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Für immer hinter Gittern
Lebenslänglich für den einzigen überlebenden Attentäter im Prozess um den Angriff auf das Bataclan
Angeklagt waren der einzige überlebende Täter sowie mehr als ein Dutzend Helfer des Terroristen, die bei ihrem Überfall auf Fußballfans am Stade de France in Saint-Denis, auf Besucher des Pariser Konzertsaals Bataclan und auf die Gäste von mehreren Caféterrassen 131 Menschen ermordet und 413 verletzt hatten, davon 99 schwer. Von den insgesamt 20 Angeklagten standen 14 vor Gericht, während gegen sechs in Abwesenheit verhandelt wurde. Von denen sind fünf möglicherweise inzwischen bei den Kämpfen in Syrien ums Leben gekommen. Der sechste befindet sich unter Terroranklage in türkischer Haft.
Das Gericht kam in seiner 120 Seiten langen Urteilsbegründung zu dem Schluss, dass 19 der 20 Angeklagten einer kriminellen terroristischen Vereinigung angehört hätten und in unterschiedlichem Maße an der Vorbereitung und Ausführung der Mordanschläge beteiligt gewesen seien. Lediglich bei dem Kleinkriminellen Farid Kharkhach, der falsche Papiere besorgt hatte, gelangten die Richter zu der Einschätzung, dass er allein aus Gewinnstreben gehandelt und den terroristischen Hintergrund nicht gekannt habe. Er kommt mit zwei Jahren Gefängnis davon, die durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt sind.
Hauptangeklagter war der einzige Überlebende des Mordkommandos, Salah Abdeslam. Während seinerzeit in Paris neun Täter im Schusswechsel mit der Polizei das Leben verloren oder sich mitten unter ihren Opfern in die Luft gesprengt hatten, hatte er seinen Sprenggürtel weggeworfen und war noch in der Nacht nach Brüssel geflüchtet. Ihn verurteilten die Richter zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe, die »incompressible« (nicht komprimierbar) ist, was praktisch bedeutet, dass er frühestens in 30 Jahren einen Antrag auf eine Änderung der Strafverbüßung beantragen kann. Der mittlerweile 32-jährige Salah Abdeslam, der in Brüssel in einer aus Marokko stammenden Familie geboren wurde und zum Tatzeitpunkt 26 Jahre alt war, machte im Prozess einen widersprüchlichen Eindruck. Während er sich anfangs stolz zum Islamischen Staat (IS) und dem von dort aus gesteuerten islamistischen Terror in Europa bekannte, behauptete er später, er sei erst wenige Tage vor den Anschlägen angeworben und bis zuletzt über deren Ausmaße im Unklaren gelassen worden. Ihm seien vor Ort Bedenken gekommen und deshalb habe er sich nicht wie befohlen in die Luft gesprengt. Er entschuldigte sich sogar unter Tränen bei den überlebenden Opfern und den Angehörigen der Toten. Am letzten Tag des Prozesses versicherte er, dass er »niemanden umgebracht« habe und »kein Mörder« sei.
Zu lebenslänglicher Haft mit 22 Jahren, die unbedingt zu verbüßen sind, wurde der Belgo-Marokkaner Mohamed Abrini verurteilt, der das Mordkommando nach Paris begleitet hatte, aber am Vortag der Anschläge nach Brüssel zurückgekehrt war. Er war ein Jugendfreund des Chefkoordinators aller Terroranschläge des IS in Europa, Abdelhamid Abaaoud, und spielte nach Überzeugung der Richter bei der Vorbereitung und Durchführung der Anschläge von Paris eine führende Rolle.
Die »Logistiker«, der Schwede Osama Krayem, der Tunesier Sofien Ayari und der Belgo-Marokkaner Mohamed Bakkali, die für das Mordkommando Unterkünfte gemietet und Waffen besorgt hatten, wurden zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, wobei zwei Drittel der Strafe nicht geändert werden können.
Der Algerier Adel Haddadi und der Pakistani Muhammad Usman, die eigens für die Teilnahme an den Pariser Anschlägen von Syrien nach Europa geschickt, aber an der griechischen Grenze festgehalten worden waren, wurden zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.
Ali Oulkadi, Hamza Attou und Abdellah Chouaa, die als einzige Angeklagte dem Prozess auf freiem Fuß beiwohnten und von der Staatsanwaltschaft als »kleine Lichter« bezeichnet wurden, hatten seinerzeit Salah Abdeslam auf seiner Flucht geholfen. Sie wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, die durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt sind, sodass sie nicht ins Gefängnis zurückkehren müssen. Dort bleibt dagegen Mohammed Amri, den Salah Abdeslam in der Nacht der Anschläge angerufen und der ihn mit dem Auto in Paris abgeholt und nach Brüssel gefahren hatte. Er wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Schwere Strafen erhielten die Angeklagten, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde. Ahmed Dahmani, der sich in türkischer Haft befindet, wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen zwei Drittel verbüßt werden müssen. Omar Darif, der die Sprenggürtel bereitgestellt hatte, Obeida Aref Dibo und Oussama Atar, die im Auftrag des IS die Aufträge für die Anschläge erteilt hatten, sowie die französischen Brüder Fabien und Jean-Michel Clain, die im Internet die Bekennerbotschaft des IS für die Pariser Attentate verkündet hatten, wurden – obwohl alle fünf höchstwahrscheinlich inzwischen tot sind – in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Der Prozess, der im September 2021 begonnen hatte, war der längste und aufwendigste in der französischen Rechtsgeschichte. Wegen des großen Interesses wurde in den historischen Justizpalast von Paris eigens ein weitläufiger Saal aus Holz eingebaut, der später wieder entfernt wird. Zahlreiche der insgesamt 2800 Nebenkläger, bei denen es sich um überlebende Opfer oder um Angehörige von Toten handelt, haben möglichst viele der insgesamt 148 Verhandlungstage vor Ort verfolgt. Wegen der historischen Bedeutung war ausnahmsweise entschieden worden, den gesamten Prozess zu filmen und zu archivieren. Kommentar Seite 8
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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