Fehlende Daten, weniger Angebote

Kaum Wissen über Gesundheitsversorgung ungewollt Schwangerer – auch in Sachsen nicht

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Bundesweit geht die Zahl der Ärztinnen und Ärzte zurück, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wie der SWR am 24. Juni berichtete. So soll sich die Zahl der Arztpraxen, OP-Zentren und Kliniken, die den Eingriff vornehmen, in den letzten 20 Jahren halbiert haben. Das deutet auf eine sich verschlechternde Gesundheitsversorgung für ungewollt Schwangere hin.

Wie es um die Versorgungslage konkret bestellt ist, kann man aktuell nicht genau sagen. Daten seien schwer zu bekommen, erklärt Rona Torenz. Die Sexualwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin arbeitet an der bundesweiten, vom Gesundheitsministerium geförderten Elsa-Studie mit. Gemeinsam mit Kolleg*innen erforscht sie unter der Leitung von Professorin Daphne Hahn erstmals umfassend die Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer in Deutschland.

In Sachsen gab es vor zwei Jahren noch 109 Meldestellen. So werden in der Behördensprache Praxen oder Kliniken bezeichnet, die mindestens einen Abbruch im jeweiligen Jahr vorgenommen haben. Im bundesweiten Vergleich liegt Sachsen damit an vierter Stelle. »Und bezogen auf die Einwohnerzahl und die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter« könne im Vergleich zu anderen Bundesländern »von einer Spitzenposition des Freistaates ausgegangen werden«, erklärt das Sächsische Sozialministerium auf Anfrage.

Mutmaßungen als Grundlage für Gesundheitspolitik

Doch insgesamt ist auch in Sachsen der Trend rückläufig. Dem Sozialministerium zufolge gibt es im Freistaat aktuell nur noch 103 Meldestellen, sechs weniger als noch vor zwei Jahren. Und wie es konkret im ländlichen Raum aussieht, kann das Ministerium nicht beantworten. So gebe es keine Daten über Reisewege, die Frauen durchschnittlich zurücklegten, um einen Abbruch vorzunehmen. Und »eine tiefere Regionalisierung der Meldestellen als auf Ebene der Bundesländer ist nicht verfügbar«, heißt es auf Anfrage.

Die Sächsische Landesregierung kann mit Blick auf die Gesundheitsversorgung ungewollt Schwangerer in ländlichen Regionen folglich nur mutmaßen. Das Sozialministerium geht etwa für die Landkreise Leipzig und Nordsachsen von zwei Praxen und Einrichtungen aus, die Abbrüche vornehmen. »Für die in einer zumutbaren Entfernung erreichbare Stadt Leipzig« gebe es »sogar acht Einträge«. Vermutet wird, dass die Zahl höher liegen dürfte.

Ursula Seubert von Pro Familia Sachsen bestätigt auf Anfrage die Mutmaßung des Ministeriums. Der Verein setzt sich für sexuelle und reproduktive Rechte ein und bietet unter anderem Beratungsgespräche für ungewollt Schwangere an. Doch auch Pro Familia habe nicht in allen Landkreisen Beratungsstellen und darum auch nicht überall einen Einblick, sagt Seubert.

Weiter Weg zu einer guten Gesundheitsversorgung

Der fehlende Einblick in die tatsächliche Gesundheitsversorgung für ungewollt Schwangereerschwert es der Politik, angemessen mit schlechten und entwürdigenden Bedingungen umzugehen. Die sind aber offenbar nicht selten. Einer bundesweiten nichtrepräsentativen Umfrage der Rechercheplattform Correctiv.Lokal aus dem Frühjahr zufolge berichtet etwa jede vierte Frau, die einen Abbruch ausführen lassen wollte, von schlechten Erfahrungen. Diese reichten von abfälligen Kommentaren über mangelnde Aufklärung bis hin zu schlechter medizinischer Behandlung und Nachversorgung.

Eine Ursache ist laut Torenz in der Gesetzeslage zu suchen. So sei ein Problem, dass Schwangerschaftsabbrüche in Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs geregelt und nicht Teil des Gesundheitsrechts seien. Es fehle darum an weiterführenden Kriterien für eine gute Versorgung. So gebe es schlicht keinen Schlüssel für die Anzahl an Ärzten und Ärztinnen, die Abbrüche vornehmen, sagt Torenz. Die Gesundheitsversorgung bei Abbrüchen müsse dagegen bedarfsgerecht auf die Betroffenen ausgerichtet werden, fordert die Fuldaer Sozialwissenschaftlerin.

Hier sieht das Sächsische Sozialministerium vor allem den Bund in der Verantwortung. Es verspricht auf Anfrage, »Gesetzgebungsinitiativen der Bundesregierung im Sinne der Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes von Frauen und einer guten medizinischen Versorgung prüfen und begleiten« zu wollen. Ob Abbrüche aber tatsächlich Teil des Gesundheitsrechts werden und wie bis dahin eine gute Gesundheitspolitik möglich sein soll, ist unklar. Ohne Daten und Kriterien lässt sich das Wohl ungewollt Schwangerer schlicht nicht bemessen, geschweige denn garantieren.

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