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Nicht zu Gast bei Schweden
Ein Online-Trend beschmutzt das Skandinavienbild der Deutschen
Schweden – damit verbinden viele Deutsche minimalistische Inneneinrichtung, rot angestrichene Häuschen, Seenlandschaften und etwas reservierte, aber freundliche Menschen.
Auch eines der schwedischen Nationalgerichte, Köttbullar – Fleischbällchen, die meist mit Preiselbeerkompott serviert werden –, ist dank der Restaurants eines großen Möbelhauses hierzulande bekannt und beliebt. Gern fährt man in den Urlaub gen Norden, wo man sich freundlich aufgenommen wähnt. Doch ist das wirklich so? Ein Online-Trend griff nun das Image der Schweden an, und das kurz vor dem schwedischen Nationaltag: Unter dem Hashtag »swedengate« beklagten viele in den Sozialen Medien die mangelnde schwedische Gastfreundschaft.
Begonnen hatte alles mit einem Beitrag auf der Diskussions-Website Reddit, der später auf Twitter geteilt wurde. In dem Beitrag berichtet ein anonymer Nutzer davon, dass er bei einem schwedischen Freund zu Besuch gewesen sei und dort nichts zu essen bekommen habe. Stattdessen habe er in seinem Zimmer warten müssen, bis die Familie ihre Mahlzeit beendet hätte. Die Empörung unter den Internetnutzer*innen war groß. Viele weitere berichteten davon, dass sie zu Besuch bei Schweden gewesen seien und dort nichts zu essen bekommen hätten.
Darunter ist auch der 29-Jährige Saman Anbarlo, der in Schweden als Kind eingewanderter Eltern aufwuchs. Auf Facebook schreibt er davon, wie er früher bei einem schwedischen Freund zu Besuch war, um Videospiele zu spielen. »Dann haben seine Eltern gerufen: ›Das Essen ist fertig!‹ Ich bin dann zur Küche gelaufen, weil ich hungrig war, und sah drei Teller auf dem Tisch stehen.« Keiner für ihn. Im Gespräch mit »nd« bekräftigt Anbarlo, dass es ihm im Alter von neun bis 14 Jahren viele Male so gegangen sei. »Aber es ist wichtig zu wissen, dass das nur schwedische Eltern so machen. Keine Schweden mit Migrationshintergrund. Schwedische Eltern mit Migrationshintergrund laden immer zum Essen ein«, meint er. »Nicht alle in Schweden sind so geizig wie gebürtige Schweden.«
Neben solcherlei Klagen über die mangelnde schwedische Gastfreundschaft finden sich in den Sozialen Medien aber auch kommentierende zynische Beobachtungen. Manche schreiben, die Berichte und der Hashtag hätten den Ruf des Landes mehr zerstören können als Menschenrechtsverletzungen der schwedischen Politik. Andere wiederum, vor allem Schwed*innen, versuchen, rationale Erklärungen für ihr Verhalten zu finden.
So schreibt die Nina Svalstedt, Floristin aus Göteborg und Mutter von zwei Kindern, dass es sich bei der Gastmahlverweigerung um eine ältere schwedische Sitte handele, die heute nicht mehr oft vorkomme. Sie sagt gegenüber dieser Zeitung: »Als ich Kind war, war das so. Ich erinnere mich gut daran, dass wir immer im Zimmer warten mussten, während nur die aßen, die zur Familie gehörten.« In ihrer Kindheit in den 1970er Jahren hätten die Mütter, die oft nicht erwerbstätig waren, größere Abendessen gekocht und dem Essen sei eine andere Bedeutung zugekommen. Die aufwendigen Abendessen konnten nicht mit allen geteilt werden. »Mit meinen eigenen Kindern habe ich das aber nicht so gemacht«, erklärt sie.
Christian Sörli, junger Vater von zwei Kindern aus Göteborg, hat dieses Verhalten dagegen noch nicht erlebt: »Natürlich lädt man die Freunde seiner Kinder zum Essen ein, wenn sie zu Besuch sind«, sagt er, konsterniert über die Berichte unter »#swedengate«. »Wenn ich meine Kinder um 19 oder 20 Uhr bei Freunden vom Essen abhole, erwarte ich, dass sie bereits gegessen haben. Wenn ich hören würde, dass sie hungrig sind und nichts bekommen haben, wäre ich sauer«.
Auch wenn viele Menschen, die in Schweden leben, die mangelnde Gastfreundschaft der Schweden bereits erlebt haben und sich teils empören, teils Erklärungen abliefern, stellt sich die Frage: Ist diese Sitte überhaupt ein rein schwedisches Problem? Eine Userin kommentierte zum Beispiel unter einem Beitrag auf Instagram, sie hätte solche Geschichten auch schon aus Deutschland gehört.
Bei #swedengate geht es inzwischen um viel mehr als die fehlende Essenseinladung. In einem Beitrag wird zum Beispiel beklagt, dass Schweden nicht nur Kinder hungern lasse, sondern dass im Land auch »rassistische Eiscreme« verkauft würde. Gemeint ist ein Stileis mit dem Namen »88« – die Zahlenkombination wird auch von Nazis gerne verwendet, weil sie »Heil Hitler« symbolisieren soll. Andere Internetnutzer*innen erinnerten unter dem Hashtag an die Debatte um die heute »Chokladboller« genannten ehemaligen »N-Wort-Boller«, ein schwedisches Schokoladenkonfekt. Die Reaktion der Rechten ließ nicht lange auf sich warten. Sowohl schwedische als auch deutsche Rechte bezeichneten Berichte von Migrant*innen als übertriebenes Jammern. Andere waren der Meinung, Unterstützer*innen des russischen Präsidenten Wladimir Putin hätten den Hashtag ins Leben gerufen. Inzwischen hat sogar die »Behörde für psychologische Verteidigung« in Schweden den Fall untersucht und eine gezielte Meinungsbeeinflussungskampagne ausgeschlossen.
Während der Fall in Schweden also durchaus ernst genommen wird, sorgt er international für Belustigung. Die britische Zeitung »The Guardian« titelte »It’s a Scandi-Scandal« und widmete sich dem Internet-Phänomen eher auf ironische Art. Sie zitierte die Schwedin Linda Johannson, die in einem Meinungsartikel in »The Independent« schrieb, dass es die Tradition wirklich gebe – ihr als Kind sei es aber egal gewesen, nichts bei Freund*innen zu essen bekommen zu haben.
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