- Politik
- Die Linke in der Krise
Plural statt dissonant
Luxemburg-Stiftung will Strategiedebatte der Linken wiederbeleben
Wenn sie über ihre Partei spricht, sieht man Dagmar Enkelmann an, wie sehr sie deren aktuelle Misere schmerzt. Seit über 30 Jahren brennt sie für eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus. Und als Umweltpolitikerin setzte sie sich auch schon für einen ökologischen wie sozialen Wandel ein, als viel weniger Menschen als heute sich der Notwendigkeit dafür bewusst waren. Am Mittwochabend stellte die langjährige Bundestags- und Landtagsabgeordnete der Linken und heutige Vorsitzende der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung eine gut 30-seitige Broschüre vor. Titel: »Eine starke Linke ist möglich und wird gebraucht! Zehn Herausforderungen für einen solidarischen Aufbruch«.
Enkelmann ist eine der Autorinnen, neben ihr sprachen die Koautoren Heinz Bierbaum und Mario Candeias über Zweck und Ziel der Veröffentlichung. Bierbaum war stellvertretender Vorsitzender der Linken und ist heute Präsident der Europäischen Linken, Candeias ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Stiftung. Die ist Herausgeberin der Veröffentlichung und will, so Bierbaum, damit die im Februar 2020 in Kassel begonnene – und seiner Ansicht nach fatalerweise wieder eingeschlafene – Strategiedebatte der Partei wiederbeleben. Dafür wolle man auch die Räume der Bundesstiftung wie auch der Landesstiftungen zur Verfügung stellen. Ein wesentlicher Grund für die Nichtfortführung der hierarchiefreien Debatte war indes die Corona-Pandemie, der erste Lockdown wurde kurz nach der Strategiekonferenz von Kassel verfügt.
Nach der jüngst veröffentlichten quantitativen Analyse des Potenzials der Linken, das danach weiterhin auf 18 Prozent der Wahlberechtigten geschätzt wird, wolle man Anregungen geben, wie sie dieses Potenzial ausschöpfen und wirkungsmächtiger für ihr Ziel einer solidarischen, demokratischen und sozialistischen Gesellschaft eintreten könne, sagt Enkelmann. Dazu gehöre auch die Analyse, was zum Niedergang der Partei geführt hat. Der habe nämlich schon vor rund zehn Jahren begonnen, konstatierte sie: »Nach jeder Wahlschlappe haben wir gesagt: Es darf kein Weiter so geben. Und es gab ein Weiter so.«
Enkelmann betonte mit Blick auf den kürzlich unter anderem von Sahra Wagenknecht unterzeichneten »Aufruf für eine populäre Linke« zugleich, die Broschüre solle kein weiterer Appell an die Partei sein. Die Verfasser hätten vielmehr das Ziel herauszufinden, was das Gemeinsame sei, »was uns alle politisch verbindet«. Man wolle zu »offenem und öffentlichem Dialog« aufrufen, in dem Zweifel benannt werden dürfen, der aber frei von gegenseitigen Verdächtigungen sein solle. Jeder bislang veröffentlichte Aufruf hebe dagegen das Trennende hervor.
Bierbaum hob mit Blick auf die erste benannte Herausforderung unter dem Titel »Strategisch orientierte Führung herstellen« hervor, die Partei müsse sich auf ihre Leistung besinnen, eine »linke plurale Kraft« geschaffen zu haben, in der verschiedene Positionen »anerkannt und nicht denunziert werden«. Derzeit gebe es vor allem Dissonanzen und ein »Nebeneinander« verschiedener Machtzentren.
Candeias benannte die drei auch im Papier aufgeführten »Teilprojekte«: ein »linkssozialdemokratisches«, auf die soziale Frage fokussiertes, das vor allem von Kräften aus der im Westen entstandenen Linke-Vorläuferorganisation WASG und von Prominenten wie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine getragen ist; das der Bewegungslinken, der sich vor allem die »jüngeren und aktivistischeren« orientierten Teile der Partei zugehörig fühlen sowie drittens das vor allem von ostdeutschen Politikern geprägte Reformerlager..
Die Autoren des Papiers finden, der Partei fehle seit Jahren ein »strategisches Zentrum, basierend auf der Einheit von Bundespartei und Bundestagsfraktion«. Diese Einheit müsse noch in diesem Jahr hergestellt werden, »wenn Die Linke noch eine Zukunft haben soll«, heißt es im Papier. Es könne nicht weitergehen, dass die Partei in allen entscheidenden Fragen wie der ökologischen, der Außenpolitik und der Migrationspolitik ein Bild der Zerrissenheit biete, sagte Candeias.
Die Beschlüsse des Erfurter Parteitags in zwei Wochen werden für das Überleben und die Neuaufstellung der Partei in vieler Hinsicht entscheidend sein – auch die personellen. Seit Mittwochabend gibt es mit Janis Ehling einen ersten Bewerber für das Amt des Bundesgeschäftsführers. Am Mittwochabend gab er seine Kandidatur im Online-Netzwerk Facebook bekannt. Fast zeitgleich teilte Amtsinhaber Jörg Schindler mit, er werde nicht erneut kandidieren. Ehling, der seit Anfang 2021 dem Parteivorstand angehört, sagte gegenüber »nd«, er habe Schindler vor einigen Wochen informiert, dass er als Geschäftsführer kandidieren wolle, woraufhin es ein Gespräch in solidarischer Atmosphäre gegeben habe. Seine Mitgliedschaft in der Bewegungslinken lasse er ab sofort ruhen, sagt Ehling.
Schindler wiederum schreibt auf Facebook, sein Entschluss, nach vier Jahren im Amt nicht mehr zu kandidieren, stehe schon länger fest. In seiner Erklärung dazu erinnert er an sein teilweise erfolgreiches Bemühen, den innerparteilichen Streit um die Migrationspolitik zu befrieden. Zugleich kritisiert er scharf »Kakofonie« und »Vielstimmigkeit« statt Pluralität und insbesondere die für die Partei schädlichen Versuche, das Nebenprojekt »Aufstehen« zu etablieren.
Derweil zog der Thüringer Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff seine Kandidatur als stellvertretender Parteivorsitzender zurück. Am Mittwoch sagte er in Erfurt, es spreche manches dafür, dass sich sowohl Sören Pellmann als auch Martin Schirdewan als Vize-Vorsitzende bewerben würden, sollten sie nicht als Kovorsitzende gewählt werden. Deswegen trete er zur Seite und werde sich auf andere Weise für die Erneuerung der Partei engagieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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