- Berlin
- Asylpolitik
Erstaufnahme für Flüchtlinge muss womöglich schließen
Die Zukunft der Außenstelle in Doberlug-Kirchhain ab Sommer 2023 ist ungewiss
Am Flughafen Schönefeld plane Innenminister Michael Stübgen (CDU) ein Abschiebedrehkreuz, und in Doberlug-Kirchhain werde, wahrscheinlich um die Kosten auszugleichen, die Erstaufnahme für Flüchtlinge geschlossen. Diesen schwerwiegenden Verdacht äußert die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) am späten Mittwochnachmittag im Innenausschuss des Landtags. Sie verliest eine Bitte, die sie kurzfristig von Betriebsratschefin Carolin Steinmetzer-Mann erhalten hat. Nämlich die, schon am Donnerstag um 10 Uhr nach Doberlug-Kirchhain zu kommen, um mit dem Betriebsrat über drohende Kündigungen zu sprechen und darüber, wie sich das verhindern lässt.
Am 30. Juni 2023 solle die Einrichtung geschlossen werden, steht in der E-Mail der Betriebsrätin. Darüber habe Olaf Jansen, Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs, bei einer Belegschaftsversammlung am 1. Juni informiert. Der Hauptsitz der Behörde befindet sich in Eisenhüttenstadt. Die Außenstelle in Doberlug-Kirchhain wird vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben. Beim DRK und bei einer Wachschutzfirma ist das Personal angestellt. Es gehört nicht zum öffentlichen Dienst. Kündigungen sind deshalb einfacher zu bewerkstelligen.
»Sie erklären 150 Menschen, dass sie nächstes Jahr keinen Job mehr haben werden«, schimpft die Abgeordnete Johlige. Sie ist empört über diesen Umgang mit den Beschäftigten, aber auch mit den Landtagsabgeordneten. So einen Abbau zu betreiben und nicht von sich aus den Innenausschuss darüber in Kenntnis zu setzen – Johlige kann es nicht fassen. Das nimmt sie Innenminister Stübgen übel, zumal er beim Abschiebekreuz ähnlich gemauert habe.
Die Außenstelle der Erstaufnahme in Doberlug-Kirchhain wurde 2015 in einer Kaserne eingerichtet, als in Brandenburg Zehntausende syrische Flüchtlinge eintrafen und die Kapazitäten zur Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt nicht mehr ausreichten. Damals wurden weitere Filialen in Frankfurt (Oder), Potsdam und Wünsdorf eingerichtet. Pläne, auch noch eine Kaserne in Strausberg für die Aufnahme von Flüchtlingen zu ertüchtigen, legte der damalige Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) 2017 zu den Akten, als wieder weniger Flüchtlinge kamen.
Die Außenstelle in Doberlug-Kirchhain blieb aber bis heute erhalten, und angesichts der Lage in der Ukraine sollte sie es auch bleiben, findet Johlige. Auch wenn das Innenministerium nun berichtet, dass inzwischen schon weniger Ukrainer ankommen.
Zwischenzeitlich wurden in Doberlug-Kirchhain zentral für die gesamte Bundesrepublik afghanische Ortskräfte der Bundeswehr aufgenommen, die nach dem Sieg der radikalislamischen Taliban in ihrer Heimat nicht mehr sicher waren. Am Mittwoch waren von 1090 Plätzen in Doberlug-Kirchhain lediglich 222 belegt – so viel beziehungsweise so wenig wie im Durchschnitt der letzten Tage und Wochen. Diese Auskunft erhielt Johlige nun im Ausschuss. Staatssekretär Markus Grünewald bestätigt, dass im Zuge der Haushaltsverhandlungen die Kapazitäten insgesamt – von 4800 Plätzen sind 1489 belegt – nach den Notwendigkeiten neu geordnet werden sollen.
Eine Schließung von Doberlug-Kirchhain und ein maßvoller Ausbau des Standorts Wünsdorf werden erwogen. Für Doberlug-Kirchhain laufen die Verträge mit dem DRK und für den Wachschutz aus. Es gebe aber die Option für eine Vertragsverlängerung. Endgültig entschieden sei noch nichts, beteuert Staatssekretär Grünewald. Minister Stübgen ergänzt: »Wir sind schlichtweg verpflichtet, haushaltssparsam zu verfahren.« Bei der Belegschaftsversammlung ist er nicht dabei gewesen. Darum kann er nur mutmaßen: »Dass eine endgültige Schließung angekündigt wurde, glaube ich eher nicht.«
Johlige entgegnet: »Es ist ja bei den Mitarbeitern mindestens so angekommen.« Die Betriebsratsvorsitzende Steinmetzer-Mann werde sich das nicht ausgedacht haben. Johlige kennt die 42-Jährige, die selbst einmal Landtagsabgeordnete war, denn von 2004 bis 2014 gehörte Steinmetzer-Mann der Linksfraktion an.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.