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»Massaker von Melilla« empört Spanien
Ministerpräsident Pedro Sánchez in Erklärungsnot nach den vielen Toten am Grenzzaun der Exklave
Auch im baskischen Seebad Donostia (span. San Sebastián) haben sich am Sonntag knapp 1000 Menschen spontan versammelt, um »gegen die menschenverachtende Politik« der spanischen Regierung zu protestieren. An den Grenzen zu den Exklaven »Ceuta und Melilla hat es bisher niemals ein Massaker dieser Größenordnung gegeben, deshalb ist es besonders wichtig, die Vorgänge öffentlich anzuprangern«, erklärte dort ein Sprecher von SOS-Rassismus.
In der spanischen Hauptstadt Madrid kamen nach Angaben von antirassistischen Organisationen etwa 2500 Menschen zu einer Demonstration zusammen. Sie prangerten das gewaltsame Vorgehen marokkanischer Sicherheitskräfte gegen etwa 2000 Flüchtlinge und Migranten an. Diese hatten am Wochenende versucht, die drei sechs Meter hohen Grenzzäune zwischen Marokko und Melilla zu überwinden. Nach offiziellen Angaben sollen bei den Vorfällen 23 Schwarzafrikaner ums Leben gekommen sein. Nichtregierungsorganisationen sprechen allerdings von mindestens 37 Opfern.
Auf jeden Fall ist es die bisher höchste Zahl von Toten an einem Tag an einer Landgrenze zwischen Europa und Afrika. Das Massaker von Melilla übertrifft selbst die Vorgänge 2014 am Strand von Tarajal in Ceuta. Damals ertranken 15 Menschen, als die spanische Guardia Civil mit Gummigeschossen und Gasgranaten auf Menschen schoss, die schwimmend versuchten, die spanische Exklave zu erreichen. Die Vorgänge blieben straflos. Auch in Melilla, so berichtet der Fotojournalist und Pulitzer-Preisträger Javier Bauluz, haben erneut spanische Sicherheitskräfte mit Gummigeschossen und Tränengas auf die Menschen geschossen. Sie seien dann zum Teil aus »großer Höhe zu Boden« gefallen, twitterte er. Gleichzeitig wurden sie von der marokkanischen Gendarmerie mit Steinen beworfen, wie auf einem auch von Bauluz veröffentlichten Video zu sehen ist.
Auf anderen Aufnahmen ist zu sehen, dass marokkanische Sicherheitskräfte auch auf der spanischen Seite der »Mauer« Jagd auf Schwarzafrikaner machen, sie dort festnehmen und mit Gewalt zurück auf das marokkanische Territorium treiben. »Wir haben Auftragskiller aus Marokko angeheuert, die auf unserem Boden agieren«, empört sich der spanische Journalist Quique Peinado auf Twitter. Zu sehen sind auf den verstörenden Videos auch Dutzende Menschen, die am Grenzzaun liegen, einige blutend und viele offensichtlich leblos, während marokkanische Sicherheitskräfte über ihnen stehen und nichts unternehmen. Zum Teil schlagen sie noch mit Schlagstöcken auf am Boden liegende Personen ein.
Hatte der spanische Regierungschef Pedro Sánchez das gewaltsame Vorgehen in Ceuta damals aus der Opposition heraus noch scharf verurteilt und für einen humaneren Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen geworben, fand er nun nur Lob für die Sicherheitskräfte. Diese hätten eine »außergewöhnliche Arbeit« geleistet und sich gegen einen »gewaltsamen Angriff auf die territoriale Integrität Spaniens« zur Wehr gesetzt und die Situation »gut gelöst«. Für die Vorgänge machte Sánchez Menschenschmuggler verantwortlich. Solche Worte entsetzen den Journalisten Peinado, der sich von dem Sozialdemokraten eine andere Reaktion erhofft hatte. Doch nun unterstütze dieser die Gewalt sogar, beklagt er.
Sánchez verlor kein Wort des Bedauerns für die Opfer oder ihre Angehörigen. Er kündigte auch nicht an, die Vorgänge untersuchen lassen zu wollen. Währenddessen wurden in Marokko im nahegelegenen Nador bereits Gräber ausgehoben, um die Toten rasch zu bestatten. Wie marokkanische Menschenrechtsorganisationen berichten, fordern die Afrikanische Union (AU) und auch Richtervereinigungen und Parteien in Spanien eine Untersuchung. Die Vereinigung »Richter für die Demokratie« (JJpD) und die »Progressive Union der Staatsanwälte« (UPF) verurteilten das Vorgehen in Melilla scharf. Es sei »vor allen anderen Überlegungen die Aufgabe der Behörden, das Leben und die Würde der Menschen zu schützen«. Eine Wiederholung solcher Vorfälle, bei denen »elementarste Menschenrechte in eklatanter Weise verletzt werden«, dürfe es nicht geben.
Für die AU nannte Moussa Faki Mahamat die Bilder der am Boden liegenden Migranten – viele von ihnen tot, andere schwer verletzt – »schockierend und beunruhigend«. Er kritisierte die »gewalttätige und entwürdigende Behandlung« der Flüchtlinge. Alle Länder hätten die »Verpflichtung, Migranten mit Würde zu behandeln«. Auch Mahamat fordert »unverzüglich« eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Doch eine solche ist nicht in Sicht.
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