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- Fußball-EM der Frauen
Die deutschen Fußballerinnen stehen vorzeitig im Viertelfinale
2:0 gegen EM-Favorit Spanien – die DFB-Spielerinnen sichern sich den Gruppensieg
Es war kurz vor Mitternacht, als Martina Voss-Tecklenburg laut herunterzählte: »Zehn, neun, acht, sieben… In zehn Sekunden Abfahrt! Wer nicht da ist, läuft!«, brüllte die Bundestrainerin über den Vorplatz des Community Stadium von Brentford. Zuvor hatte sie mehrmals die Hupe des abfahrbereiten Busses der deutschen Fußballerinnen betätigt. Alexandra Popp blieb bei derlei Warnsignalen gar nichts anderes übrig, als das letzte Siegerinterview nach dem 2:0 gegen Spanien und dem vorzeitigen Erreichen des EM-Viertelfinals abzubrechen. Eine Dreiviertelstunde Fußmarsch von der Kew Bridge bis in den Syon Park wollte die Kapitänin nach diesem Kraftakt nicht noch unternehmen. Am Tag danach standen im Teamquartier »Streicheleinheiten der Physiotherapeuten« (O-Ton Voss-Tecklenburg) an. Den freien Mittwoch tief im Londoner Westen hatten sich alle redlich verdient.
Der Rekordeuropameister hat seine Gruppe schon nach dem zweiten Spieltag gewonnen, umgeht das Duell mit Gastgeber England – und das mit einem völlig anderen Stilmittel als gegen Dänemark (4:0). Diesmal weniger dominant, dafür brutal effizient. »Wenn du 2:0 gewinnst, hast du nicht viel verkehrt gemacht«, sagte Voss-Tecklenburg, die sich nicht an statistischer Unterlegenheit – 34 Prozent Ballbesitz, 7:13 Torschüsse und 190:564 Pässe – nicht sonderlich störte. Denn: »Wir hatten im richtigen Moment den Ball.« Vor allem machte ihr Team durch Klara Bühl (3.) und Alexandra Popp (37.) zur passenden Zeit die Tore.
Der mühsame Reifeprozess, in der in der ARD ausgestrahlten Doku »Born for this – mehr als Fußball« mit viel Tiefe ausgeleuchtet, schreitet weiter voran. Inzwischen sind die Spielerinnen wieder gerne mit der DFB-Auswahl unterwegs – das war zwischenzeitlich nicht immer so. Topkräfte vom FC Bayern und VfL Wolfsburg kamen mitunter gefrustet von Länderspielmaßnahmen zurück, weil es auch stimmungsmäßig nicht immer passte.
»Das war ein wichtiges Spiel fürs Learning«, fand nun die Bundestrainerin, deren Planspiele längst die WM 2023 und die Olympischen Spiele 2024 einschließen. Nun mindestens bis ins EM-Halbfinale zu kommen, wäre ein wichtiger Schritt. Das Viertelfinale übernächsten Donnerstag erneut in Brentford, entweder gegen Österreich oder Norwegen, klingt machbar. Nur: Vor dem WM-Viertelfinale 2019 gegen Schweden dachten das irgendwie auch alle, bis sich das Trainerteam im Vorlauf kolossal verhedderte und die Spielerinnen dann in Rennes keine Lösungen mehr fanden. Nun aber scheint alles gefestigter.
Die bessere Willenskraft findet Ausdruck in einer bemerkenswerten Abwehrhaltung. »Die Defense hat sich in der Kabine gefeiert«, erzählte Voss-Tecklenburg. Mehrere Faktoren kämen zusammen, »viel Training, viel Spaß, gute Kommunikation, gute Vorbereitung«, erklärte die überragende Abwehrchefin Marina Hegering. Ihre Auszeichnung zur »Spielerin des Spiels« wertete die 32-Jährige »als Sinnbild der mega geschlossenen Defensivleistung«. Neben ihr nickte in der Pressekonferenz die DFB-Trainerin demonstrativ – beide schätzen sich seit vielen Jahren, sonst hätte die mit nur fünf Bundesligaeinsätzen zur EM gereiste Hegering keine tragende Rolle bekommen.
An ihr hielt die 54-Jährige aus Überzeugung genauso fest wie an der bereits nach der WM 2019 zur Nummer eins ernannten Merle Frohms, die sich mit einer starken Vorstellung noch mehr von ihrer Vorgängerin Almuth Schult befreite. »Das ist natürlich überragend, so zu starten«, sagte die 27-Jährige im grellen Scheinwerferlicht. »Das kann definitiv der Beginn von etwas Großem sein.« Für Anführerin Popp wirkte es krass, »dass uns erst gar keiner aus der Öffentlichkeit auf dem Zettel hatte – und plötzlich sind wir schon fast Europameister«. Aus Sicht der 31-Jährigen »ist ganz wichtig, dass diese Energie, dieser EM-Zauber bei uns vorhanden ist«.
Mit der Rückendeckung für ihre nicht unumstrittenen »Key-Playerinnen« Hegering, Frohms und Popp liegt Voss-Tecklenburg offenbar genau richtig. Alle personellen und taktischen Planspiele sind bislang aufgegangen. Doch von Genugtuung war die Überzeugungstäterin weit entfernt; sie selbst war direkt nach dem Spiel noch völlig »down«, dürstete in der Kabine nach einem zuckerhaltigen Getränk, weil sie so »mitgefightet« habe. Ihr erster Gruß – mit grimmiger Miene und Rücken zum Spielfeld – ging an Ehemann Hermann Tecklenburg. »Den gucke ich immer so kritisch an«, scherzte die gebürtige Duisburgerin, die in England den Balanceakt zwischen An- und Entspannung viel besser meistert als vor drei Jahren in Frankreich.
Sie muss genau abwägen, wer im bedeutungslosen letzten Gruppenspiel gegen Finnland am Samstagabend geschont wird. Mit der an Corona erkrankten Lea Schüller, der gesperrten Felicitas Rauch und Lena Oberdorf, der verletzten Sydney Lohmann und der angeschlagenen Lina Magull könnten bis zu fünf Akteurinnen fehlen. Denkbar, dass Sophia Kleinherne, Lena Lattwein, Linda Dallmann oder Nicole Anyomi ihr Startelfdebüt bei dieser EM geben. Die in Milton Keynes wegen ihrer zweiten Gelben Karte sicher pausierende Oberdorf warnte ganz generell: »Wenn wir nur einen Schritt weniger machen, wird das nichts!« Vielleicht hupt Voss-Tecklenburg zur Sicherheit einfach noch häufiger.
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