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Wohnungsbau vor dem Einbruch
Berliner Wohnungswirtschaft sieht sich »am Beginn eines Sturmtiefs«
»Wir sind am Beginn eines Sturmtiefs«, sagt Maren Kern, Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) bei der Jahrespressekonferenz für Berlin am Mittwoch. Denn Schwierigkeiten und Preise wachsen dramatisch, sowohl beim Neubau als auch in der Energieversorgung.
»Es sind ganz andere Ausmaße bei unterbrochenen Lieferketten und Materialknappheit als in der Coronakrise«, so die Chefin des Verbands, in dem vor allem die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und großen Genossenschaften, aber auch die großen Privaten wie Vonovia und Deutsche Wohnen organisiert sind. Mit rund 750 000 Wohnungen in der Hauptstadt stellen sie 44 Prozent des Gesamtbestands von knapp zwei Millionen.
Bei den Baufertigstellungen 2021 sind die Mitgliedsunternehmen mit 5415 Wohneinheiten (davon 3496 durch die Landeseigenen) gegenüber geplanten 5600 noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Das entspricht einem Minus von 3,3 Prozent im Vergleich zu den Planzahlen. Doch die für das laufende Jahr geplante Fertigstellung von 9300 Wohnungen dürfte angesichts der Lage wie ein Traum aus vergangenen Zeiten anmuten. Bisher hatten vor allem die Landes-Wohnungsunternehmen ihre Bauziele erreicht oder sogar übertroffen, während Genossenschaften und Private sie regelmäßig deutlich verfehlt hatten.
Erstmals seit acht Jahren sind 2021 die Fertigstellungszahlen der BBU-Mitglieder bei Wohnungen gesunken – etwa auf das Niveau von 2019. Im Jahr 2020 wurde mit knapp 6800 Wohnungen ein seit über 20 Jahren nicht mehr erreichter Rekord eingestellt. Die Investitionen der Unternehmen stiegen im Vorjahresvergleich 2021 nur noch um 1,1 Prozent auf knapp 2,9 Milliarden Euro. Real sind sie angesichts von Baukostensteigerungen von beispielsweise 9,1 Prozent im Neubau sogar gesunken. Eigentlich hätten dieses Jahr die Investitionen um mehr als die Hälfte auf rund 4,3 Milliarden Euro steigen sollen – das ist äußerst zweifelhaft.
»Makulatur ist es definitiv nicht«, sagt Maren Kern auf nd-Nachfrage, ob das von Franziska Giffey geschmiedete Wohnungsbündnis mit dem Ziel von 20 000 Neubauwohnungen jährlich angesichts der Rahmenbedingungen nicht bereits gescheitert ist. Sie mache aber »sicherlich ein Fragezeichen daran«, was das Erreichen der Zielzahl angeht. Die vereinbarte Neubau-Beschleunigung durch die Verwaltung müsse »jetzt tatsächlich gelebt werden«.
Für »krachend gescheitert« hält CDU-Bauexperte Dirk Stettner die Wohnungspolitik der Koalition. »20 Prozent weniger Baufertigstellungen und 30 Prozent weniger Grundsteinlegungen zeigen, dass es nicht genügt, Neubau zur ›Chefinnensache‹ zu machen. Der Regierenden Bürgermeisterin fehlt die Lösungskompetenz beim Neubau«, erklärt er.
Frühestens im Herbst und Winter dürften nach Ansicht von Maren Kern erste Baukapazitäten wieder freiwerden, denn es zeigten sich bei Baufirmen erste Indikatoren, dass Auftraggeber aus geplanten Bauvorhaben aussteigen. Deutlich sei das bereits beim Einfamilienhausbau. »Im Mehrfamilienhausbau wird das im privaten Sektor sicher auch der Fall sein, weil zu viele Parameter im Moment unklar sind«, so Kern. Etwas rausreißen könnten es die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die den politischen Auftrag haben und »das in anderer Weise umsetzen können«, sagt die BBU-Vorständin.
»Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der kommunale Wohnungsbau in Berlin weiter ermöglicht werden kann, denn hier entstehen dringend benötigte bezahlbare Wohnungen«, sagt der Linke-Wohnungspolitiker Niklas Schenker. Die aktuellen Förderprogramme müssten dafür auf den Prüfstand. »Mindestens für die Dauer der Krise wäre es hilfreich, wenn sich die Förderung auf landeseigene Wohnungsunternehmen und Genossenschaften fokussiert«, so Schenker weiter.
Sowohl Mieterinnen und Mieter als auch Wohnungsunternehmen die größten Sorgen macht aktuell allerdings die Energiepreis-Explosion. Knapp 23 Prozent der BBU-Wohnungsbestände in Berlin werden direkt mit Gas beheizt, rund 60 Prozent mit Fernwärme, die in sechs der acht Kraftwerke der Hauptstadt ebenfalls durch die Verbrennung von Gas produziert wird.
Eine Sonderbefragung des BBU im Juni ergab, dass die Bestände von knapp 80 Prozent der Unternehmen komplett oder zu großen Teilen bereits von Erhöhungen der Energiepreise betroffen sind. Fast 30 Prozent der Unternehmen meldeten Preissteigerungen um mehr als die Hälfte, rund 40 Prozent um 25 bis 50 Prozent. Fast 40 Prozent der Vermieter aus diesen beiden Gruppen berichteten von einer Verdopplung bis Vervierfachung der Energiepreise bei einzelnen Versorgern.
Fast die Hälfte der Unternehmen sind bereits dabei, die Heizungstechnik zu optimieren oder haben das bereits in Auftrag gegeben, rund ein Drittel plant das. »Wir rechnen dabei im Mittel mit 15 Prozent Energieeinsparung«, sagt Maren Kern. Weitere 15 Prozent Einsparung könnten die Mieterinnen und Mieter durch ihr Heizverhalten erreichen. Über drei Viertel der Unternehmen setzen bereits entsprechende Informationskampagnen um oder planen das. Erwartet wird, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner große Schwierigkeiten bei der Bezahlung der Heizkosten haben werden.
Der BBU fordert eine gesetzliche Regelung, die es auch zwischen den Betriebskostenabrechnungen ermöglicht, die Vorauszahlungen zu erhöhen. Auch wünscht man sich eine gesetzliche Regelung zu den geforderten Raumtemperaturen. »Es gibt leider keine konkreten Festlegungen dazu, sondern nur laufende Rechtsprechung. Nachts wird die geschuldete Raumtemperatur bei 17 bis 18 Grad gesehen, tagsüber zwischen 20 und 22 Grad in Aufenthaltsräumen«, erläutert BBU-Sprecher David Eberhart.
Nicht nur die Sorge um die Finanzen der Mieterinnen und Mieter treibt den BBU um, sondern auch um die eigenen Unternehmen. Einzelne Mitgliedsunternehmen könnten die Vorauszahlungen nicht mehr stemmen, sagt Maren Kern. Sie fordert die Aussetzung von Insolvenzregelungen und einen Heizkostendeckel bei 40 Prozent der Nettokaltmiete. Darüber hinausgehende Kosten sollten von einem Fonds des Bundes getragen werden, der auch Wohnungsgesellschaften unter die Arme greifen soll. Die im Berliner Doppelhaushalt 2022/2023 eingestellten 380 Millionen Euro würden nicht reichen, so Kern. »Man muss sehen, dass der Fonds in Berlin für die öffentlichen Gebäude steht und größtenteils davon aufgefressen wird.«
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