Ende der Ära Rajapaksa scheint besiegelt

Nach wochenlangen Unruhen erhält der Inselstaat Sri Lanka offenbar die Chance auf einen Neubeginn

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Dramatische Szenen spielten sich am Wochenende in der Hauptstadt Colombo ab. Die Privatresidenz von Übergangspremier Ranil Wickremesinghe ging am Samstag sogar teilweise in Flammen auf, wofür tags darauf bereits drei Männer als mutmaßliche Brandstifter festgenommen wurden. Doch war dies nur ein Nebenschauplatz. Zentral war die Erstürmung des Präsidentenpalastes, aus dem sich Staatsoberhaupt Gotabaya Rajapaksa nur knapp retten konnte und anschließend ins Hauptquartier der Armee in Sicherheit gebracht wurde. Offenbar von dort aus kündigte er gegenüber Parlamentspräsident Mahinda Yapa Abeywardene an, am Mittwoch offiziell zurückzutreten. Damit hätte die aufgebrachte Bevölkerung erreicht, wofür sie seit etlichen Wochen immer nachdrücklicher auf die Straße gegangen war: Die endgültige Entmachtung des aus dem Süden Sri Lankas stammenden Politikerclans, der die Regierung nach Gotabayas überragendem Wahlsieg im November 2019 zunächst wie ein Familienunternehmen geführt hatte. Mahinda Rajapaksa, selbst Ex-Staatschef und älterer Bruder des jetzigen Präsidenten, musste zuletzt Anfang Mai unter dem wachsenden Druck als Premier zurücktreten – in der nun gescheiterten Hoffnung, damit Gotabaya weiter im Amt zu halten.

Ausdruck des scheinbaren Sieges der Volksmassen über die Herrschaftsclique, die für die schlimmste Finanz- und Versorgungskrise des Inselstaates seit der Unabhängigkeit 1948 verantwortlich gemacht wird, waren die Bilder aus dem Präsidentenpalast: Zunächst hatten einige Hundert Protestierende die Polizeiabsperrungen durchbrochen und waren ins Innere des Anwesens vorgedrungen. Im Laufe des Wochenendes sollen es laut Berichten Tausende gewesen sein, die bis in die Schlafzimmer spazierten, Selfies vor noblen Fahrzeugen schossen oder einen Sprung in den Pool wagten. Offenbar wurde im Gebäude auch eine größere Geldmenge entdeckt und sichergestellt. Die »Party« nach der Einnahme hielt noch den ganzen Sonntag an. Während Präsident Rajapaksa sich zur Rücktrittsankündigung gezwungen sah, bot Wickremesinghe von sich aus seine Amtsaufgabe an und kritisierte scharf, dass Polizisten vier Journalisten des Nachrichtensenders News First bei der Berichterstattung über den Sturm auf den Präsidentenpalast verprügelt hatten. Der mittlerweile einzige Abgeordnete der früher starken Vereinigten Nationalpartei (UNP), eigentlich dem Oppositionslager zugehörig, war erst am 12. Mai als Übergangspremier berufen worden.

Präsident wie Regierungschef hätten »keine moralische Rechtfertigung« mehr, länger im Amt zu bleiben, konstatierte am Sonntag Maithripala Sirisena. Der Chef der ebenfalls massiv geschrumpften sozialliberalen Sri Lanka Freiheitspartei (SLFP), der von 2015 an Präsident und bis zum Mai Partner der regierenden SLPP war, trat mit einer Zehn-Punkte-Erklärung an die Öffentlichkeit. In dieser forderte er einen zügigen Machttransfer an eine neue Interimsregierung, die mit einem Mandat für wenige Kernaufgaben ausgestattet werden sollte. Zudem müssten zivilgesellschaftliche Gruppen in die Bestimmung eines neuen Präsidenten und Premiers eingebunden werden, um für breite Akzeptanz zu sorgen. Die Sicherung einer Basisversorgung sollte Priorität haben, zugleich will Sirisena zeitnah Neuwahlen, um einen frischen Start zu wagen. Wie schnell sich die wichtigsten politischen Kräfte des Landes allerdings auf eine Interimsregierung und ihre Rahmenbedingungen verständigen können, bleibt abzuwarten. Sollte Rajapaksa seinen angekündigten Rücktritt am Mittwoch umsetzen, würde formal Parlamentschef Abeywardene für maximal 30 Tage zum amtierenden Staatsoberhaupt. Auch die Spitzen der größten Oppositionspartei SJB trafen sich am Sonntag zu Beratungen.

Die Situation in Sri Lanka ist seit Ende 2021 immer unhaltbarer geworden. Das Land hat inzwischen die Bedienung seiner Auslandsschulden in Gesamthöhe von 50 Milliarden Dollar ausgesetzt und ist de facto zahlungsunfähig. Die Verhandlungen mit dem IWF über einen Notkredit sollen zuletzt gute Fortschritte gemacht haben, angeblich wären nur wenige Fragen offen, hieß es vorige Woche. Treibstoff, Medikamente und medizinische Ausrüstung, aber auch viele Waren des täglichen Bedarfs sind seit Monaten Mangelware, die Preise auf ein Rekordniveau gestiegen. Selbst die Tatsache, dass diesen Monat insgesamt vier Schiffsladungen mit Diesel und Benzin aus Indien erwartet werden, hilft nur wenig.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.