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Im sportpolitischen Spagat
Bernd Neuendorf zieht nach 100 Tagen an der DFB-Spitze eine erste Bilanz
Einen bunten Strauß an Themen hat Bernd Neuendorf schon früher angepackt. Aus seiner Tätigkeit als Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen mit Verantwortung für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport kennt der neue Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eng miteinander verwobene Arbeitsfelder. Insofern kommt dem gebürtigen Dürener seine herausfordernde Aufgabe beim krisengeplagten Verband wie ein Déjà-vu vor. Sein Vorhaben nach den ersten 100 Arbeitstagen: »Wir wollen nicht mehr die Getriebenen sein, sondern eine treibende Kraft.«
Tatsächlich ist beim DFB, auch bedingt durch den Umzug in die neue Akademie, eine vorsichtige Aufbruchsstimmung zu spüren. Neuendorf würde von einer »gewissen Stabilität«, nicht aber von Ruhe sprechen. Denn eine »produktive Unruhe« sei gewollt, um neue Ideen durchzubringen. Ein ernster Gedanke ist es, den umstrittenen Begriff »Die Mannschaft« für das A-Nationalteam der Männer endgültig einzumotten. Zuletzt hatte der mächtige DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke eine Abschaffung angeregt.
Neuendorf kündigte nun an, zeitnah eine »repräsentative Umfrage« in Auftrag zu geben. Er sei kein Freund von einer »Never-ending-Story«, sagte der 60-Jährige: »Dann haben wir eine Entscheidung und können uns auf das Sportliche konzentrieren.« Wenn auch die DFB-Gremien dem Ansinnen folgen, ist die DFB-Auswahl also bald eine Bezeichnung los, die im Ausland beliebter schien als hierzulande. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit sieht der SPD-Mann ansonsten darin, den deutschen Fußball wieder besser in der Politik zu vernetzen.
Den Rest der Woche werde er deshalb in Berlin verbringen, um gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund wichtige Themen zu hinterlegen. Da gehe es auch um die hohen Energiekosten, die für manchen der knapp 25 000 Fußballvereine existenzbedrohend werden können. Ausdrücklich lobte Neuendorf die Regierung dafür, dass sie sich gegen das Projekt einer europäischen Super League stellt, die aus seiner Sicht »ein Frontalangriff auf das europäische Sportmodell« wäre. Demnächst wird eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof behandelt.
Einen sportpolitischen Spagat erfordert die Katar-Thematik, die Neuendorf auch schon mal auf dem falschen Fuß erwischen kann. Von den Sportschau-Enthüllungen über das im Norden des Emirats gebaute und über die Fifa gebuchte Basiscamp der DFB-Auswahl hatte Neuendorf bis zur Veröffentlichung angeblich keine Kenntnis. Die mit Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen im Austausch befindliche Generalsekretärin Heike Ullrich fliegt für diese Themen regelmäßig nach Katar. Neuendorf kündigte an: »Unabhängig vom Quartier werden wir als DFB ein eigenes Prüfverfahren einleiten, wenn wir mit Dienstleistern zusammenarbeiten, um Arbeitnehmerrechte zu wahren.«
Doch letztlich bleibt die Gemengelage heikel, und so kann Bernd Neuendorf die Euphorie des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino für die bevorstehende Wüsten-WM nicht teilen. Die ganzen Umstände seien fragwürdig. »Es ist eine Veranstaltung, bei der man sagt, ob es die größte und tollste Veranstaltung aller Zeiten wird – da würde ich mal ein Fragezeichen dahinter machen.« Weil Neuendorf aber den Platz von Peter Peters im Fifa-Council einnehmen soll, will er kein Zerwürfnis mit dem Schweizer Strippenzieher riskieren. »Ich registriere, dass an der einen oder anderen Stelle Kritik laut wird an Infantino. Er ist in Teilen umstritten. Wichtig ist, persönlich mit ihm in den Austausch zu kommen«. Eine Vorverurteilung anzustellen, ohne in den Dialog zu treten, sei »nicht redlich und nicht fair«. Neuendorf will sich international dafür einsetzen, dass zumindest die europäischen Mannschaften »eine Position absprechen und Flagge zeigen«.
Positiv ist für den größten Sportverband die neueste Mitgliederstatistik. 7,17 Millionen Mitglieder bedeuten eine neue Höchstmarke, davon spielen 2,21 Millionen aktiv Fußball. Ein stolzes Plus von 21,5 Prozent und der höchste Wert seit vier Jahren. In erschreckendem Maße sinken jedoch die Zahlen bei den Frauen und Mädchen, denn gerade noch 187 000 Spielerinnen sind registriert. »Da haben wir Probleme. Die Zahlen sind alarmierend«, gestand Neuendorf, der auch kein Patentrezept parat hatte, wie mehr Mädchen mit Migrationshintergrund gelockt werden könnten. Kurzfristig hofft der DFB-Chef auf einen Impuls durch die Frauen-EM in England und langfristig durch die Bewerbung mit den Niederlanden und Belgien um die Frauen-WM 2027. Insbesondere der deutsche Frauenfußball muss dringend bunter werden, will er zukunftsfähig bleiben.
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