerden und Arthrose diese Medikamente, obwohl das bei diesen Erkrankungen nur in Einzelfällen erfolgen sollte. Das ist das Ergebnis des am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Opioid-Reports der Universität Bremen in Kooperation mit der hkk Krankenkasse. Die Ergebnisse wurden anlässlich des Aktionstags gegen den Schmerz am 7. Juni vorgestellt. Demnach sind Schmerzmittelverordnungen, die nicht zu den stark wirksamen Opioiden gehören, in den vergangenen 24 Jahren um 23 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum ist die Verordnung von Opioiden um 246 Prozent gestiegen. Damit gehört Deutschland international zu der Gruppe von Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Opioiden.

Den Forschenden zu Folge gebe es bislang aber kaum Studien, die einen Langzeitnutzen von Opioiden bei der Behandlung von Rückenschmerzen oder Arthrose belegen. Laut ärztlichen Leitlinien sollen starke Opioide eigentlich nur dann verordnet werden, wenn alle anderen therapeutischen Optionen erfolglos geblieben sind. Chronische Schmerzen sollten also zunächst durch Ergo- oder Physiotherapie behandelt werden, gegebenenfalls zusätzlich mit opioidfreien Schmerzmitteln. »Aber ob diese Optionen ausgeschöpft werden, ist fraglich. Der Griff zu Schmerzmitteln erscheint vielen als einfachster und günstigster Weg«, so Lutz Muth,wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen, zur Präsentation der Studie. 

Außerhalb von Deutschland ist die Lage teils noch viel dramatischer. So schätzt die US-amerikanische Gesundheitsbehörde, dass die Opioid-Epidemie in den USA etwa einer halben Million Menschen in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Leben gekostet hat. Das sind fast 500 000 Tote, an deren Krankheitsbeginn die ärztliche Verordnung zentral wirkender Schmerzmittel stand. Doch auch in einigen Staaten Europas sterben immer mehr Menschen am Missbrauch von Opioiden. Die Todesfälle in Deutschland sind zwar vergleichsweise gering. Aber wegen der hierzulande besonders hohen Verschreibung von Opioiden wurde Deutschland in einer OECD-Studie von 2019 empfohlen, entschieden gegen die Entwicklung vorzugehen.

Relativ neu ist, dass immer mehr Jugendliche Opioide missbrauchen. Während der Konsum von Heroin bei jungen Menschen seit Jahren sinkt, warnen Suchtmediziner vor einem Anstieg von Opioid-Abhängigkeit. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene aus präkeren Lebensverhältnissen gehören laut Expertinnen und Experten zur Hochrisikogruppe. 

Auch wenn in Deutschland keine Zustände wie in den USA herrschen, sei die Suchtgefahr von Opioiden auch hierzulande ein Thema, erklärte Cornelius Erbe, Bereichsleiter Versorgung bei der hkk zur Studienvorstellung. Die zunehmende Verordnung von Opioiden bei chronischen Schmerzen sei hier vor allem für 30- bis 40-Jährige zum Problem geworden. »Aus anderen Studien wissen wir, dass dies zu mehr stationären Suchtbehandlungen geführt hat.« Zu einer Verbesserung der Lage könnte eine Änderung der Verschreibungspraxis beitragen. Aber auch mehr Aufklärung seitens der Ärztinnen und Ärzte sowie eine bessere Betreuung von Schmerzpatienten.

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