Deutsch lernen schwer gemacht

Zu wenige Geflüchtete wissen von den kostenlosen Integrationskursen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein Schritt, der gerade für viele Geflüchtete ansteht, die vor drei oder vier Monaten aus der Ukraine nach Berlin geflohen sind. Nach dem Ankommen, Durchatmen, Unterkunft finden und sich durch den bürokratischen Urwald kämpfen, heißt es nun: Deutsch lernen. Das erzählt zumindest Diana Henniges, Sprecherin von Moabit hilft. Jeden Tag kämen Geflüchtete in die Beratungsstelle der Organisation und fragten nach Job und Sprachkursen.

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dürfen in Berlin und Brandenburg mittlerweile über 5000 Geflüchtete an den sogenannten Integrationskursen teilnehmen. Für Berlin wurde bis einschließlich Mai insgesamt 3532 ukrainischen Geflüchteten die Kursteilnahme genehmigt. Das bedeutet, dass das Bamf die Kosten für den üblicherweise 800 Unterrichtseinheiten umfassenden Sprach- und Orientierungskurs übernimmt.

Henniges sieht in diesen Zahlen keinen Erfolg. »Wir haben 45 000 registrierte ukrainische Geflüchtete in Berlin«, sagt sie zu »nd«, »wenn sich das Bamf mit dreieinhalbtausend Übernahmen rühmt, sollte es vielleicht die eigene Informationskampagne hinterfragen.« Ihrer Erfahrung nach erreiche die Möglichkeit, einen Integrationskurs zu besuchen, einen Großteil der Menschen gar nicht. »Dadurch können viele Geflüchtete nicht ihre Möglichkeiten ausschöpfen.« Wenn der Weg zur Sprachschule gefunden wurde, stelle sich mit der Antragstellung schon die nächste Hürde. Oft müssten die Schulen sich für die neuen Schüler*innen um den Papierkram kümmern.

Jian Omar, migrationspolitischer Sprecher der Berliner Grünen, ist die Problematik bewusst. »Wir müssen kreativ werden«, sagt er zu »nd«. Er schlägt vor, Infoblätter im Landesamt für Einwanderung und im Willkommenszentrum zu verteilen, um Menschen bei ihrer Registrierung oder der Beantragung des Aufenthalts zu erreichen. Vor allem Geflüchtete, die privat untergebracht und noch nicht registriert seien, fielen schnell durch das staatliche Netz.

Obwohl das Angebot, mit Integrationskursen kostenlos Deutsch zu lernen und dadurch das für bestimmte Leistungen notwendige Zertifikat zu erlangen, anscheinend nicht alle erreicht, sind die Kurse an den Berliner Volkshochschulen bereits gut besucht. Mehr als 1500 Ukrainer*innen und Ukrainer hätten sich angemeldet, mit der hohen Nachfrage sei auch die Lage angespannt.

Das Sekretariat der Volkshochschule Reinickendorf bestätigte den Andrang: Jeden Tag würden Interessierte anrufen, hieß es gegenüber »nd« – viel mehr als sonst. Simone Kaucher, Pressesprecherin des Deutschen Volkshochschul-Verbands sieht die größte Herausforderung beim gestiegenen Lehrkräfte-Bedarf. Eine Aktivierungskampagne des Bamf solle für Integrationskurse zugelassene und ausgestiegene Pädagog*innen zurück ins Boot holen, so Kaucher zu »nd«.

Eine andere Frage stellt sich für Geflüchtete aus Drittstaaten, die oftmals noch keinen sicheren Aufenthalt haben. Denn das Bamf finanziert die Integrationskurse nur für Personen mit langfristigem Aufenthaltsstatus, aber nicht denjenigen, die sich noch im Asylverfahren befinden oder nach einem negativen Bescheid nur geduldet sind. Zwar bietet das Land Berlin mit eigenen Mitteln Sprachkurse unabhängig vom Aufenthaltstitel an. Doch Diana Henniges sieht Probleme bei der Umsetzung des sogenannten »Berliner Weges«. »In der Praxis funktioniert das nicht, weil die Leute trotzdem ihren Antrag beim Bamf stellen. Wenn es diese Sonderwege gibt, müssen die Leute auch davon wissen, sonst bringt das alles nichts.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.