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Raed Saleh: »Sie kennen mich«

Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef über seine Steuerpläne, die Zukunft von Rot-Grün-Rot und seine Partei

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.
»In meiner Funktion muss man einiges aushalten«: Raed Saleh im Gespräch mit »nd«
»In meiner Funktion muss man einiges aushalten«: Raed Saleh im Gespräch mit »nd«

Herr Saleh, Sie fordern, dass die Mehrwertsteuer für Lebensmittel temporär auf null Prozent abgesenkt wird, um die Menschen angesichts der galoppierenden Preise zu entlasten. Was macht Sie so sicher, dass eine solche Steuerreduzierung bei den Verbrauchern ankommen würde?

Raed Saleh


geboren 1977 in einem Dorf im Westjordanland, kommt als Fünfjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland und wächst zusammen mit acht Geschwistern unter beengten Verhältnissen in der Spandauer Großstadtsiedlung Heerstraße Nord auf. Mit 18 wird er Mitglied der SPD, mit 29 zieht er per Direktmandat ins Abgeordnetenhaus ein und verteidigt seinen Spandauer Wahlkreis seither bei jeder Wahl. Seit 2011 steht Saleh an der Spitze der Berliner SPD-Fraktion, im November 2020 übernimmt er schließlich gemeinsam mit Franziska Giffey den Landesvorsitz der Partei. Kritiker werfen ihm eine »Spandauisierung« der Landes-SPD vor. Mit Saleh sprach nd-Redakteur Rainer Rutz.

Wissen Sie, da verlasse ich mich ein Stück weit auf die Empfehlung der Experten. Die beschäftigen sich jeden Tag damit. Die Idee kommt ja nicht von mir, die kommt von Marcel Fratzscher, dem Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Und ich finde, der Mann hat recht. Gerade Familien und Menschen mit geringem oder mit normalem Einkommen, die Breite der Mittelschicht, würden damit deutlich entlastet werden. Ich weiß, dass mein Vorschlag nicht bei allen auf Gegenliebe stößt. Aber es ist die beste, die fairste und am Ende auch die gerechteste Form, Menschen zu entlasten, indem wir sagen, wir geben die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel den Menschen zurück. Schauen Sie doch mal an der Kasse, wie plötzlich eine ältere Dame in ihr Portemonnaie guckt und sich überlegt, ob sie sich heute die Tomaten leisten kann oder nicht.

Das beantwortet meine Frage nicht, ob das Geld nicht wie beim Tankrabatt bei den Konzernen landet.

Sie haben immer das Risiko und das Problem, dass auch Sachen nicht weitergegeben werden an den Endverbraucher. Deshalb unterstütze ich ja auch den Vorschlag, eine sogenannte Übergewinnsteuer einzuführen. Dass man Firmen, die jetzt an dieser Krise überdurchschnittlich verdienen – unanständig verdienen –, zur Kasse bittet und sagt: Beteiligt euch bitte an der Bewältigung dieser Krise! Es ist eine große Krise, in der wir uns befinden, und jeder muss am Ende seinen Beitrag leisten. Auch die Mineralölkonzerne. Solidarität heißt, dass wir gemeinsam durch diese Krise kommen.

Mit Verlaub, die vom rot-grün-roten Berliner Senat unterstützte Bremer Initiative zur Einführung einer Übergewinnsteuer ist am vergangenen Freitag im Bundesrat gerade erst abgeschmettert worden.

Ist alles eine Frage der Zeit. Ich glaube, dass die Übergewinnsteuer wieder auf die Agenda kommen wird.

Überschätzen Sie da nicht ein wenig den Einfluss von Berlin im Bund?

Der Einfluss ist da.

Dann scheitert es trotzdem an der FDP, die schließlich in der Bundesregierung sitzt und sowohl bei der Übergewinnsteuer als auch der Mehrwertsteuerreduzierung sagt, dass es das mit ihr nicht geben wird.

Auch die FDP wird erkennen, dass am Ende ein wirtschaftlich starkes Deutschland, ein Deutschland der Chancen, ein Deutschland der Möglichkeiten nur auf einer starken Mittelschicht basieren kann. Keiner hat ein Interesse daran, dass sich eine Situation ergibt mit sozialen Verwerfungen, die man nur schwer wieder glätten kann. Von daher glaube ich auch an die Vernunft der FDP.

Bei allem Glauben an die Vernunft der FDP: Die Mehrwertsteuer, an die Sie ranwollen, kommt letztlich ja auch dem Berliner Haushalt auf der Einnahmenseite zugute. Was hält eigentlich Ihr grüner Koalitionspartner und deren Finanzsenator Daniel Wesener von Ihrer Idee?

Ich gehe davon aus, dass das auch in der Koalition Unterstützung findet. Ich habe da bislang keine gegenteiligen Meinungen gehört. Aber unabhängig davon glaube ich, es sind jetzt wirklich Taten angesagt. Wer eine bessere Idee hat, soll mit seiner besseren Idee kommen. Aber nur wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen zu sagen, es wird kein Gashahn zugedreht, das ist zu wenig. Weil es ganz viele Menschen geben wird, bei denen der Gashahn nicht zugedreht wird, aber die wirklich am Ende an den Rand ihrer Existenz gedrückt werden.

