- Wirtschaft und Umwelt
- EU-Taxonomie
EU-Parlament kann Greenwashing stoppen
Widerstand gegen Taxonomie-Pläne der Europäischen Kommission bei Atom und Gas
Ausschusssitzungen des EU-Parlaments sind keine emotionalen Veranstaltungen. Oft geht es um dröge Rechtsfragen und komplizierte Kompromisse. Doch am Dienstag gab es Jubelschreie und lauten Beifall, denn eine Mehrheit der Mitglieder in den Ausschüssen für Wirtschaft und Umwelt hatte gegen die Pläne der EU-Kommission gestimmt, Atomkraft und Gas als nachhaltig einzustufen. Diese hatte beide Energieträger in ihre Klimataxonomie aufgenommen, die zukünftig als grünes Ökosiegel für Investments fungieren soll.
Dieses Siegel soll es Banken und Fonds einfacher machen, ihr Geld in grüne und nachhaltige Anlagen zu stecken. So könnten in den kommenden Jahren Milliarden in »nachhaltige« Atom- und Gaskraftwerke fließen. Um das zu verhindern, hatte eine ganz große Koalition aus Liberalen, Linken, Grünen und Sozialdemokrat*innen in der vergangenen Woche einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich gegen die Aufnahme von Atom und Gas in die EU-Taxonomie ausspricht.
Am Dienstag sollten der Wirtschafts- und der Umweltausschuss über diesen Antrag entscheiden. Beobachter wie der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss hatten im Vorfeld eine »enge Abstimmung« erwartet. Wenn das Vorhaben gestoppt werden soll, dann nur durch das Parlament. Im EU-Rat müssten sich 20 der 27 Mitgliedstaaten dagegen aussprechen. Angesichts der großen Sympathien für die Atomkraft im Osten der EU ist hier kein Widerstand zu erwarten. Bleibt nur das Parlament. In Brüssel war man gewarnt und schickte am Dienstag die für Finanzdienstleistungen zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuiness in die Ausschüsse. Doch sie konnte die Abgeordneten nicht mehr überzeugen.
Nun wird sich das Plenum des EU-Parlaments Anfang Juli mit der Frage befassen. Dieses könnte die Taxonomie nur mit der absoluten Mehrheit von 353 Stimmen aufhalten. Michael Bloss macht eine entsprechende Rechnung auf: »Eine Allianz von knapp 200 Sozialdemokrat*innen, Grünen und Linken, wenigen Liberalen und einigen Konservativen wird sicher für die Ablehnung des Rechtsakts stimmen. Über 100 Abgeordnete gelten derzeit als unentschlossen und das Abstimmungsverhalten weiterer 100 Abgeordneter ist unklar.« Ganz ausgeschlossen ist es also nicht, dass der Rechtsakt noch scheitert. Selbst in der konservativen EVP-Fraktion gab es teilweise offene Unterstützung für den Entschließungsantrag.
Felix Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik warnte am Dienstag vor allzu großer Euphorie und verwies auf die jüngst im Parlament gescheiterte Reform des Emissionshandels, für die es zuvor in den Ausschüssen entsprechende Mehrheiten gegeben hatte. »Ich würde nicht zu viel darauf wetten, dass das Plenum die Taxonomie ablehnt«, so der Wissenschaftler. Wie dem auch sei: Das Vorgehen der Kommission hat den Unmut vieler Abgeordneter vergrößert. Weil es in den Verhandlungen zur Taxonomie keine Einigung bei Atom und Gas gab, wurden beide im ersten Rechtsakt vom April 2021 ausgeklammert. Erst im »ergänzenden delegierten Rechtsakt« holte man das nach. Wobei das Timing bemerkenswert war: Die Kommission schickte die umstrittene Ergänzung am 31. Dezember um 23.50 Uhr an die EU-Länder. Das Parlament informierte man erst gar nicht.
Zudem kommt das Greenwashing in Form eines delegierten Rechtsakts, der die Einspruchsmöglichkeiten stark einschränkt. Auch wenn es offiziell nie bestätigt wurde, ist die Taxonomie doch ein Deal zwischen Frankreich und Deutschland. Paris setzt immer noch auf Atomkraft, während Deutschland trotz des Ukraine-Krieges abhängig von russischem Erdgas ist. Und so erklärte man das Gas kurzerhand zu einem »Übergangsbrennstoff bei der Dekarbonisierung« und Atomkraft zur »CO₂-armen Energiequelle«. Neue Atomkraftwerke dürfen als nachhaltig bezeichnet werden, wenn ein Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab 2050 vorliegt. So reicht man das Problem an die nächste Generation weiter.
Bei diesem dreisten Greenwashing wurden Kriterien für Atom und Gas aufgestellt, die »wissenschaftlich nicht fundiert sind«, wie es aus der Fraktion The Left heißt. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Europäischen Parlament, Martin Schirdewan, betonte am Dienstag: »Die EU-Kommission muss akzeptieren, dass man den Leuten kein X für ein U vormachen kann.«
Tatsächlich widerspricht die Aufnahme von Atom und Gas den eigenen Kriterien für nachhaltige Investitionen. Zumal der Ukraine-Krieg das Hauptargument der EU-Kommission, nämlich die Versorgungssicherheit, quasi zerschossen hat. Denn Russland liefert nicht nur Gas nach Europa, sondern auch den Brennstoff für viele Atomkraftwerke. Nach Angaben von Euratom kommen rund 40 Prozent des in der EU verbrauchten Urans aus Russland und dem mit ihm befreundeten Kasachstan. Zudem sind viele Reaktoren russischer Bauart und dementsprechend auf Ersatzteile sowie Fachpersonal aus Russland angewiesen.
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