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Auf Augenhöhe beim Lehrermangel
Berlin kehrt als letztes Bundesland zur Verbeamtung der Lehrkräfte zurück. Viele Details sind nach wie vor ungeklärt
Astrid-Sabine Busse ist in Hochstimmung. »Was habe ich mich darauf gefreut!«, ruft Berlins Bildungssenatorin am Donnerstag in einer Messe- und Veranstaltungshalle nahe des Gleisdreiecks in Kreuzberg vom Podium ihren Zuhörerinnen und Zuhörern zur Begrüßung zu. »Das ist ein schöner und wichtiger Tag für das Land, aber auch für seine Schulen und auch für mich als Bildungssenatorin.« Ein Satz, den die SPD-Politikerin an diesem Nachmittag in unterschiedlichsten Varianten wiederholen wird.
Busses Freude gilt den gut 220 vor ihr sitzenden jungen Lehrerinnen und Lehrern, die ihr Referendariat an einer Berliner Schule abgeschlossen haben und nun in den Schuldienst übernommen werden, und zwar erstmals seit fast zwei Jahrzehnten als Beamtinnen und Beamte. Die Veranstaltung sei ja doch etwas »ganz Besonderes«, sagt Busse: »Sie symbolisiert und signalisiert die unumkehrbare Rückkehr des Landes Berlin zur Verbeamtung seiner Lehrkräfte.«
Berlin hatte die Verbeamtung von Lehrkräften 2004 angesichts leerer öffentlicher Kassen abgeschafft und eigentlich gehofft, dass andere Bundesländer nachziehen werden. Wie so häufig hatte man sich in der Hauptstadt gründlich verschätzt. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen schlossen sich an, beide sind aber längst zur Verbeamtung zurückgekehrt. »Nun herrscht zwischen den Ländern endlich wieder Augenhöhe auf dem Arbeitsmarkt. Damit endet auch ein nicht gerade ruhmreiches Kapitel Personalpolitik der deutschen Bundesländer«, sagt Astrid-Sabine Busse zum Ende des »Berliner Sonderwegs«.
Die Berliner SPD löst mit der Rückkehr zur Verbeamtung der Lehrkräfte ihr zentrales bildungspolitisches Wahlkampfversprechen aus dem vergangenen Jahr ein. Und so lässt es sich auch die damalige SPD-Spitzenkandidatin und heutige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nicht nehmen, den Jung-Beamtinnen und -Beamten auf der Vereidigungsfeier höchstselbst zu gratulieren. Anders als im Wahlkampf ist inzwischen keine Rede mehr davon, dass die Renaissance der Verbeamtung den eklatanten Lehrkräftemangel in der Stadt beenden wird. »Aber es ist ein Baustein, um es besser zu machen«, sagt Giffey. Und dass es darum gehe, »dass wir attraktive Arbeitsbedingungen schaffen, dass Menschen sagen: Ich bleibe hier.«
Klar ist: Die 220 Absolventinnen und Absolventen sind mit Blick auf den Lehrkräftemangel in Berlin nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Bildungsverwaltung beziffert das Defizit im kommenden Schuljahr auf 920 Vollzeitstellen, mithin – aufgrund der hohen Teilzeitquote in diesem Beruf – weit über 1000 Lehrkräfte. Und Verbeamtung hin oder her: Die Zahl steigt der Lehrkräftebedarfsprognose zufolge erst einmal weiter an, denn das »Fehl« des Vorjahres wird Jahr um Jahr weitergeschleppt. Ab dem Jahr 2025 könnten demnach über 1400 Vollzeitstellen unbesetzt bleiben.
