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- "Finals 2022" in Berlin
Am »Nabel der Bogensportwelt«
Wie die Pfeilschützen vom Multisportevent »Finals 2022« in Berlin profitieren wollen
Am Donnerstag fiel in Berlin der Startschuss zu den »Finals 2022«. Bis Sonntag geht es in 14 verschiedenen Sportarten um insgesamt 190 Meistertitel. Die ersten Medaillen wurden im Fechten, Kanusport, Speed-Kanu-Polo, Turnen, Trampolinturnen und Triathlon vergeben. 2200 Aktive sind dieser Tage in der Hauptstadt, dazu Trainer- und Betreuerteams. Und Funktionäre wie Thilo von Hagen und Gerhard Furnier. Sie vertreten den Deutschen Schützenbund (DSB) als Referent für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit beziehungsweise Vizepräsident Sport.
Die rund 600 Kilometer vom Verbandssitz in Wiesbaden-Klarenthal haben beide gemeinsam und voller Vorfreude im Auto zurückgelegt. Einerseits, weil es zum »Nabel der Bogensportwelt« geht, wie von Hagen im Gespräch mit »nd« erzählt. Von insgesamt drei Bundesstützpunkten ist der Berliner der größte und wichtigste im Bogenschießen, das unter dem Dach des DSB organisiert ist.
Andererseits ist die Bühne, die das Multisportevent in Berlin bietet, einzigartig. »Superwichtig« findet von Hagen die Teilnahme der Pfeilschützen an dieser Veranstaltung. Der Verband sei sehr froh, dass er schon bei der Premiere in Berlin vor drei Jahren dabei gewesen und es jetzt wieder sei. Von Hagen empfindet das auch als »Anerkennung« – für sportliche Leistungen mit olympischen Medaillen und die Attraktivität des Sports. Mit stolzer Stimme sagt er: »Die Fernsehsender, die das Ganze ja mitorganisieren, finden, dass das Bogenschießen ein telegener Sport ist.«
Bei wunderbarem Sommerwetter lohnt sich aber allemal auch eine Fahrt zum Olympiastadion. Denn live kann der Bogensport ebenso begeistern. Wie 2019 fliegen die Pfeile wieder auf der beeindruckenden Anlage auf dem Olympischen Platz. Dort werden von Freitag bis Sonntag die Finalwettkämpfe mit dem olympischen Recurvebogen sowie in den nichtolympischen Disziplinen Blankbogen und Compound ausgetragen. Vor drei Jahren waren die Tribünen entlang der 70 Meter langen Bahn voll besetzt. Dass nur wenige Meter weiter ein Weltstar wie die Weitspringerin Malaika Mihambo in der großen Arena um den deutschen Meistertitel kämpfen wird, verdeutlicht den Reiz der »Finals 2022«.
Im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen ist nichts vom großen Glanz zu sehen. Wer den Bundesstützpunkt sucht, kann sich im Sportforum schnell verlaufen. Versteckt und viel zu klein dient den Bogenschützen eine ehemalige Schwimmhalle als größtes Trainingszentrum. Drinnen ist die Luft stickig und das Tageslicht nur spärlich. Eine »Materialbörse« an der Wand lädt wie in selbstorganisierten Freizeitvereinen zum Tauschen und Kaufen ein. Und: Die Halle ist nur 50 Meter lang. Somit fehlen 20 Meter zur Wettkampflänge. Hier wurden dennoch olympische Medaillengewinner groß. Allen voran die gerade erst zurückgetretene Lisa Unruh. Mit Silber in Rio gewann sie 2016 das erste deutsche Edelmetall im Bogenschießen überhaupt. Vor knapp einem Jahr in Tokio kam im Teamwettbewerb mit Michelle Kroppen und Charline Schwarz Bronze hinzu.
Weil es in ganz Deutschland keine einzige Halle mit einer Länge von 70 Metern für die Bogenschützen gibt, »müssen wir in teure Trainingslager fahren, beispielsweise in die Türkei«, berichtet Gerhard Furnier »nd«. Meckern aber will der DSB-Vizepräsident nicht. »Mit der finanziellen Förderung sind wir auf jeden Fall zufrieden. Wir sind in diesem PotAS-System gut eingegliedert und werden gefördert wie jede andere vergleichbare Sportart auch.« Um von diesem Potenzialanalysesystem des deutschen Sports weiterhin zu profitieren, gebe es im Verband durchaus eine gewisse Konzentration auf die olympische Disziplin mit dem Recurvebogen und die derzeit rund 20 Aktiven, die das Bogenschießen als Leistungssport betreiben.
»Mehr könnte es immer sein«, sagt Furnier mit Blick auf die Förderung. Solidarität scheint ihm aber ebenso wichtig: »Es gibt ja auch andere Sportarten, die was brauchen aus dem Topf.« Wahrscheinlich kann man nur mit einer solchen Einstellung einen Verband wie den DSB führen. Rund 14 000 Schützenvereine gibt es in Deutschland. Die Zahl der Bogenschützen schätzt Thilo von Hagen auf rund 75 000. Und er betont: »Alle Vereine sind ehrenamtlich geführt.« Dazu kämen die vielen ehrenamtlichen Trainer. Auch bei den Finals in Berlin seien alle Kampfrichter und die sportliche Leitung unentgeltlich im Einsatz. Von Hagen sagt: »Ohne Ehrenamt würde im DSB nichts funktionieren.«
In Berlin kämpfen diesmal 400 Bogenschützen um Medaillen. Die besten von ihnen profitieren in besonderer Weise von den »Finals 2022«. »So ein Finalstadion wie auf dem olympischen Platz gibt es nicht so oft. Das wird es erst wieder bei Olympia geben. Und dann haben womöglich die Sportler, die an den Finals teilgenommen haben, schon mal diese Erfahrung gemacht und tun sich in Paris leichter«, hofft von Hagen. Auf die Außenwirkung dieser besonderen Atmosphäre setzt Furnier. Als »TV-Randsportart«, wie er sagt, könne das Bogenschießen hier nur profitieren. Allein 25 Stunden lang berichten ARD und ZDF live in ihren Hauptprogrammen von dem Multisportevent, dazu kommen noch mehr als 70 Stunden in den Onlinestreams der beiden Sender.
Beides zusammen, herausragende sportliche Leistungen und eine große Öffentlichkeit durch weitere Großereignisse wie die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Berlin oder die Europameisterschaft in zwei Jahren in Essen, helfen bei der Entwicklung des Sports in jeder Hinsicht. Auch wichtige Sponsoren hätten in der jüngeren Vergangenheit dadurch gewonnen werden können, erzählt von Hagen. Vielleicht klappt es ja dann endlich auch mal mit einer ordentlichen Trainingshalle. Seit 2017 werden darüber immer wieder Gespräche geführt. 2023 hätte sie stehen sollen, auch als bestmögliche Vorbereitung auf die Sommerspiele 2024 in Paris. Wieder scheiterte es am Geld. Da im Bogenschießen in Olympiazyklen gedacht wird, hofft von Hagen jetzt auf Los Angeles: »Es wird wohl eher 2028 passieren.«
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