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Veteranin mit 23 Jahren

Die Milizonärin Azê hat für die Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava ihr Leben aufs Spiel gesetzt

  • Linda Peikert
  • Lesedauer: 4 Min.

Azê kommt im elektrischen Rollstuhl aus einem roten Backsteingebäude in einem kleinen Ort nahe Derik in Nordostsyrien gefahren. An der Hausfassade hängen große, von der Sonne leicht gebleichte Bilder von Abdulla Öcalan. Gerade hat die Physiotherapie für heute geendet. Neben Azê versammeln sich noch ein paar weitere Frauen und ein Mann im Rollstuhl unter dem schattenspendenden Dach. Sie wohnen hier in Gemeinschaft und teilen ein ähnliches Schicksal: Sie sind Veteranen, haben gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) und gegen Angriffe des benachbarten türkischen Staats gekämpft. Sie alle haben dabei schwere Verletzungen erlitten, sowie weitere etwa 20.000 Kämpfer*innen der Milizen der syrisch-kurdischen YPG und YPJ.

Jetzt steht kurz bevor, dass das Blutvergießen weitergeht: Seit Wochen hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan einen erneuten Angriff auf Nordostsyrien angekündigt. Drohnen und Artilleriebeschuss feuert die Türkei bereits täglich auf die selbstverwalteten Gebiete in Nordostsyrien ab. Tausende Söldner – viele mit IS oder anderer islamistischer Terrorgruppenvergangenheit – stehen für die geplante Invasion schon in den Startlöchern und warten lediglich auf Erdoğans Angriffskommando. »Die Gefahr ist ganz akut«, sagt Azê. »Der türkische Staat verfolgt aktuell das Interesse, sein Gebiet im Stil des osmanischen Reichs auszubreiten.«

Die junge Frau im Rollstuhl ist gerade mal 23 Jahre alt. Sie hat aus Überzeugung als YPJ Kämpferin für die Werte und die Selbstverteidigung der Selbstverwaltungsstrukturen in Nordostsyrien ihr Leben aufs Spiel gesetzt. »Es ist wichtig, dass wir hier eine Stimme bekommen, denn wir haben hier den IS bekämpft. Das war für die ganze Welt von Bedeutung«, sagt sie. Jetzt, da sie im Rollstuhl keine militärischen Aufgaben übernehmen kann, verbringt sie viel Zeit damit, Gedichte zu schreiben. Sie holt ein kleines, ledergebundenes Buch aus dem Inneren des Gebäudes und schlägt es auf. Die weißen Seiten sind mit schöner Handschrift beschrieben. »Die Kinder unseres Landes sind hungrig und können nachts nicht schlafen. Die Blume der Hoffnung ist verwelkt, sowie das Schicksal der Kurden« – Azê trägt die Verse ihres Gedichts voller Emotion vor. Alle unter dem Dach vor dem roten Backsteingebäude hören ihr gebannt zu.

Die Lage in Nordostsyrien ist diese Tage angespannt. Die Verteidigungsvorbereitungen laufen in vollen Zügen, doch die geplante türkische Invasion bereiten den Menschen Sorgen. Vor allem auch, da die Welt statt anhaltender Dankbarkeit gegenüber den Kurd*innen für den Sieg über den IS, in Richtung Ukraine blickt, die Nato enger zusammenrückt und um jeden Preis expandiert. Für den Beitritt von Finnland und Schweden bekam Erdogan in seinem Kampf gegen Kurd*innen Zugeständnisse. Ob das auch bedeutet, dass er grünes Licht für einen Einmarsch in Nordostsyrien bekommen hat, ist noch unklar. Azê ist jedenfalls um die Lage ihres Volkes besorgt.

Kurze Zeit später, ein paar Straßen weiter kommt hochrangiger Besuch in ein kleines, weißes Haus mit Garten, in dem einige Frauen der Bewegung leben. »Erdogan wird jede Chance nutzen, um die Selbstverwaltung anzugreifen«, vermutet auch Îlham Ehmed. Sie ist Ko-Vorsitzende von Nordostsyrien und somit die Vertreterin der Selbstverwaltung. Alle Ämter oder Strukturen in Nordostsyrien sind mit einer Doppelspitze besetzt, die jeweils aus einer Frau und einem Mann besteht.

»In Nordostsyrien hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel verändert. Vor allem gibt es nun viel mehr Gleichberechtigung für Frauen, aber auch in Bezug auf das Zusammenleben der verschiedenen Völker hat sich viel getan«, sagt Îlham Ehmed und fügt hinzu: »Das ist ein Beispiel für ein demokratisches System in der Region.« Die türkischen Angriffe würden genau auf dieses Demokratiebestreben abzielen. Dabei sei die Region die sicherste in Syrien, deshalb kommen auch Geflüchtete aus dem ganzen Land.

»Die Türkei bekommt unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung viele Waffen von der Nato geliefert. Mit diesen Waffen werden aber tatsächlich jeden Tag viele, auch zivile Kurdinnen und Kurden ermordet«, sagt Îlham Ehmed. Sie fordert deshalb einen Waffenlieferungsstopp und eine Flugverbotszone, um Luftangriffe zu vermeiden.

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