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Safe Rave? Leider nicht mit unserer Pandemiepolitik
Der Festivalsommer ist im vollen Gange und die Corona-Infektionszahlen überbieten sich. Aber wo bleiben die Schutzkonzepte?
In diesem Sommer startet in Berlin endlich das lang angekündigte Drug-Checking-Projekt, bei dem illegale Rauschmittel auf Inhalt und Qualität getestet werden können. Berlin kommt dem Konzept des »Save Rave«, des sicheren Feierns, damit ein ganzes Stück näher. Leider gilt das nur bedingt. Denn während die Drogenpolitik in Trippelschritten liberalisiert wird, scheint man die Pandemiepolitik vollständig aufgegeben zu haben.
Es ist absurd: Festivals und Clubs wurden mit Beginn der Pandemie als erstes dicht gemacht und als letztes wieder zugelassen – offensichtlich stufte man sie als eine der größten Gefahrenherde ein. Mit der Wiedereröffnung im Frühjahr wurden dann jedoch sämtliche Maßnahmen fallen gelassen. Weder ein negativer Schnelltest noch ein Impfnachweis sind seitdem beim Feiern vorzulegen. Wohlgemerkt gilt das noch immer bei einer 7-Tages-Inzidenz von aktuell fast 680.
Wurden im vergangenen Jahr noch aufwändige, wissenschaftlich begleitete Schutzkonzepte erprobt, entschuldigten sich die Veranstalter*innen des »Nation of Gondwana«-Festivals in diesem Jahr gar dafür, einen Schnelltest vor Einlass zu fordern. Dabei ergab das aufwändige PCR-Testmodell, welches das Festival im vergangenen Jahr in Kooperation mit medizinischen Forschungseinrichtungen durchgeführt hatte, ein durchweg positives Resultat: Nicht nur wurde bestätigt, dass das Festival unter den gegebenen Voraussetzungen kein Infektionstreiber war, sondern auch, dass die meisten Teilnehmer*innen die Schutzmaßnahmen als positiv bewerteten.
Einen ähnlichen Schluss zog das Pilotprojekt »Clubculture Reboot« des Vereins Clubcommission in Berlin, das im Sommer 2021 unter der wissenschaftlichen Begleitung der Charité durchgeführt wurde. Unter der Prämisse, dass clubkulturelle Tanzveranstaltungen nur ohne Maskenpflicht und Abstandsregeln funktionieren, wurde hier getestet, wie das Risiko einer Ansteckung durch PCR-Testungen im Vorhinein minimiert werden kann. Ein Wochenende lang wurde in sechs Berliner Clubs gefeiert. Das Ergebnis: keine einzige Neuinfektion.
Doch statt diese Forschungsprojekte dankbar anzunehmen, setzte man auf politische Inkonsistenz und hielt die Clubs über ein Jahr geschlossen, öffnete sie kurz, schloss sie wieder – um sie dann ohne jegliche Regelungen zu öffnen. Als Resultat sehen wir nun nach jedem Festival Infektionszahlen im Tausenderbereich, in der Woche nach dem Ausgehen traut man sich kaum ins Büro und die Erfahrung lässt bereits erahnen, dass die Clubs im Herbst, gerade wegen ihrer hohen Inzidenzen, wieder als erstes dicht machen müssen. Anscheinend kennt die deutsche Pandemiepolitik nur zwei Szenarien: vollständigen Verzicht oder vollständige Durchseuchung.
Das Fusion-Festival trug in diesem Jahr besonders zur Ironie des Ganzen bei. 205 Euro zahlte man im vergangenen Jahr und erhielt dafür einen PCR-Test vor Ort inklusive. Bis das Ergebnis da war, durfte man sich ausschließlich in seiner Gruppe aufhalten; war es positiv, erhielt man sein Geld zurück. In diesem Jahr durfte man stattdessen gleich 220 Euro für ein Wochenende »Ferienkommunismus« zahlen und erhielt dafür überhaupt keinen Schutz. Nicht mal Möglichkeiten zur Schnelltestung soll es auf dem Gelände gegeben haben.
Als junge, gesunde, geimpfte Frau, die gerade ihre dritte Covid-Infektion hinter sich gebracht und zweimal Langzeitfolgen davongetragen hat, kann ich das wirklich nur schwer nachvollziehen. Ich gehe gern aus und möchte darauf ebenso wenig verzichten wie auf andere kulturelle Angebote. Doch wie die meisten Feiernden würde ich das gern sicher tun und am liebsten vorab einen kostenlosen Test machen. Umso ärgerlicher, dass das Gesundheitsministerium im Juni beschloss, diese bei Inzidenzen auf dem Höchststand abzuschaffen.
Es gibt Lösungen jenseits der Schließung und der garantierten Infektion. Die Konzepte existieren längst und sie sind anschlussfähig. Nun bleibt daher nur zu hoffen, dass die Politik zumindest im kommenden Herbst auf sie zurückgreift. Eine neue Welle an Schließungen muss unbedingt verhindert werden. Und ich für meinen Teil möchte wirklich keine vierte Covid-Infektion durchleben müssen. Bis dahin – rave safe.
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