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- "Pride Month"
Nicht bunt, sondern wütend
Für Tarek Shukrallah ist es eine Klassenfrage, ob ein selbstbestimmtes queeres Leben möglich ist – auch im »Pride Month«
Vom ersten bis zum letzten Tag im Monat Juni zelebriert eine wachsende globale Gemeinschaft den »Pride Month«. Dieser findet in Erinnerung an die als Stonewall-Riots bekannt gewordenen Straßenkämpfe vor der New Yorker Stonewall Inn auf der Christopher Street 1969 statt, bei denen sich vorwiegend Schwarze und migrantische trans* Personen, Schwule, Lesben und Sexarbeiter*innen gegen diskriminierende Polizeigewalt zur Wehr gesetzt haben. Sie gelten als Auslöser für die »gay pride«-Bewegung, die in den Christopher Street Days in Deutschland ihr Pendant findet.
Trotz radikaler Ursprünge auch in Deutschland scheint von den durchaus erfolgreichen Bewegungen vor allem ein alljährliches Fest der eigenen Sichtbarkeit geworden zu sein, das in den Sommermonaten die zentralen Plätze der großen und kleinen Städte füllt. Zweifelsohne ist das schon eine ganze Menge, bedenkt man, dass die Sichtbarkeit von Menschen jenseits der heterosexuellen Norm im Alltag weiterhin zu massiven, oft physisch gewaltvollen Gegenreaktionen führt. Sich der Angst und Scham selbstbewusst zu widersetzen und Raum einzunehmen, um lustvoll das eigene Leben zu feiern, ist nach wie vor eine emanzipatorische Leistung.
Tarek Shukrallah ist Politik- und Sozialwissenschaftler*in, politische*r Referent*in und Aktivist*in in antirassistischen und queeren Bewegungen. Shukrallah arbeitet aktuell vor allem zu den Schwerpunktthemen Intersektionalität und Klassenpolitik.
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Weil die Zeiten rigider Diskriminierung in Deutschland der Vergangenheit angehören zu scheinen, sind Wirtschaft und öffentliche Institutionen nun auch geneigt, Publikum jenseits der heterosexuellen Kleinfamilie anzusprechen. Und so hissen die Rathäuser der Nation, der Volkswagen-Konzern, das Facebook-Unternehmen META sowie Google und Co. die Regenbogenfahne. Das Modeunternehmen Calvin Klein bringt eine »Pride Kollektion« heraus. Und Adidas wirbt mit »Love Unites« für seltsam bemalte Sportbekleidung. Die Polizei stellt inzwischen migrantische, schwule und lesbische »Diversitätsbeauftragte« ein, und eine trans Frau in der Bundeswehr ist prominent in allen Medien. Auf den Paraden der Christopher Street Days des Landes laufen sie jetzt alle mit: Pharma-Unternehmen, Social-Media Konzerne und die Automobilindustrie.
Mit Regenbogenfahnen zu werben, ist profitabel geworden. So wird an eine finanzkräftige schwul-lesbische und trans Mittelschicht appelliert, sich mit Symbolen zu identifizieren, die dann in den wenigen Wochen relativer Angstfreiheit im Sommer stolz zur Schau gestellt werden können. Schnell vergessen ist dabei, dass die große queere Mehrheit zu wenig Geld und auch sonst kaum Zugang zu diesen Gütern hat: Lesben, Schwule und trans Personen sind nach wie vor überproportional von Armut und Obdachlosigkeit betroffen und finden sich in prekären Arbeitsverhältnissen wieder. Für trans Personen ist das Leben mit korrigiertem Namen und Geschlechtseintrag mit einem horrenden finanziellen Aufwand verbunden, der für viele außer Reichweite ist. Es ist also weiterhin eine Klassenfrage, ob ein selbstbestimmtes queeres Leben möglich ist.
So sehr es sich prominente schwule Politiker anders wünschen mögen: Der alleinige Kampf für rechtliche Gleichstellung und »Diversität« löst kein Problem, weil Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit zu den Grundfesten der kapitalistischen Klassengesellschaft gehören. Wenn beispielsweise queere Menschen im Bundestag für Kriegswaffen und gegen Mietendeckel stimmen, ist nichts gewonnen.
Solange der Umgang mit Diskriminierung nicht als ein grundlegendes Problem, sondern als eine Frage gesellschaftlicher Vielfalt verhandelt wird, bleiben queere Menschen und People of Color Randgruppen, die in eine gesellschaftliche Mitte eingebunden werden sollen. Statt um Appelle an die »Buntheit« der Gesellschaft muss es darum gehen, das Deutungsmonopol dafür, was als Norm gilt, grundlegend zu hinterfragen: eine Kernaufgabe linker Kritik. Die Sichtbarkeit queerer Menschen mitsamt ihrer Lust und Wut im »Pride Month« gibt uns einen Vorgeschmack auf eine gesellschaftliche Utopie, in der wir ohne Angst verschieden sein können und in der ein gutes Leben für alle möglich ist.
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