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Italien sitzt auf dem Trockenen
Eine Jahrhundertdürre lässt Flüsse versiegen und bedroht die Ernte in der Poebene
Mark Twain schrieb einst, er wundere sich, warum die Florentiner aufwendige Brücken über den Arno bauten. Das Rinnsal könne man doch bequem zu Fuß durchqueren. Es scheint so, dass der berühmte US-amerikanische Autor im Sommer 1878 die Stadt während einer damals noch seltenen Trockenheit besucht hatte. Doch die Geschichte zeigte, dass das gemächlich fließende Gewässer zum reißenden Strom werden konnte, der ganze Stadtteile des toskanischen Hauptortes mit sich riss.
In der Gegenwart ist so etwas nahezu unvorstellbar. Seit mehr als zwei Jahren sind die Niederschlagsmengen in Italien rückläufig, in diesem Jahr hat es fast überhaupt nicht geregnet. Vor allem im Norden ist die Lage dramatisch. Die Regierung beschloss Anfang der Woche, den Wassernotstand in den Regionen Piemont, Lombardei, in der Emilia-Romagna, im Veneto und im Friaul-Julisch Venetien auszurufen. Wegen der anhaltenden Trockenheit in Italien hat auch die
Küstenregion Ligurien den Notstand bei der Regierung in Rom beantragt. Das Gesuch umfasse zehn Millionen Euro an Hilfen für dringende Eingriffe, erklärte der konservative Regionalpräsident Giovanni Toti. Mit dem Geld will die norditalienische Region mit der Hauptstadt Genua ihm zufolge das Leitungssystem modernisieren, Brunnen renovieren und kleine Stauanlagen bauen. Mit dem Dekret der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi haben die örtlichen Behörden nun eine Handhabe, Maßnahmen gegen Wasserverschwendung zu ergreifen. In Verona und auch von den Notstandsverordnungen noch nicht betroffenen Pisa gibt es Einschränkungen. In den genannten fünf Regionen ist das Bewässern von Grünanlagen und Gärten untersagt, es dürfen auch keine Swimmingpools oder Springbrunnen betrieben werden.
Ernteausfall droht
Die Padania-Ebene im Einzugsgebiet des Po ist Italiens bedeutendste landwirtschaftliche Ressource. Etwa ein Drittel aller Agrarerzeugnisse stammen normalerweise von hier. Doch in diesem Jahr droht ein totaler Ausfall der Ernte. Schon die Zuflüsse des Po, wie die im Monte-Rosa-Massiv entspringende Sesia, sind vollkommen ausgetrocknet. Man kann stundenlang durch das staubige und von Geröll bedeckte Flussbett wandern, ohne ein noch so kleines Rinnsal zu entdecken. Ein ähnliches Bild bietet der Hauptstrom selbst. Blickt man von der Autobahnbrücke der Brennerroute nahe der Gemeinde San Nicolò auf den in »normalen Zeiten« hier 200 Meter breiten Strom, so sieht man heute nur noch das ausgetrocknete Flussbett mit einigen Tümpeln. Im Delta östlich von Ferrara ist der Pegelstand des Flusses so niedrig, dass das Salzwasser aus der Adria flussaufwärts dringt und die Felder verseucht.
Doch nicht nur im Podelta und im Flussverlauf macht sich die seit 70 Jahren stärkste Dürre drastisch bemerkbar. Auch rechts und links des Hauptstromes versiechen die Flussläufe. Im Gebiet von Lendinara in der Provinz Rovigo reift in gewöhnlichen Jahren Obst und Gemüse in Hülle und Fülle. »In diesem Jahr haben wir große Sorgen, dass wir überhaupt etwa ernten«, erklärt Sabine Urban. Nördlich von Lendinara baut die aus Österreich zugereiste Gärtnerin Bio-Salat an, doch der vertrocknet auf dem Feld. Ähnlich geht es Nachbarn, die in der Ebene zwischen den Flüssen Etsch und Fratta Melonen, Wassermelonen, Mais und Soja anbauen. Silvio Parizzi, Direktor des Bauernverbandes Coldiretti in Rovigo, zeigt sich verzweifelt: »Die ganze Ernte droht in diesem Jahr auszufallen. Wir befürchten Schäden in Höhe von Tausenden Euro pro Hektar; von den folgenden Versorgungsengpässen ganz zu schweigen.« Auch die Bienen litten unter der gegenwärtig andauernden Hitzewelle, so Parizzi, Imker rechnen mit sinkenden Honigerträgen. »Die Maßnahmen der Regierung sind ein wichtiges Mittel, um noch größere Schäden abzuwehren.« Doch kämen sie reichlich spät und es bedürfe deutlich weitergehender Überlegungen, um die katastrophale Wassersituation in der Region dauerhaft zu verbessern, so der Coldiretti-Vertreter.
Wassermangel selbst verursacht
Umweltverbände beklagen seit langem, dass der Wassermangel häufig auch hausgemacht ist. »Wir haben in Italien 7596 Wasserläufe, davon sind 1242 Flüsse. Normalerweise regnet es bei uns im Durchschnitt mehr als im Rest Europas – doch entweder sind es so starke Niederschläge, dass das Wasser über alle Ufer tritt, oder die Zeiten sind so trocken, dass alle Bäche und Flüsse versiegen«, erläutert Erasmo D’Angelis, Umweltstaatssekretär in der Regierung von Enrico Letta von 2013 bis 2014.
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Der zu den führenden Wasserexperten Italiens zählende D’Angelis weist darauf hin, dass die Politik es über Jahrzehnte versäumt hat, sorgsam mit der Ressource Wasser umzugehen. Jüngsten Statistiken zufolge versickert etwa ein Drittel allen Trinkwassers, bevor es aus den Leitungen überhaupt in Haushalten oder landwirtschaftlichen Betrieben ankommt. Der Zustand der meisten Stauseen und -becken ist derart desolat, dass sie das Regenwasser gar nicht speichern können: »Wir haben 526 große Dämme und etwa 20 000 kleinere Staubecken. Doch die sind so schlecht gewartet, dass sie mit starken Sedimentschichten bedeckt sind. So können hier nur 11,2 Prozent der Regenmengen aufgefangen und gespeichert werden«, konstatiert D’Angelis.
In Sommern wie diesem, wo die Temperaturen etwa fünf Grad höher liegen als im Durchschnitt und der permanente Regenmangel die Lage weiter zuspitzt, hat dieser selbst verschuldete Wassermangel verheerende Folgen. Und die heißesten Wochen des Jahres im Juli und August stehen noch bevor.
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