Sehen Sie die Berliner SPD eigentlich gern in einem Regierungsboot mit Grünen und Linken?

Die Frage wird mir oft gestellt und meine Antwort ist: Ja. Und zwar, weil mir die Konstellation einfach kulturell am nächsten ist. Auch bei Rot-Schwarz zwischen 2011 und 2016 gab es aus unserer Sicht große Erfolge: den Wasserrückkauf, das Ende der Verkaufspolitik von Grund und Boden, das Zweckentfremdungsverbot, das Umwandlungsverbot. Wir haben mit der CDU gute linke Politik gemacht. Aber natürlich ist mir Rot-Grün-Rot kulturell näher, das ist ja keine Frage.

Kommen wir zur Zukunft von Rot-Grün-Rot. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages sagt mit Blick auf die Berlin-Wahlen im September vergangenen Jahres, Fehler dieses Ausmaßes müssen durch Neuwahlen korrigiert werden. Hat der Ausschuss recht?

Das ist die Empfehlung des Wahlausschusses für die Bundestagswahl, und zwar für 400 von 2300 Wahllokalen. Das ist eine Art Empfehlung, die man jetzt prüft. Man will aber abwarten, was der Berliner Landesverfassungsgerichtshof zur Abgeordnetenhauswahl sagt. Anders als im Bund entscheiden in Berlin die Richterinnen und Richter letztinstanzlich. Das heißt, das, was hier entschieden wird, kann nicht mehr angezweifelt werden, kann nicht beklagt werden, sondern wird respektiert. Und das wird dann auch so passieren. Egal, wie es kommt.

Sie kalkulieren eine Neuwahl des Abgeordnetenhauses also ein? Ähnlich wie die CDU?

Ob und inwieweit das Ausmaß am Ende tatsächlich Nachwahlen in kleinerem oder größerem Umfang erfordert, das muss man jetzt nicht aus dem Bauch heraus bewerten, das entscheiden allein die Richterinnen und Richter. Deswegen gehört sich das eigentlich auch seitens der Politik nicht, das zu kommentieren, von niemandem – auch nicht von der Opposition.

Wäre die SPD denn gut gewappnet für einen erneuten Wahlkampf?

Ich kann mich nur wiederholen: Wir warten jetzt ab, was die Richterinnen und Richter entscheiden werden. Und dass die SPD gewappnet ist für Wahlkämpfe, hat sie ja zuletzt bewiesen.

Nun ja. Auf dem Landesparteitag im Juni hatten Sie sich mit Franziska Giffey als SPD-Führungsduo zur Wiederwahl gestellt und kamen auf nicht mal 60 Prozent Zustimmung. Franziska Giffey hatte nach dem schlechten Abschneiden gesagt, man werde das Ergebnis jetzt analysieren. Mit ein paar Wochen Abstand: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Das Ergebnis war natürlich nicht berauschend. Aber Sie kennen mich: Über gute Ergebnisse freue ich mich, weniger gute Ergebnisse betrachte ich als Auftrag. Und da kennen Sie mich auch: Der Auftrag ist, dass man es beim nächsten Mal besser macht und auch bessere Ergebnisse hat. Ich entwickle eigentlich aus solchen Situationen eher Kraft.

Aber wenn Sie sagen, ich werde es besser machen, dann heißt das ja, dass Sie es vorher schlechter gemacht haben.

Natürlich macht man sich Gedanken: Warum ist es nicht gelungen, viel mehr Genossinnen und Genossen auf dem Parteitag am Ende zu überzeugen? Dann führt man Gespräche und nutzt eine solche Situation. Es geht tatsächlich jetzt darum, einen Auftrag wahrzunehmen, eine breite Einbindung hinzubekommen und zu organisieren. Und das wird gelingen.

Trotzdem: Was heißt das konkret? Stichwort Deutsche Wohnen & Co enteignen oder A100-Velängerung: Die Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke hatte zum Beispiel auf dem Parteitag eine offenere Diskussionskultur angemahnt und erklärt, die Parteispitze, also auch Sie, sollten »nicht jede Initiative« der Basis als »störend« empfinden.

Und sie fügte hinzu, das war ja der eigentlich wichtige Satz, sinngemäß: Wir brauchen Luft zum Atmen.

Richtig. Ist das ein Punkt mit Blick auf das Bessermachen? Haben Sie in der Vergangenheit zu viele Diskussionen abgewürgt?

Nein, im Gegenteil. Meine Partei lebt seit jeher von der offenen Diskussion, und eine starke Debattenkultur ist mir sehr wichtig.

In der vergangenen Woche flatterte Ihnen erneut Ärger ins Haus in Form eines Offenen Briefes, in dem Sie von Ihrem Parteifreund Jens Hofmann massiv angegangen werden. Der inzwischen aus der SPD-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung Spandau ausgetretene Hofmann schreibt über Sie: »Kritik ist Majestätsbeleidigung.« Die Rede ist überdies von »geradezu mafiösen Strukturen« in der SPD unter Ihrer Führung. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?

Das ehemalige Fraktionsmitglied hat sich für politische Wahlfunktionen ins Spiel gebracht und konnte nicht berücksichtigt werden. Ich nehme die persönliche Enttäuschung zur Kenntnis. In meiner Funktion muss man einiges aushalten.

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