Schlammschlacht unter Johnsons Erben

Bei den britischen Tories hat das Hauen und Stechen begonnen

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon bevor der Kampf um die Nachfolge von Boris Johnson so richtig in die Gänge kam, begann der Dreck zu fliegen. Anhänger des Noch-Premierministers beschimpften einen ehemaligen Kabinettsminister als »Schlange«, einen anderen als »verräterischen Bastard«. Nadine Dorries, Kulturministerin und ergebene Johnson-Anhängerin, sagte nach dem Sturz ihres Chefs: »Die Höllenhunde sind losgelassen worden. Es wird ein Blutbad.« Dorries, eigentlich eher bekannt für Inkompetenz und peinliche Entgleisungen, dürfte diesmal recht haben: Der Führungskampf droht zu einer richtigen Schlammschlacht zu werden.

Bislang haben sich elf Kandidaten zur Wahl gestellt. Es ist ein breites Feld, die Bewerber reichen vom eher gemäßigten Tom Tugendhat bis zu Suella Braverman am rechten Rand. Wenn man die ersten Tage der Wahlkampagne zum Maßstab nimmt, haben sie vor allem eines gemeinsam: Sie wollen die Steuern senken. Dies dürfte zum bestimmenden Thema des Wahlkampfs werden – und die Anfeindungen haben bereits begonnen.

Rishi Sunak, der ehemalige Schatzkanzler, wurde als »Sozialist« bezeichnet, was für einen Tory eine überaus grobe Beleidigung ist. Der Grund ist, dass Sunak als Finanzminister kürzlich die Energiekonzerne mit einer einmaligen Abgabe zur Kasse gebeten hat. Kabinettsminister Jacob Rees-Mogg sagte deshalb über Sunak, dieser sei der »oft bejammerte sozialistische Schatzkanzler«. Ähnlich tönten Sunaks Konkurrenten: Nach der unorthodoxen Wirtschaftspolitik während der Amtszeit Johnsons, der sich gern mal für staatliche Investitionen stark gemacht hat, wollen sich seine potenziellen Nachfolger wieder auf die traditionelle Rolle der Tories als Tiefsteuer-Partei berufen.

Dass übers Wochenende gerade Sunak zur Zielscheibe geworden ist, dürfte jedoch auch einen anderen Grund haben: Er ist laut den Wettbüros der aussichtsreichste Kandidat. Mit einem polierten Wahlkampfvideo hat er am Freitag seine Kampagne lanciert.

Die Tatsache, dass die Domain der Kampagnenwebsite »ready4rishi.com« offenbar bereits im Dezember registriert wurde, hat bei seinen Gegnern zusätzlich für böses Blut gesorgt. Aber Sunak hat auch viele Anhänger. Er könne bereits er auf die Unterstützung von über 30 Unterhauskollegen zählen, sagt er. Solche Unterstützer sind entscheidend, um im Wahlkampf weiterzukommen: Nur wer genügend Nominierungen von der Fraktion erhält, kann antreten.
So viele Bewerberinnen und Bewerber wollen sich diesmal den Posten streitig machen, dass eine Regeländerung erwogen wird: Anstatt der bisher üblichen acht Nominierungen sollen mindestens 20 nötig sein; eine entsprechende Entscheidung wird das 1922-Komitee der Hinterbänkler wohl am Montagabend treffen. Auf diese Weise könnte der Führungskampf beschleunigt werden. Denn das Prozedere ist langwierig: In der ersten Stufe hält die Fraktion eine Reihe von Abstimmungen ab, bei denen jeweils der Kandidat mit der geringsten Zahl an Stimmen eliminiert wird. Wenn nur noch zwei Bewerber übrig sind – voraussichtlich bis spätestens 21. Juli –, sind die Parteimitglieder am Zug. Sie werden in einer Urwahl den nächsten Tory-Chef – und Premierminister – bestimmen.

Aus wem diese konservative Basis genau besteht, ist allerdings etwas schleierhaft. Verlässliche Statistiken gibt es nicht, Schätzungen liegen zwischen 150 000 bis 200 000 Parteimitgliedern. Laut Erhebungen ist die Hälfte der Parteigänger über 60 Jahre alt, und sie sind mehrheitlich männlich, weiß und wohnen im Süden Englands. Auch sind sie in überwältigender Zahl Brexit-Anhänger. Dennoch ist es sehr schwierig einzuschätzen, wer von dem Dutzend Kandidaten die besten Chancen hat – in London gibt es kaum Politikexperten, die sich mit Prognosen zu weit aus dem Fenster lehnen.

Grob könne das Feld der Kandidaten eingeteilt werden in jene, die sich als Vertreter des Establishments verkaufen, und die »Verrückten«, schreibt die »Financial Times« etwas brutal. Zu den Establishment-Kandidaten zählen der bisherige Gesundheitsminister Sajid Javid, der vor einer Woche fast zeitgleich mit Sunak zurücktrat und somit Johnsons Niedergang mitverantwortet. Jeremy Hunt, ehemaliger Gesundheitsminister, und Sunak sind ebenfalls in dieser Kategorie.
Am rechten Rand zählt Liz Truss, die bisherige Außenministerin, zu den Favoriten. Auch sie verspricht Steuersenkungen, zudem gibt sie sich entschlossen, den harten Brexit-Kurs ihres Vorgängers weiterzuführen. Suella Braverman, oberste Staatsanwältin und Koryphäe der rechten Kulturkämpfer, legt noch einen drauf: Sie will Großbritannien von den Entscheiden des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausnehmen.

Überhaupt gibt es kaum Anzeichen dafür, dass der Tory-Rechtsrutsch der vergangenen Jahre zu Ende geht. Selbst die Kandidaten des »Establishments« zucken angesichts der kontroverseren Vorstöße Johnsons mit den Schultern. Jeremy Hunt hofft beispielsweise, dass der Abschiebe-Pakt mit Ruanda, der von Menschenrechtsgruppen heftig kritisiert worden ist, ein Modell sein kann. Und Tom Tugendhat will den Konfrontationskurs mit der EU im Streit ums Nordirland-Protokoll weiterführen.

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