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»Kolumbien wird sich verändern«
Künftiger Staatspräsident Gustavo Petro verspricht nach seinem Sieg wahrhaftigen Wandel
Gustavo Petro und Francia Márquez, die Spitzenkandidaten des Linksbündnisses Pacto Histórico, errangen nach Angaben der Wahlbehörde rund 50,4 Prozent der Stimmen. Ihre Gegner, Rodolfo Hernández und seine Mitstreiterin Marelen Castillo, erhielten 700 000 Stimmen weniger und damit etwa 47,3 Prozent.
Das offizielle Ergebnis wird erst in den kommenden Tagen bekannt gegeben. Hernández erkannte jedoch schon das vorläufige Resultat an. Der Bauunternehmer mit Millionenvermögen, der sich in der ersten Runde überraschend gegen den Kandidaten der Rechten durchgesetzt hatte, sagte, er hoffe, dass »Kolumbien sich auf den Weg des Wandels begibt, für den die Bevölkerung gestimmt hat«. Insgesamt waren rund 39 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. 58 Prozent, so viele Menschen wie selten zuvor, machten von diesem Recht auch Gebrauch. Die Wahlbeobachtungsmission MOE, der auch zahlreiche internationale Beobachter angehörten, sprach trotz mehrerer Unregelmäßigkeiten von einem insgesamt ruhigen Wahlverlauf.
»Es ist ein zweifellos historischer Tag. Wir schreiben Geschichte«, rief Petro in einer Event-Arena in der Hauptstadt Bogotá am Abend seinen jubelnden Anhängern zu. »Es steht ein wahrhaftiger Wandel an. Ab dem heutigen Tag wird sich Kolumbien verändern.« Aus dem ganzen Land posteten die Menschen in den sozialen Netzwerken Bilder von spontanen Jubelfeiern.
Auch Márquez, eine feministische Umweltaktivistin und Afrokolumbianerin, hatte zuvor in ihrer Ansprache auf die historische Dimension des Wahlsieges eines Linksbündnisses abgehoben: »Nach 214 Jahren Unabhängigkeit haben wir erreicht, dass es eine basisnahe Regierung gibt, eine Regierung der Leute mit von harter Arbeit schwieligen Händen, der einfachen Leute.« Genau jene waren es, die einen entscheidenden Beitrag zum Wahlsieg leisteten. Der »Pacto« konnte besonders in ärmeren, von sozialen und bewaffneten Konflikten gebeutelten Regionen an der Pazifikküste, in denen viele Afrokolumbianer*innen und Indigene leben, noch einmal zulegen im Vergleich zum ersten Wahlgang. In einigen Provinzen und Gemeinden erreichte er mehr als 80 Prozent der Stimmen.
Der Erfolg des Historischen Bündnisses, in dem sich soziale Bewegungen, Gewerkschaften und linke Parteien zusammengeschlossen hatten und das bereits bei den Kongresswahlen im März stärkste Kraft in beiden Kongresskammern geworden war, speist sich aus den sozialen Protesten der vergangenen Jahre. Zuletzt war es 2019 zu wochenlangen Demonstrationen gegen die Regierung des amtierenden rechten Präsidenten Iván Duque gekommen. Dabei wurden nach UN-Angaben 63 Personen getötet. Die meisten wurden Opfer der Gewalt staatlicher Sicherheitskräfte. In ihrer Ansprache erinnerte Márquez an sie und die zahlreichen Opfer politischer Gewalt der vergangenen Jahrzehnte. Der interne bewaffnete Konflikt in dem Land hat nach offiziellen Angaben seit Ende der 50er Jahre etwa 260 000 Menschen das Leben gekostet.
»Die Zeit des Hasses ist vorbei. Wir werden die Macht nicht dazu benutzen, den politischen Gegner zu verfolgen und zu zerstören«, sagte auch Petro mit Blick auf die politische Verfolgung, der sich in Kolumbien Linke und soziale Aktivisten bis heute ausgesetzt sehen. Kolumbiens neues Staatsoberhaupt war als junger Mann selbst Mitglied einer bewaffneten Bewegung gewesen, der 1990 demobilisierten M19-Guerila. Später wurde er ein bekannter Senatsabgeordneter, dann Bürgermeister von Bogotá. Er betonte am Wahlabend, er setze auf gesellschaftliche Versöhnung und Dialog. Die Opposition werde im Präsidentenpalast stets zu Gesprächen willkommen sein, so Petro, der eine »große nationale Übereinkunft« mit allen gesellschaftlichen Sektoren ankündigte.
Petros Programm sieht eine grundlegende Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik vor. Geplant ist eine stärkere Besteuerung hoher Kapitalvermögen und generell eine gerechtere Verteilung gesellschaftlichen Reichtums. »Wir werden den Kapitalismus in Kolumbien weiterentwickeln«, sagte Petro. Die traditionell liberale Wirtschaftselite des Landes betrachtet dessen Pläne mit Skepsis. Das Vorhaben, die Ausbeutung von Rohstoffen wie Erdöl und Kohle auslaufen zu lassen, die derzeit zusammen fast 50 Prozent des Exportvolumens ausmachen und deren Erlöse die Staatskasse füllen, gilt als unrealistisch. Petro hingegen will mit dem Übergang zu erneuerbaren Energien und verstärktem Umweltschutz einen Beitrag zum weltweiten Kampf gegen den Klimawandel leisten. Auch die USA lud er ein, gemeinsam mit den Ländern Lateinamerikas daran zu arbeiten.
Die Mehrheiten im Kongress muss die neue Regierung hingegen erst noch finden. Bereits im Wahlkampf hatte Petro sich um Zusammenschlüsse mit regionalen Wahlfürsten bemüht und Akteure aus den traditionellen Parteien bis in seinen engsten Beraterkreis vorgelassen. »Die Allianzen mit dem Establishment werden zur Folge haben, dass die Regierung nicht sehr links sein wird«, meint die Soziologin Sara Tufano im Gespräch mit »nd«. Zwar sei die Rechte durch die Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen geschwächt, dennoch müsse die neue Regierung in den kommenden vier Jahren mit einer harten Opposition rechnen. Die Bestimmung des Kabinetts bis zum Amtsantritt am 7. August wird einen ersten Hinweis auf die realpolitische Stoßrichtung geben. Die Besetzung eines Postens steht schon fest: Vizepräsidentin Francia Márquez soll ein noch zu schaffendes Ministerium für Gleichstellung führen.
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