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  • Berlin
  • Geschichte der Justiz

Nazis decken Nazis

Neue Webseite legt NS-Strukturen in der Berliner Justizverwaltung nach Kriegsende offen

  • Patrick Volknant
  • Lesedauer: 3 Min.

Es begann mit Bergen vergilbten Papiers. Insgesamt 451 Personalakten moderten auf dem Dachboden des Nordsternhauses in Schöneberg, dem Sitz der Berliner Justizverwaltung, vor sich hin, bis sie zum Gegenstand der NS-Aufarbeitung wurden. »Diese staubigen Akten werden jetzt lebendig, indem wir sie ins Digitale übertragen«, sagt Anna Lanzrath, Jura-Studentin an der Humboldt-Universität (HU), am Mittwoch in ebenjenem Nordsternhaus. In mühsamer Arbeit zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es Lanzrath gelungen, 34 Lebensläufe herauszufiltern, die von den nationalsozialistischen Strukturen innerhalb der Justizverwaltung nach Kriegsende erzählen. »Wir haben sozusagen ein kleines Wikipedia für das Nordsternhaus geschaffen«, sagt Lanzrath.

Die Idee für das gemeinsame Projekt der HU sowie der Freien Universität Berlin (FU) kam erstmals 2018 auf. Nun ist das Ergebnis auf www.im-nordsternhaus.de einfach zugänglich. Steckbriefe, Kurzfilme und historische Erläuterungen bieten einen Überblick, wie es etlichen Juristen trotz NS-Vergangenheit gelang, nach 1945 in der Justizverwaltung Fuß zu fassen und sie bis in die frühen 70er Jahre mitzuprägen.

Ignacio Czeguhn von der FU ist beeindruckt von der Arbeit, die die Studierenden geleistet haben. »Es ist ein Projekt gewesen, das wir von Beginn an so konzipiert haben, dass wir junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingebunden haben«, so der Rechtswissenschaftler. Diese hätten sich mit »großem Engagement und großer Sensibilität« den einzelnen Lebensläufen gewidmet.

Nun, so Czeguhn, sei es gelungen, herauszufinden, welche der Juristen in der Senatsverwaltung vielleicht mehr hätten tun müssen, als sie taten, und wer begeisterte Mitläufer oder gar Täter waren. »In den 60er Jahren war es oft wichtiger, einer Verbindung zum Kommunismus nachzugehen«, sagt Czeguhn. Statt bei Bewerbern für die Justizverwaltung nach Verbindungen zum nationalsozialistischen Regime zu forschen, sei die Angst oftmals größer gewesen, sich Spione aus dem Osten in die eigenen Reihen zu holen. Auch sei es vorgekommen, dass die Verwaltung ganz bewusst über die NS-Vergangenheit eines Bewerbers hinwegsah – zugunsten seiner außerordentlichen juristischen Befähigung.

Die laxe Einstellungspolitik in der Berliner Justizverwaltung blieb nicht ohne Folgen für den alltäglichen Betrieb. »Es gab Nazis im Haus, die sich gegenseitig deckten«, so Ignacio Czeguhn. In einem Fall sei einem jüdischen Kollegen nahegelegt worden, sich beruflich zu verändern. In einem Schreiben habe die Frau des Betroffenen daraufhin antisemitisches Gedankengut im Haus angeprangert. Doch die wohl prominenteste Enthüllung, die das Forschungsprojekt hervorgebracht hat, gilt dem Juristen Carl Creifelds, der von 1952 bis 1965 im Nordsternhaus tätig war. »Zu meiner Studienzeit war der für uns in der Bibliothek ein Muss«, sagt Czeguhn. »Jetzt stellt man plötzlich fest, dass er ein glühender Nazi war.«

Ein weitestgehend blinder Fleck ist hingegen die Justiz in Ost-Berlin. Wie der Rechtwissenschaftler Jan Thiessen von der Humboldt-Universität erklärt, hätten viele Juristen mit vorbelasteten Lebensläufen bewusst den Weg in den Westen gesucht. »Diejenigen, die schwer belastet waren, die wussten das auch«, sagt Thiessen. Die DDR, die sich selbst als antifaschistischen Staat anpries, habe eher abschreckend gewirkt. Doch: »In der DDR gab es das auch, es wurde nur nicht so dokumentiert.« Auch hier gebe es ein hohes Potenzial, weiter zu forschen. Bisher fehlten jedoch die Mittel.

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