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Friedliche Provokation

Die katholische Kirche in Korea versucht in dem Nord-Süd-Konflikt zu vermitteln. Oft gelingt das nicht

  • Felix Lill, Paju
  • Lesedauer: 8 Min.

In Paju, einem südkoreanischen Ort direkt an der Grenze zu Nordkorea, schlürft Peter Kang zufrieden eine Nudelsuppe. »Dieses Gericht ist ein Symbol des Austauschs zwischen Nord und Süd«, sagt der Priester. Kalte Nudeln heißt es übersetzt, besteht aus einem dünnen Stück Fleisch, Sojasprossen, Ei, Gurke, Gewürzen und eben kalten Nudeln in einem milden, ebenso kalten Sud.

Und weil es als Nationalgericht Nordkoreas gilt, ist es hier in Paju ein politisches Statement, diese Suppe zu bestellen. »Es ist wirklich beliebt hier«, beteuert Kang, der sein typisches katholisches Hemd ohne Kragen trägt, ehe er und eine Nonne, die mit ihm zu Mittag isst, sich bekreuzigen. Dann geht es zurück zur Kirche, nur wenige Minuten mit dem Auto entfernt, ein paar Hundert Meter weiter Richtung Nordkorea.

Auf dem Parkplatz zeigt er auf ein üppiges Areal vor sich. »Wir nennen das hier die Wiedervereinigungszone. Diese Kirche da heißt die Kirche der Reue.« Nicht jedem gefalle dieser Name, schiebt Kang gleich hinterher. »Aber wir glauben, dass wir aufeinander zugehen und uns verzeihen müssen. Nur so können wir unsere Beziehungen verbessern und Frieden erreichen.«

Die Kirche der Reue, eine katholische Kirche in Paju, ist ungewöhnlich, und das auf den ersten Blick. Architektonisch fällt das geschwungene Dach im traditionellen koreanischen Stil auf, dazu eine mit Kruzifixen verzierte Backsteinfassade. Drinnen ist sie gespickt mit indirekten Respektbekundungen gegenüber Nordkorea, zum Beispiel Bilder nordkoreanischer Maler.

Ein etwa 20 Meter breites Mosaik über dem Altar wurde sogar von einer Gruppe nordkoreanischer Künstler geschaffen. »Rund um Jesus in der Mitte zeigt es Missionare aus Nord- und Südkorea«, erklärt der Priester. »In den Nullerjahren, als es fertiggestellt wurde, haben wir die Einzelteile aus Dandong importiert. Also nicht aus Nordkorea, sondern aus der chinesischen Grenzstadt zum Norden. Dort haben die Künstler das Werk erstellt.«

Ein direkter Import aus Nordkorea wäre wegen der politischen Umstände nicht möglich. Der Stolz auf dieses Kunstwerk aber ist Peter Kang anzusehen. Wobei er auch versteht, wie kontrovers das Ganze ist. Kritiker könnten ihm hiermit die Verherrlichung des Feindes vorwerfen, was in Südkorea nicht nur verpönt ist, sondern auch eine Straftat. Propaganda für den Ein-Partei-Staat Nordkorea ist in Südkorea gesetzlich verboten.

Als im Jahr 1950 der damals noch junge Staat Nordkorea den Süden angriff, begann ein dreijähriger Krieg, der zum ersten Stellvertreterkonflikt im Kalten Krieg wurde und Millionen Tote forderte. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die zuvor von Japan kolonisierte koreanische Halbinsel ihre Unabhängigkeit erlangt, war aber von den siegreichen Alliierten geteilt worden. Der Norden wurde kommunistisch, der Süden liberal.

Mit dem Korea-Krieg ab 1950 wurde aus ideologischen Differenzen eine erbitterte Feindschaft, die bis heute reicht. 1953 erzielten die Parteien einen Waffenstillstand, aber keinen Frieden. Seit Jahrzehnten besteht auf beiden Seiten der koreanischen Grenze hohe Alarmbereitschaft. Doch die katholische Kirche versucht unermüdlich, die Beziehungen zu verbessern. Einige im Land bewundern das, andere halten es für naiv oder sogar gefährlich.

