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Mehr als Russland

Ostausschuss der deutschen Wirtschaft setzt nun vor allem auf Polen und Tschechien

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Juni 1989: Gorbatschow spricht vor dem Ost-Ausschuss in Köln.
Juni 1989: Gorbatschow spricht vor dem Ost-Ausschuss in Köln.

Russlands Krieg bringt den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft im Jubiläumsjahr in eine heikle Lage. Seit Jahrzehnten wird der Verband, in dem 350 Unternehmen Mitglied sind, darunter viele namhafte Konzerne wie Allianz, Deutsche Bank oder Siemens, als Wirtschaftsförderer für Russland und die dort aktiven Firmen angesehen. Die Frage, wie es nun weitergehen soll, überschattet die Mitgliederversammlung an diesem Mittwoch in Berlin.

Der Ost-Ausschuss war im Dezember 1952 in Köln gegründet worden, um westdeutsche Unternehmen in der Sowjetunion und den RGW-Staaten zu unterstützen, und sollte nach dem Willen von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) die Regierung beraten. Er war in den 1950er Jahren an ersten Handelsverträgen beteiligt und ab 1970 maßgeblich in die Erdgas-Röhren-Geschäfte mit der UdSSR involviert. Tatsächlich wurde der Verein zu einer der einflussreichsten Lobbygruppen in der Bundesrepublik. Zum Jubiläumsjahr gratulierte auch Präsident Frank-Walter Steinmeier (SPD): Der Ost-Ausschuss habe nicht nur die Interessen seiner Mitglieder im Blick gehabt, sondern auch immer wieder Beiträge zum friedlichen Wachsen und Zusammenwachsen unseres Kontinents geleistet.

Doch der russische Angriff scheint alles zu ändern. Noch am Tag des Einmarsches reagierte der Ost-Ausschuss: »Wir sind zutiefst erschüttert über den russischen Überfall auf die Ukraine«, ließ sich Vorsitzender Oliver Hermes in einer Mitteilung zitieren. »Wir fordern Präsident Putin eindringlich auf, die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.« Auch dieser Krieg werde nur Verlierer kennen.

Dabei planten noch im Januar deutsche Spitzenmanager, mit Wladimir Putin über die wirtschaftlichen Beziehungen zu sprechen. Die vom Ost-Ausschuss in Berlin organisierte Videokonferenz sollte am 3. März stattfinden. Mindestens der Vorstandsvorsitzende der Metro AG hatte bereits zugesagt.

Der Ost-Ausschuss habe sich immer auch als »Brückenbauer« gesehen, der zur politischen und gesellschaftlichen Verständigung und Aussöhnung mit der Region beitrage, so Hermes, im Hauptberuf Chef des Dortmunder Pumpenherstellers Wilo. »Aus Geschäftspartnern sind dabei vielfach Freunde geworden.« Hermes appellierte daher auch an die vielen russischen Freunde und Partner: »Erheben sie ihre Stimme und helfen sie mit, diesen Krieg zu beenden!«

Zum Amtsantritt der Ampel-Koalition im Dezember hatte der Ost-Ausschuss noch eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland gefordert. »Die neue Bundesregierung sollte sich in Brüssel weiter für einen EU-Russland-Gipfel einsetzen«, sagte Hermes. Ohne Russland sei eine Lösung vieler europäischer und internationaler Probleme unrealistisch, egal, ob es um Umwelt-, Sicherheits- oder Wirtschaftsfragen gehe. Die Parteien hätten in ihren Wahlprogrammen zudem eine enge Zusammenarbeit beim Klimaschutz gefordert. »Auf solche Felder gemeinsamer Interessen sollten wir uns wieder stärker konzentrieren.«

Allerdings sind »die Felder gemeinsamer Interessen« kleiner als vielfach angenommen. Die deutschen Ausfuhren nach Russland brachen im März im Jahresvergleich um 58 Prozent ein, der Export nach Belarus sank um die Hälfte. Sanktionen, Logistik- und Finanzierungsprobleme sowie der Rückzug deutscher Unternehmen hinterlassen deutliche Spuren. Als Folge rutscht die Handelsbilanz mit Russland tief in die roten Zahlen, da gleichzeitig die Preise für Energie und Rohstoffe massiv gestiegen sind.

Das »wirtschaftliche Rückgrat« des deutschen Osthandels ist ohnehin nicht Russland, sondern es sind die mittelosteuropäischen Nachbarn Polen und Tschechien. Schon im ersten Quartal 2021, also lange vor dem Ukraine-Krieg, war der Warenverkehr mit den beiden Ländern viermal so hoch wie der mit Russland. Selbst Ungarn verwies Russland auf Rang vier im deutschen Osthandel.

Dies spiegelt die ungünstige Wirtschaftsentwicklung in der Amtszeit Putins wider: Während Russland weiterhin Rohstoffe und einfache Grundstoffe ausführt, haben Polen, Tschechien und Ungarn eine international wettbewerbsfähige Industrie aufgebaut und dienen vor allem der deutschen Autoindustrie als verlängerte Werkbank. Insgesamt stehen die 29 Partnerländer des Ost-Ausschusses für ein Fünftel des deutschen Außenhandels – von den rund 500 Milliarden Euro entfielen 2021 auf Russland nur knapp 60 Milliarden.

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