Was zuletzt stirbt

Die Klimakatastrophe verdrängen wir mit Hoffnung oder Zynismus. Aber warum halten wir sie eigentlich nicht auf?

  • Alex Struwe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Hoffnung, wenn die Katastrophe nur deutlich genug zutage trete, dann würde es ein Umdenken geben, dann würden die dringend notwendigen Maßnahmen ergriffen, dann würde gehandelt und doch noch alles gut werden – sie wird zunehmend Naivität. Zu den Bildern der brennenden Wälder über Tschechien und Brandenburg bis zum Nationalpark Yosemite sagen die Menschen weiterhin nur: »Was soll denn noch alles passieren?« Gemeint ist, dass man insgeheim doch noch mit dem Happy End rechnet, das wir uns seit Jahrzehnten in Katastrophenfilmen antrainiert haben: Am Ende wird die Menschheit geschlossen der Bedrohung trotzen.

Diese Vorstellung war schon immer ideologisches Trostpflaster dafür, dass das Versprechen einer menschlichen Gesellschaft nicht eingelöst wurde. Weil aber die ganze, man sagt mittlerweile abschätzig westliche, Zivilisation auf diesem Versprechen beruht, darf diese Hoffnung eben erst zuletzt sterben. Sie trägt ja ihren Teil dazu bei, dass es bis zum Untergang noch so weitergehen kann wie bisher. Denn passiert ist all das Katastrophale längst schon: Apokalyptische Brände, Fluten, Dürre, Elend gab es auch letztes Jahr. Die Superlative zur Beschreibung der Katastrophe sind bald ausgeschöpft, die Warnungen und Drohungen zu Tatsachen geworden. Es sieht nicht danach aus, dass der Klimawandel einen glücklichen Ausgang nimmt. Aber warum eigentlich nicht?

Niemand scheint eine schlaue Antwort darauf zu haben. Liberalkonservative wie der Soziologe Armin Nassehi finden etwa, dass wir die moderne Gesellschaft mit einem solchen Gestaltungsanspruch überfordern würden. Mit etwas mehr Demut müsse man auch nicht ständig Besseres erwarten. Andere geben sich ganz der Sehnsucht nach Apokalypse hin und glauben, die dekadente und naturvergessene Zivilisation hätte es nicht anders verdient – von Extinction Rebellion bis zu den Faschisten. Die meisten Menschen aber werden einfach zynisch, was wohl die ideologische Kehrseite der falschen Hoffnung ist.

In den sozialen Medien weisen sie etwa darauf hin, dass die Realität bereits die Netflix-Satire »Don’t Look Up« des letzten Jahres eingeholt habe. In dem Film warnten Wissenschaftler*innen vor dem menschheitsvernichtenden Kometeneinschlag und wurden erst ignoriert, dann zum massenmedialen Phänomen gemacht, in Talkshows vorgeführt, auf hysterische Frau und sexy Wissenschaftsnerd reduziert. Sprich, die drohende Vernichtung wurde nahtlos in die Kulturindustrie integriert. Alles lief wie gewohnt weiter.

Passend zu doomscrolling und medialer Bilderflut des Untergangs wird auch Walter Benjamin zitiert, der im Nachwort seines Kunstwerk-Aufsatzes schrieb: Die menschheitliche »Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt«. Benjamin meinte damit aber etwas anderes als zynischen Kulturpessimismus, der den verblödeten Massen das gute Leben eh nicht zugesteht. Die Vernichtung, von der er sprach, war der Faschismus.

Aber so wird ein Schuh draus. Denn das ist der Hinweis auf die eigentlich traumatische Dimension: Dass wir sehenden Auges in die Katastrophe steuern. Wir stehen nicht bloß vor einer äußeren Bedrohung und »Menschheitsaufgabe«. Die Ohnmacht gegenüber der Katastrophe erinnert daran, dass die Freiheit noch gar nicht realisiert worden ist, die Menschen die Bedingungen ihres Lebens gestalten ließe. Und wie eigentlich immer in der modernen Geschichte ist der Umgang mit dieser traumatischen Ohnmacht entweder Selbstbetrug oder Zynismus.

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