»In der Kirchengemeinde aus meiner Kindheit wurde der Priester während des Krieges vom Norden verhaftet«, sagt die Nonne Choi Soyeong, eine Frau mit langen, grauen Haaren, die Peter Kang in allen möglichen Kirchenabläufen assistiert. »Im Norden kam der Priester dann auch ums Leben.« Viele Katholiken in Südkorea können solche Geschichten erzählen, beteuert die Nonne. »Katholiken wurden vom nordkoreanischen Regime verfolgt.

Bei Choi Soyeong aber habe die Verfolgung und Vertreibung Gleichgesinnter keinen Hass genährt. Im Gegenteil: «Ich würde gerne nach Nordkorea reisen und dort unsere Brüder und Schwestern im Glauben unterstützen», sagt sie, während sie durch das Kirchenschiff führt. «Aus diesem Grund bin ich für meine Ausbildung auch nach Rom gegangen, um im Vatikan etwas über Diplomatie und internationalen Frieden zu lernen.»

Die Friedfertigkeit der katholischen Kirche gegenüber dem ihr feindlich gesonnenen Nordkorea mag verwundern – aber sie hat ihre Logik. Die Erzdiözese Seoul, der diese Kirche in Paju angehört, ist nominell nämlich ebenso für die Diözese Pjöngjang in Nordkorea verantwortlich. Doch der Zugang zu den Christinnen und Christen dort ist wegen des politischen Konflikts praktisch verschlossen.

In Seoul geht man auf Basis einer mittlerweile Jahrzehnte alten offiziellen Umfrage Nordkoreas davon aus, dass im Norden ungefähr 3000 Personen katholischen Glaubens leben. Einen Priester gibt es dort aber offenbar nicht, sodass auch niemand getauft werden kann. Geistliche, die in den letzten Jahren vor allem aus China ins Land gereist sind, haben berichtet, dass dort Laien aus der Bibel vorlesen. Nur würde man im Süden gerne eigene Priester schicken, damit nicht zuletzt auch getauft werden kann.

Das ist im Norden offensichtlich nicht erwünscht. Die dort regierende kommunistische Partei verfolgt so etwas wie ihre eigene Religion. Die Staatsphilosophie Juche hat einen Führerkult um die Kim-Dynastie begründet, legt großen Wert auf Autarkie und Schutz vor äußeren Einflüssen. Andererseits sieht Peter Kang, der dem katholischen Komitee für Verständigung mit Nordkorea vorsitzt, immerhin eine institutionelle Basis: «Nordkoreas Verfassung gewährt Religionsfreiheit, sodass es dort auch eine katholische Vereinigung gibt. Wir hatten über die Jahre unregelmäßigen Kontakt.»

In Pjöngjang gibt es auch eine katholische Kirche, die Jangchung-Kirche. Und die ist nicht etwa ein Relikt aus Vorkriegszeiten. Errichtet wurde sie 1988, dem Jahr, in dem die südkoreanische Hauptstadt Seoul die Olympischen Sommerspiele veranstaltete. Um im Rennen um globale Aufmerksamkeit gut dazustehen, so Peter Kangs Interpretation, wollte man in Nordkorea Weltoffenheit mimen. Ein Resultat dieses Versuchs sei eine katholische Kirche in Pjöngjang gewesen.

Schließlich gehört das Christentum auch in Nordkorea zur politischen Geschichte des Landes. In Seoul, eine Autostunde südlich von Paju, sitzt Cho Hangun in seinem Büro und liest Akten. «Vor der koreanischen Teilung in Nord und Süd war der Norden ab dem späten 19. Jahrhundert ein wichtiger Standort für das Christentum», sagt Hangun, ein älterer Herr mit leiser Stimme, der für das Forschungsinstitut der Kirchengeschichte Koreas arbeitet.

Das Christentum breitete sich in Korea ab dem späten 18. Jahrhundert aus, durch katholische und protestantische Missionare. Im 19. Jahrhundert verbreiteten vor allem deutsche Benediktiner den Katholizismus im Land. In Südkorea sind die meisten Christen inzwischen Protestanten. Doch für den Norden galt ab dem Korea-Krieg: Christen werden als mutmaßliche Agenten des Südens betrachtet. Sie wurden Systemfeinde.