Neu ist dabei, dass die ehemalige Neuköllner Grundschulleiterin Astrid-Sabine Busse, die von Giffey Ende vergangenen Jahres als neue Bildungssenatorin präsentiert worden ist, die Mangelwirtschaft erstmals offen kommuniziert. Auch die Prognosemodelle wurden angepasst. »Wir haben uns entschieden, uns ehrlich zu machen. Wir wollten einen neuen Start wagen«, sagt Busses Staatssekretär Alexander Slotty (SPD) zu »nd«. Wie seine Chefin ist auch Slotty frisch im Amt. Auch er hatte mit dem bisweilen als manövrierunfähig beschriebenen Tanker Bildungs-, Jugend- und Familienverwaltung mit seinen fast 48.000 Beschäftigten zuvor als Landeschef der Volkssolidarität eher von der anderen Seite des Spielfelds aus zu tun. Slotty sagt, er würde gern noch andere Sachen anpacken, um dem Mangel entgegenzuwirken. »Wir haben leider kein Rückholmanagement. Dazu gehört auch, dass wir die Menschen, die kündigen, gern befragen würden, weshalb sie kündigen.«
Noch Anfang September 2021 hatte die Bildungsverwaltung unter Busses Amtsvorgängerin Sandra Scheeres (SPD) auf eine Schriftliche Anfrage der Linksfraktion zur Einstellungssituation und zum Lehrkräftebedarf in der Hauptstadt geantwortet, dass zu den Gründen für die gut 860 Kündigungen und Vertragsauflösungen von Lehrkräften im Schuljahr 2020/2021 keine verlässlichen Daten vorliegen. »Für die Speicherung von Gründen beim Arbeitgeber besteht keine Rechtsgrundlage. Bei Nachfragen an den Schulen werden unter anderem familiäre Gründe, der Wunsch nach beruflicher Neuorientierung oder der Wunsch nach Verbeamtung genannt«, hieß es damals.
Mittlerweile hat sich die Senatsverwaltung darauf versteift, dass der Wunsch nach Verbeamtung der alles dominierende Faktor ist. Ganz im Einklang mit der Regierenden Franziska Giffey, die schon im Wahlkampf nur diesen einen Grund zu benennen wusste. Eine Datengrundlage hierfür gibt es zwar nach wie vor nicht. Aber Slotty sagt: »Es ist ja nicht so, dass die Mitarbeiter unseres Hauses sich nicht erkundigt haben, weshalb die Lehrkräfte gekündigt haben.« Und eine wichtige Rolle habe dabei fast immer »die bessere Gesamtversorgung« in anderen Bundesländern gespielt.
Auch die Bildungssenatorin erzählt »nd« am Rande des Festakts von einer bereits ein paar Jahre zurückliegenden Veranstaltung, auf der sie sich bei Kolleginnen und Kollegen, die ihren Job in Berlin an den Nagel hängen wollten, nach den Gründen erkundigt habe. Busse sagt: »Es gab immer nur diesen einzigen Satz: ›Ich gehe weg, weil…‹.« Ohne den Satz zu vervollständigen. Was wohl heißen soll: Das können Sie sich ja denken. »Es ist ja eine unsichere Welt, und da gibt die Verbeamtung Sicherheit.«
Die Meinungen hierzu gehen selbst in der eigentlich verbeamtungskritischen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auseinander. Die Berliner Führung hält die Verbeamtung zwar nach wie vor für überflüssig bis falsch. Andere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gehen da aber nicht mit. So wie Tina Kardam, die Co-Vorsitzende der Vereinigung Berliner Schulleiterinnen und Schulleiter in der GEW. Bei einer Demonstration der Gewerkschaft vor etwas mehr als einer Woche sagte Kardam zu »nd«: »Sie fragen, wo Berlin falsch abgebogen ist? Das war, als wir nicht mehr verbeamtet haben.« Die Leiterin der Solling-Schule, einer Integrierten Sekundarschule in Tempelhof-Schöneberg, ist sich sicher: »Das war ein Fehler, der viel zu lange nicht korrigiert worden ist.«
Nun wird er also korrigiert. Franziska Brychcy, die bildungspolitische Sprecherin der ebenfalls kritischen Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, überzeugt das alles nicht: »Die Verbeamtung und die Jubelfeier am Donnerstag lösen das Problem des Lehrkräftemangels überhaupt nicht. Es gibt vielleicht einen kleinen Klebeeffekt, aber das Thema wird uns noch sehr lange verfolgen«, sagt sie zu »nd«. Die Linke hatte sich wie die GEW vehement gegen das Zurück in die Verbeamtungsvergangenheit gestellt. Denn nicht die fehlende Verbeamtung sei das Hauptproblem gewesen, sondern der Umstand, dass Berlins Hochschulen zu wenige Lehrkräfte ausbilden, sagt Brychcy. Ihre Forderung: Die häufig stiefmütterlich behandelte Lehrkräftebildung müsse endlich hochgefahren werden – auch wenn dies an der Situation an den Schulen vorerst nichts ändern werde: »Bis wir genügend Lehrkräfte ausgebildet haben, müssen wir noch acht bis zehn Jahre durch das Tal der Tränen.«
Trotz aller Widerstände schluckte Die Linke im vergangenen Jahr im Zuge der Koalitionsverhandlungen die nicht zuletzt von Franziska Giffey und der SPD mit Nachdruck servierte »Kröte« Verbeamtung. Die Bedingung der Linkspartei, die es dann auch in den Koalitionsvertrag geschafft hat: Eine Verbeamtung soll es nur geben zusammen mit einem Nachteilsausgleich für jene nach GEW-Schätzung rund 7000 Lehrkräfte, die aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht verbeamtet werden können oder schlichtweg nicht verbeamtet werden wollen.
