EU erfüllt Sonderwünsche

Gas-Notfallplan enthält zahlreiche Ausnahmen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Energieminister der EU waren am Dienstag sichtlich erleichtert, dass sie überhaupt eine Einigung zum Gas-Notfallplan erzielt haben. Wichtig ist ihnen das Signal in Richtung Russland nach dem Überfall auf die Ukraine. Sie wollen Moskau zeigen, dass die Europäer in Zeiten, in denen weniger russisches Gas in Richtung Westen fließt, geeint sind. Allerdings ist unklar, ob die EU-Staaten mit ihrem Plan auch wirklich das angestrebte Ziel erreichen. Sie wollen insgesamt 45 Milliarden Kubikmeter Gas einsparen. Möglich wäre das, indem Verbrauchern reduzierte Heiztemperaturen im Winter vorgeschrieben werden und die Industrie in die Pflicht genommen wird. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nannte als mögliche weitere Maßnahmen die Optimierung der Einstellungen bei Gas-Heizungen oder den Wechsel ins Homeoffice über Weihnachten und Neujahr in großen Behörden, damit die Gebäude nicht beheizt werden müssten.

In der EU-Verordnung sind zahlreiche Ausnahmen für Staaten oder Sektoren wie die Lebensmittelindustrie enthalten. So gelten Ausnahmen etwa für EU-Länder mit geringem Anschluss an das Verbundnetz wie Spanien und Portugal oder in einer Insellage wie Irland, Zypern und Malta. Alle von den Ausnahmen profitierenden Länder können beantragen, von verpflichtenden Einsparzielen ausgenommen zu werden.

In dem Text heißt es lediglich, dass die Länder sich »nach besten Kräften« bemühen sollen, ihren nationalen Gasverbrauch zwischen dem 1. August und dem 31. März um 15 Prozent im Vergleich zum Schnitt der letzten fünf Jahre zu senken. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hätte sich mehr Verbindlichkeit gewünscht, aber die Mitgliedstaaten weichten den am Freitag von ihr vorgelegten Solidaritäts-Mechanismus in den Verhandlungen auf.

Die Kommissionspräsidentin hatte eine Sondervollmacht gefordert, um Sparziele direkt erzwingen zu können. Nun machte von der Leyen eine gute Miene zu der Einigung, die von Tschechien ausgehandelt wurde, das derzeit den EU-Vorsitz innehat. »Das ist ein entscheidender Schritt, um Wladimir Putins Drohung mit einer vollständigen Gasunterbrechung zu begegnen«, sagte die CDU-Politikerin.

Anders als von der Leyen wollte, bekommen die Mitgliedstaaten mehr Mitspracherechte. Voraussetzung ist, dass mindestens fünf Staaten die EU-Kommission aufrufen, die Notstandsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Im nächsten Schritt müssen die Mitgliedsstaaten der EU sie dann mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Mindestens 15 Staaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, müssen zustimmen, damit die Sparpflicht wirksam wird.

Insbesondere in Deutschland sind die Sorgen wegen der Energiekrise groß. Der russische Energiekonzern Gazprom senkt die Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 für die Bundesrepublik am Mittwoch auf 20 Prozent. Der Kreml machte die Sanktionen der EU für technische Probleme verantwortlich. Die Strafmaßnahmen erschwerten die notwendige Reparatur der Gasturbinen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge.

Dagegen meint die Bundesregierung, dass Russland aus taktischen Gründen weniger Gas liefert. Sie wirft Moskau in diesem Zusammenhang Erpressung vor. Zudem herrscht in der Bundesregierung die Meinung vor, dass Russland versuche, über den hohen Gaspreis die Solidarität in Europa aufzubrechen. Um die Verbraucher im Notfall zu entlasten, prüft die EU-Kommission Obergrenzen für die Gaspreise. In diesem Fall müsste die Bundesregierung die Gaspreise für Verbraucher und Industrie subventionieren.

Aller Voraussicht nach muss Deutschland, das von russischem Gas abhängig ist, im Winter deutlich mehr Gas sparen als andere EU-Länder. Die Bundesregierung meint, damit große Probleme für die Industrie oder sogar eine Rezession zu verhindern, wenn es zu einem russischen Gaslieferstopp kommen sollte. Nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sollte Deutschland das EU-weite Gaseinsparziel von 15 Prozent bis Ende März übertreffen. »In der Tat, für einige Länder und ich würde für Deutschland auch sagen, sollten wir versuchen, besser zu werden«, so der Grünen-Politiker.

Die Volkswirtschaften in der EU sind so eng miteinander verflochten, dass Probleme in Deutschland auch Auswirkungen auf andere Länder hätten. Deswegen kann man davon ausgehen, dass die EU-Staaten im Notfall an einem Strang ziehen werden. »Wenn die Chemieindustrie in Deutschland hustet, kann die gesamte europäische Industrie zum Stillstand kommen«, erklärte die französische Energiewende-Ministerin Agnès Pannier-Runacher.

Die Gesetzesänderung muss noch formell von den EU-Ländern besiegelt werden. Einen Sonderweg wird hierbei wohl Ungarn gehen. Das Land stimmte als einziges in der EU gegen den Kompromiss. Die ungarische Regierung hatte zuletzt die Bestrebungen der EU ignoriert, sich unabhängiger von russischen Energielieferungen zu machen. Budapest bemüht sich um mehr Gas aus Russland. Zu diesem Zweck reiste Außenminister Peter Szijjarto am Donnerstag nach Moskau. Dort verhandelte er über den Kauf von 700 Millionen zusätzlichen Kubikmeter Gas.

In Russland werden solche Initiativen sehr begrüßt. Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich grundsätzlich offen für weitere Lieferungen an Ungarn und lobte die bilateralen Beziehungen beider Länder. Ungarn bezieht 65 Prozent seines Öls und 80 Prozent seines Gases aus Russland.

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