«Wir haben bisher Informationen über 81 Personen gesammelt, die als Vertreter des katholischen Glaubens im Norden umgekommen sind», sagt der Historiker. «Bald wollen wir ihre Akten dem Vatikan vorlegen, damit sie kanonisiert werden.» Auch um an solche Informationen zu gelangen, bemühen sich Südkoreas Katholiken immerzu um Nähe zum Norden, wo man aus eigener Sicht bedeutende Dokumente vermutet.

Nur ist solche Nähe je nach politischer Lage nicht immer gern gesehen. Große Hoffnung bestand vor gut vier Jahren, als US-Präsident Donald Trump mit Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un ins Gespräch kam und auch Südkoreas Präsident Moon Jae-in mit Kim verhandelte. Als die Gespräche um Abrüstung und einen möglichen Friedensvertrag aber scheiterten, brach auch unter den Kirchenvertretern in Nord und Süd der Kontakt ab.

Und er dürfte nicht allzu schnell wiederkommen. Im März wurde der konservative Populist Yoon Suk-yeol zum Präsidenten Südkoreas gewählt. Gegenüber dem Norden hat er eine härtere Linie angekündigt. Auf Anfrage zu regierungsunabhängigen Austauschversuchen heißt es beim südkoreanischen Ministerium für Wiedervereinigung: «Das Ministerium unterstützt die aktive Förderung interkoreanischen Austauschs und Kooperation diverser religiöser Gruppen, inklusive des Katholizismus.»

Auch wird betont, dass die Katholiken eine wichtige Rolle bei der Suche nach Verständigung spielten. Allerdings haben die Gläubigen in der südkoreanischen Kirche nicht immer den Eindruck, dass die eigenen Bemühungen geschätzt werden. «In der Pandemie wollten wir medizinische Güter und andere Hilfen in den Norden schicken», sagt Cho Hangun in seinem Büro. «Wir hätten viel Material bereitstellen können. Aber von der Regierung haben wir leider keine Genehmigung erhalten.»

Wenn es um ihre Haltung gegenüber dem Norden geht, so der Eindruck vieler Katholiken, traue die Regierung der katholischen Kirche nicht über den Weg. Wobei sich die südkoreanische Kirche bei aller Freundlichkeit auch in Pjöngjang manchmal zusätzlich unbeliebt macht. Mit hörbarer Verlegenheit im Ton nennt Cho Hangun den wohl wichtigsten Grund: «Wir müssen uns natürlich um die Geflüchteten aus dem Norden kümmern, wenn sie hier im Süden ankommen.» «Wir unterhalten mehrere Unterkünfte für sie. Eine Nonne lebt auch mit ihnen zusammen und unterstützt sie jeden Tag.»

Im Norden, wo Flüchtlinge auch als Verräter gelten, kommt dies nicht gut an. Auch deshalb wurde sämtlichen Priestern aus dem Süden bisher die Möglichkeit verwehrt, in den Norden zu reisen. Neben einer Spezialgenehmigung aus dem Süden bräuchte man dafür eine Einladung aus dem Norden. Peter Kang rechnet nicht damit, dass es dazu in nächster Zeit kommen wird.

Am Nachmittag ist Peter Kang in Paju von der Kirche der Reue einen Hügel hinaufgefahren und blickt in die Ferne über den Fluss Imjin: «Da drüben liegt Nordkorea», sagt er und sieht fast melancholisch aus. «Bei klarem Himmel kann man manchmal eine Ortschaft am Wasser erkennen. Und wenn der Wind zu uns dreht, konnte man vor einigen Jahren auch Propagandalautsprecher hören.»

Peter Kang muss schmunzeln, als er das sagt. Vor Kurzem hat sein Komitee für Verständigung ein tägliches Gebet etabliert. Jeden Abend um neun Uhr klingelt bei Kang und vielen anderen Katholiken eine Erinnerung im Handy, woraufhin dann für den Norden und den Frieden gebetet wird. Im Norden könnte man darauf wohl auch verzichten.

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