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Sport zu Kindern bringen

Weil Vereine immer mehr Mitglieder verlieren, schicken sie ihre Trainer vermehrt direkt in den Schulunterricht

Alba Berlins Jugendtrainer Stefan Ludwig trainiert seit Jahren mit Kita- und Schulkindern direkt in ihrem Viertel.
Alba Berlins Jugendtrainer Stefan Ludwig trainiert seit Jahren mit Kita- und Schulkindern direkt in ihrem Viertel.

Als eine Gruppe Zweitklässler auf der Lipschitzallee von ihrem Ausflug zurück zu ihrer Schule läuft bleiben zwei Schüler plötzlich stehen. »Hey Stefan!«, ruft der eine. »Spielen wir bald wieder zusammen?«, fragt der andere. Stefan Ludwig erklärt gerade Sportvereinsvertretern aus ganz Deutschland seine Arbeit. Am eindrucksvollsten zeigen sich deren Effekte aber durch die ständigen Unterbrechungen seines Vortrags beim Spaziergang durch die Gropiusstadt im Berliner Stadtbezirk Neukölln. Ludwig ist offenbar einer, der einen Eindruck hinterlässt bei jungen Menschen. Und der ist durchweg positiv. Immer wieder während dieser zwei Stunden in der Mittagshitze wird er von Kindern auf der Straße erkannt. Sie rufen ihm zu, winken, grüßen. Und der Mann im dunkelblauen Alba-Berlin-Shirt kennt fast alle beim Namen.

Stefan Ludwig ist Basketballtrainer und in der Jugendabteilung des Deutschen Meisters angestellt. Den Großteil seiner Arbeitszeit verbringt er aber an Kitas und Grundschulen der Gropiusstadt. Die Lisa-Tetzner-Grundschule, an der dieser Spaziergang gerade hält, kooperiert seit 2016 mit Ludwigs Arbeitgeber. Das tun noch neun weitere Berliner Schulen, meist in sogenannten sozialen Brennpunkten. Die Trainer von Alba bilden Tandems mit Sportlehrern und bekommen danach noch weitere Hallenzeiten für ihre Basketball-AG und das Vereinstraining. »Die Kinder betreuen wir schon seit der Kita«, sagt Ludwig. »Die Halle ist zwar 50 Jahre alt, aber sie haben jedes Mal Bock reinzukommen, weil sie den ganzen Alba-Weg mitgegangen sind.« Als »Alba Gropiusstadt« spielen die Grundschüler sogar im Ligabetrieb gegen andere »normale« Vereinsmannschaften, komplett in Alba-Trikots und mit dem selben Logo, das auch die Profis um Maodo Lo und Luke Sikma auf der Brust tragen.

Schulleiter Stephan Witzke freut das sehr, denn die Trainer helfen ihm immens. »Wir haben Alba in unseren Sportunterricht integriert, und ab dem nächsten Schuljahr wird unser Alba-Trainer der einzige Sportfachmann für 430 Schüler bei uns sein. Wir haben dann leider keinen anderen voll ausgebildeten Sportlehrer mehr«, beschreibt Witzke den krassen Personalmangel im Fach Sport, der gerade so viele Berliner Schulen trifft.

Dass Alba Berlins Trainer nicht nur klassische AGs am Nachmittag anbieten, sei durchaus im Sinne des Vereins, sagt Jugendkoordinator Nicholas Behne. »Wir wollen, dass sie schon im Schulalltag dabei sind, denn nur so funktioniert eine nachhaltige Bewegungsförderung.« Alba stellt die Trainer zwar an, die meisten verbringen dann jedoch wie Ludwig einen Großteil ihrer Arbeitszeit an Schulen und Kitas. Das Geld, das Schulleiter Witzke dafür an Alba zahlen muss, holt er sich aus einem Bonusprogramm für Schulen, bei denen mehr als die Hälfte der Eltern Transferleistungen erhalten. Andernorts ist es mal das normale Personalkostenbudget, das die Stelle finanziert, mal ist es der Förderverein, mal das Quartiersmanagement. Alba wiederum kann seinen Jugendtrainern auf diese Weise Vollzeitstellen bieten, anstatt von Ehrenamtlern und Werkstudenten abhängig zu sein wie so viele andere. Laut Behne wird das Jugendsport-Budget des Klubs nur noch zu etwa zehn Prozent aus klassischen Mitgliedsbeiträgen finanziert. Es ist also eine Win-Win-Situation für Schulen und Verein – und für die Kinder.

