»Kulturwechsel ist nötig«

Fünf Jahre nach G20 in Hamburg: Deniz Celik (Linke) will Umdenken der Polizei

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Der G20-Gipfel in Hamburg ist fünf Jahre her. Viele Demonstrierende mussten sich vor Gericht verantworten. Dagegen wurde kaum wegen der Polizeigewalt ermittelt. Wie ist der Stand bei den Anklagen?

Insgesamt gab es 169 Verfahren gegen Polizist*innen, davon 133 wegen Körperverletzung im Amt. Mittlerweile wurden 145 Verfahren eingestellt. Es gab keine einzige Anklage und nur einen Strafbefehl gegen einen Polizisten, der in der Gefangenensammelstelle einen anderen Polizisten leicht am Finger verletzt haben soll. Das Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Deniz Celik

Deniz Celik ist innenpolitischer Sprecher der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft. Gaston Kirsche sprach mit ihm über fehlende Konsequenzen aus dem G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, bei dem es zu Polizeigewalt gegen Demonstrierende gekommen war.

Liegen Zahlen vor, wie viele Menschen bei den Gipfelprotesten von der Polizei verletzt oder traumatisiert wurden?

Es gibt leider nur Schätzungen, da viele Aktivist*innen aus Angst vor der Weitergabe ihrer Daten an die Polizei eine Versorgung im Krankenhaus oder bei niedergelassenen Ärzt*innen nicht in Anspruch genommen haben oder dort nicht angegeben haben, dass ihre Verletzungen im Zusammenhang mit den Gipfelprotesten stehen. Zum Glück gab es Demosanitäter*innen, die verletzte Aktivist*innen behandelt haben. Die offiziellen Zahlen sind daher unzureichend und es gibt ein großes Dunkelfeld. Bei den Verfahren gegen Polizeikräfte wegen Körperverletzung im Amt gibt es bei 49 Verfahren Erkenntnisse zu physischen Verletzungen, davon in sieben Fällen Knochenbrüche. Von 21 dieser Verfahren ist bekannt, dass die Geschädigten ambulant und in zwei Fällen stationär im Krankenhaus versorgt wurden. Über psychische Beeinträchtigungen ist dem Senat nichts bekannt.

Was wäre zur Eindämmung der Polizeigewalt bei künftigen Großereignissen in Hamburg nötig?

Um derartige Gewalteskalationen der Polizei zu vermeiden, bräuchte es zuallererst den politischen Willen zu einer Veränderung. Dieser ist aber weder in der Polizei noch beim Senat vorhanden. Fehlerkultur und Deeskalation sind Fremdwörter. Stattdessen regiert die harte Hamburger Linie, die auf Machtdemonstration durch Stärke und Dominanz setzt. Auch die Aufklärung von Polizeigewalt ist dringend reformbedürftig. Die Polizei ist von einem Korpsgeist geprägt – es ist nicht verwunderlich, dass Polizeigewalt nicht aufgeklärt wird, wenn Kolleg*innen gegen Kolleg*innen ermitteln. Wir fordern seit Jahren eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle, die außerhalb des Polizeiapparates steht und eigene Ermittlungsbefugnisse hat. Die Anklagequote bei Polizeigewalt liegt auch in Hamburg unter einem Prozent. Solange Polizist*innen sich darauf verlassen können, dass ihre Straftaten folgenlos bleiben, werden wir Polizeigewalt nicht eindämmen können.

Der Gesamteinsatzleiter des G20-Gipfels, Hartmut Dudde, ging im Juni befördert in Pension. Erwarten Sie einen Kurswechsel in der Polizeiführung oder eine Fortsetzung der Hamburger Linie, wonach bei jedem kleinen Verstoß gegen Demo-Auflagen sofort eingegriffen wird?

Auch ohne den Polizeidirektor Hartmut Dudde wird die Hamburger Linie bleiben. Dudde war einer der Repräsentanten dieser Linie. Sie ist aber fest im gesamten Polizeiapparat verankert. Einen echten Kulturwechsel hin zu einer kooperativen, deeskalativen, grundrechtsorientierten Polizeipraxis bedürfte eines politischen Willens, der weder in der Polizei noch in der Senatspolitik vorhanden ist.

Der Senat deckt also den Eskalationskurs?

Der rot-grüne Senat, allen voran SPD-Innensenator Andy Grote, trägt die Hamburger Linie vollumfänglich mit. Es gab keine Ambitionen, die repressive und eskalierende Linie der Polizei einzudämmen. Stattdessen wurden polizeiliche Kompetenzen erweitert und die Polizei gegen jede Kritik verteidigt.

Zu den Kompetenzen zählten auch die Gesichtserkennungssoftware Videmo, die Auswertung von Bahnhofskameras und die Öffentlichkeitsfahndungen. Hatten die Bedenken des Hamburger Datenschutzbeauftragten hierzu irgendwelche Auswirkungen?

Nein, im G20-Komplex ist die Technik umfangreich zum Einsatz gekommen. Die Gesichtserkennungssoftware ist bisher unseres Wissens nicht in anderen Verfahren zum Einsatz gekommen. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis dies geschehen wird.

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