Zwei Möglichkeiten für einen solchen Ausgleich stehen im Raum. Entweder könnten die weiterhin angestellten Lehrkräfte ihre Wochenstunden reduzieren oder sie erhalten eine Gehaltszulage. Wie aus der Bildungsverwaltung zu hören ist, geht die Tendenz zum finanziellen Ausgleich. Alles andere würde man bei der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) nicht durchbekommen. Linke-Bildungsexpertin Franziska Brychcy sagt: »Ich weiß, dass die Kolleg*innen sich eher einen Ausgleich bei den Stunden wünschen, da die Gehälter für Lehrer*innen in Berlin ohnehin verhältnismäßig hoch sind.« Die Chancen, dass es hierzu kommen wird, würden aber gegen Null gehen: »Der zeitliche Ausgleich ist aufgrund des Mangels an Lehrkräften an den Schulen nicht umsetzbar.« Die Entscheidung liegt ohnehin bei der TdL, in der das Land Berlin kein Stimmrecht hat.
Überhaupt ist der Verbeamtungszug zwar jetzt angerollt, vieles ist jedoch nach wie vor ungeklärt. So soll unter anderem die Altersgrenze für die Verbeamtung der sogenannten Bestandslehrkräfte temporär von 45 auf 52 Jahre angehoben werden. Das zumindest ist das Versprechen des Senats. Hinweise auf konkrete Umsetzungsschritte hat man hierzu aus der Bildungsverwaltung noch nicht vernommen. Gleiches gilt für einen Fahrplan, welche Alterskohorten zu welchem Zeitpunkt in ein Beamtenverhältnis übernommen werden. Denn dass alle auf einen Schlag verbeamtet werden, gilt als ausgeschlossen. »Wie es weitergeht, ist den Bestandskolleg*innen bislang nicht kommuniziert worden, und das ist mehr als misslich«, sagt Franziska Brychcy.
Bildungssenatorin Busse will die Kritik – die so auch von der GEW und der verbeamtungsfreudigen CDU geteilt wird – nicht auf sich sitzen lassen. »Wir arbeiten intensiv am nächsten Schritt, dem Verbeamtungsangebot für die angestellten Berliner Lehrkräfte, die uns ja jahrelang die Treue gehalten haben«, sagt Busse beim Festakt in Kreuzberg. Wie bei der Ausgleichsregelung für die weiterhin angestellten Lehrkräfte sei sie »zuversichtlich, dass auch bald die letzten rechtlichen Fragen dazu geklärt und gute Lösungen gefunden werden«.
Optimismus und Zuversicht: Selbstverständlich liegt es in der Natur eines Festaktes anlässlich einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung, dass die Festrednerinnen und Festredner ebendies ausstrahlen. Und so will auch die Bildungssenatorin die jungen Beamtinnen und Beamten an diesem Nachmittag nicht mit lästigen Problemen behelligen, sondern setzt eher auf Anekdoten aus ihrer Zeit als Grundschulleiterin, wobei sie das Panorama einer Welt voll heiterem Aufopferungswillen zeichnet. Busse verspricht zum Beispiel: »Man wird ja abgelenkt, Schule lenkt ab. Auch Sie, wenn Sie Kummer haben in der Schule bei der Arbeit, dann vergessen Sie das garantiert. Auch Kopfschmerzen sind schon zur ersten großen Pause vergangen. Sie haben keine Zeit, an sich zu denken.« Oder: »Wenn später bei einem Schulfest ehemalige Schüler auf Sie zukommen und sagen: ›Frau XY, Sie haben mir so geholfen, ich bin heute Das und Das geworden.‹ Das wird Sie dann ganz stolz machen.«
Astrid-Sabine Busse ist in Hochstimmung. Daran ändern auch der Lehrkräftemangel und alle anderen Probleme nichts, die sie als Bildungssenatorin angehen muss. Nach den Sommerferien soll es auf Initiative des Landeselternausschusses einen Runden Tisch zum Lehrkräftemangel geben. »Ja, die Einladung ist schon fertig, und ich freue mich darauf«, sagt Busse zu »nd«.
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