Vor einem Jahr gründete Alba seine Initiative »Sport vernetzt«, um sich mit anderen Vereinen deutschlandweit in Sachen Sozialarbeit auszutauschen. So auch mit den Rostock Seawolves, die vor wenigen Wochen in die Basketball-Bundesliga aufgestiegen sind. Auch die Mecklenburger arbeiten seit Jahren an Grundschulen und Kitas. Trotzdem sagt Benjamin Rausch, Verantwortlicher für die weibliche Jugend im Verein, dass die Vernetzung mit den Berlinern schon im ersten Jahr etwas gebracht habe: »Wir haben von Alba gelernt, mehr in Sozialräumen zu denken. Wir schließen nicht mehr Verträge mit nur einem Träger, wo Kinder beim Wechsel von der Kita zur Grundschule dann rausfallen können. Jetzt versuchen wir sie, vor allem in sozial belasteten Vierteln, viel länger zu begleiten«, so Rausch. Dort sei die Mobilität geringer, weil Eltern ihre Kinder nicht quer durch die Stadt zum Sportverein fahren, oft aus finanziellen Gründen. »Also bringen wir den Sport an die Bildungseinrichtungen der Kinder.«

An den Kitas wird noch kein Basketball gespielt. »Da machen wir eine Ballschule, Turnübungen, Bewegungsspiele, um die Koordinationsfähigkeiten der Kinder zu fördern«, sagt Rausch. Und immer alles spielerisch! »Stumpfes Anfersen funktioniert bei denen nicht.« Ab der zweiten Klasse erst wird es basketballspezifischer mit AGs. Einmal wöchentlich bieten die Seawolves ihre Dienste an.

Auch die Gesellschaft profitiere von dieser Arbeit. Studien hätten nachgewiesen: Wer sich früh im Leben viel bewegt, tut das auch häufiger als Erwachsener, sagt Rausch. »Natürlich haben auch wir etwas davon: Denn das eine oder andere Talent wird dabei sein, dem wir dann die Möglichkeit geben, auf hohem Niveau Basketball zu spielen.«

Die Seawolves finanzieren ihre Trainer und Materialen ebenfalls mit öffentlichen Mitteln. Gerade ist es das Programm »AUF!leben« der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, das Kinder nach der Pandemie wieder in feste Strukturen zurückbringen soll. Doch derlei Programme laufen bald aus, und bei Verhandlungen mit Politikern zur Verstetigung der Zahlungen hilft ein namhafter Verbündeter ungemein: »Alba weist seit Jahren nach, dass diese Arbeit etwas Positives bewirkt. Wir sagen den Politikern: ›Auch wir haben die Kraft, das bei uns zu stemmen.‹ Das macht die Überzeugungsarbeit leichter, als wenn man nur mit einer Idee daherkommt«, berichtet Rausch. Noch können die Seawolves ihre Trainer aber nur selten fest anstellen.

Selbst Fußball-Bundesligist SC Freiburg hat in seinem Sozialprogramm nur drei Hauptangestellte, dazu kommen 50 bis 60 Minijobber, Werkstudenten und Pauschalisten. Tobias Rauber leitet die Abteilung Gesellschaftliches Engagement und kooperiert schon seit Jahren mit Alba. Auch er spaziert beim »Sport vernetzt Summit« vergangene Woche mit durch das Neuköllner Quartier mit Kinderarmutsquoten von fast 50 Prozent.

Auch wenn es das in dieser Schwere in Freiburg so nicht gibt, finden auch dort immer seltener Kinder zu den Sportvereinen: »Im südbadischen Fußball wurde in den letzten zehn Jahren jede fünfte Jungsmannschaft und jedes zweite Mädchenteam abgemeldet. Das sind alarmierende Zahlen«, berichtet Rauber. »Die Vereine gehen kaputt.« Also bringt auch der SC den Sport direkt zu den Kindern. Davon profitieren wir, weil die dann ins Stadion kommen und vielleicht ein Trikot kaufen. Aber auch die kleineren Vereine, wenn aus den Kindern später Erwachsene werden, die ihr Leben lang Sport treiben. »Und wenn irgendjemand davon bei uns mal Profi wird, ist das cool, aber eben nur ein ›Abfallprodukt‹. Das passiert einfach. Nur nicht mehr zufällig. Denn je größer die Breite an Sportlern ist, desto mehr Talente sind unter ihnen.«

Alba Berlin agiert nach dieser Devise schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Der Verein baut Spiel- und Basketballplätze in Wohnvierteln wie am Abenteuer-Spielplatz in der Gropiusstadt. Bälle sind vor Ort, die Körbe höhenverstellbar, um das Angebot niederschwellig zu halten. Vor allem aber bringen sie Sport an Bildungseinrichtungen wie die Janusz-Korczak-Schule direkt nebenan. Dafür musste Alba viele bürokratische Hürden nehmen. Und die sind überall in Deutschland deckungsgleich, weshalb die Vernetzung für die Akteure auch so sinnvoll ist. »Mich beeindruckt, wie Alba damit umgeht. Der Verein ist Vorbild dafür, Hindernisse nicht als Problem anzusehen, sondern als Herausforderung, die man bewältigen kann«, sagt Marcel Fiß, Trainer in Rostock. »Da sind kreative Köpfe, die aktiv nach Lösungen suchen und Wege finden, diese dann umzusetzen. Gerade das macht ihnen Spaß, das motiviert sie.«

Fiß und sein Kollege scheinen nach ihrem Besuch in Berlin zumindest selbst motiviert genug zu sein, dass ihr Weg auch in Rostock der richtige ist: »Das ist die Zukunft«, sagt Benjamin Rausch. »Ein Sportverein muss sich mit Bildungseinrichtungen vernetzen. Anders wird es nicht mehr funktionieren.«

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