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  • Fußball-EM der Frauen

Die deutschen Fußballerinnen brechen in ein neues Zeitalter auf

Die DFB-Frauen betreiben mächtig Werbung für ihren Sport

  • Frank Hellmann, London
  • Lesedauer: 5 Min.
Stark am Ball: Giulia Gwinn (r.) bringt ihren Sport aber auch abseits des Platzes voran.
Stark am Ball: Giulia Gwinn (r.) bringt ihren Sport aber auch abseits des Platzes voran.

Nichts scheint eine solch harte Währung bei den deutschen Fußballerinnen zu sein wie Abrufzahlen bei Instagram und TikTok. Da wird auch untereinander verglichen, wer was bei dieser EM bewirken konnte. Laura Freigang, eine der am seltensten im Turnier eingesetzten deutschen Feldspielerinnen, aber trotzdem durch ihre offene Art öffentlich sehr präsent, hat mal verraten, wie wichtig die sozialen Medien geworden sind. »Wir kämpfen ja um Anerkennung und mehr Aufmerksamkeit. Mit diesen Clips kann ich ganz viele Leute auf einer lockeren Ebene abholen«, sagte die Stürmerin von Eintracht Frankfurt. Sie erstellte ulkige Videoclips, die plötzlich vier, fünf Millionen Abrufe erzielten. »Damit erreiche ich junge Menschen, die Frauenfußball vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben.«

Ganz am Anfang des Turniers, das am Sonntagabend mit dem Finale (n. Red.) endete, erschien die 24-jährige Frohnatur zusammen mit Giulia Gwinn auf einer Pressekonferenz im Medienhotel am Grand-Union-Kanal im Londoner Stadtteil Brentford. Die Stimmung war bestens – und das, bevor die Siegesserie gegen Dänemark, Spanien, Finnland, Österreich und Frankreich überhaupt begann –, als sich die für den FC Bayern spielende Gwinn neben Freigang aufs Podium setzte. Auch die 23-jährige Rechtsverteidigerin kann sich sehr gewinnbringend nach außen verkaufen. Kapitänin Alexandra Popp hat sie bei der WM 2019 mal »die Hübscheste« genannt. Gwinn wehrt sich nicht gegen solche Attribute, will aber nicht auf ihr Aussehen reduziert werden. Ihre Popularität steigt gerade rasant. Die Zahl ihrer Follower bei Instagram liegt jetzt bereits bei 368 000. Zum Vergleich: Der Kanal der DFB-Frauen steht bei 246 000. Gwinn ist der Social-Media-Star des Nationalteams, auch wenn sie stets beteuert. »Es bleibt für mich eine Nebensache, mit der ich aber einiges bewegen kann.« Dass daraus mehr als ein netter Nebenverdienst resultiert, negiert sie nicht. Sie ist schon jetzt nicht mehr das kleine Mädchen vom Bodensee, aber vielleicht bald in der Werbung noch eine viel größere Nummer.

Beraten wird sie von Felix Seidel. Der Inhaber der Agentur »Sei Sport« managt insgesamt 40 Fußballerinnen, 13 von ihnen standen im EM-Viertelfinale, auch Gwinns Teamkollegin Sydney Lohmann gehört zu seinen Klientinnen. Seine Kunden, schreibt Seidel auf seiner Homepage, sollten ohne Größenwahn bekannt werden. Natürlich war auch der 40-Jährige in England vor Ort, ihn hat das Turnier gefesselt: »Taktik, Technik, Tempo – die Spielqualität ist so hoch wie nie. Dass sich der Frauenfußball in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt hat, wird nun auf großer Bühne sichtbar.«

Ihm imponiere stets, dass die Spielerinnen alle schon einen Plan für die Karriere danach im Kopf hätten. Freigang studiert Sportwissenschaften, Gwinn Sportmanagement – sie zählen zu den 15 EM-Spielerinnen, die ein Studium absolvieren. Fast ein Dutzend hat noch den Trainerschein gemacht. Seidel weiß aber auch: »Nach wie vor gibt es Spielerinnen, die in der Bundesliga auflaufen und von ihrem Gehalt nicht mal ihren Lebensunterhalt finanzieren können.«

Seine Topspielerin Gwinn gehört nicht dazu. Doch auch sie ist von den Millionengagen der Männer weit entfernt. Die besten deutschen Spielerinnen vom VfL Wolfsburg und FC Bayern sollen Monatsgehälter zwischen 10 000 und 15 000 Euro beziehen, brutto versteht sich. Darüber lächeln manche Drittligakicker. Mehr denn je kann jetzt darüber debattiert werden, ob das gerecht ist, wenn die deutschen Frauen ein Endspiel gegen England in Wembley vor ausverkaufter Kulisse spielen und Millionen an den Fernsehschirmen zuschauen.

Spätestens ab dem ersten Augustwochenende, wenn in der Bundesliga wieder der Ball rollen wird, dürfte sich das Interesse ohnehin hauptsächlich zu den Männern verlagern. Doch die Frauen tun jetzt etwas dagegen, um nicht ganz im Schatten zu verschwinden. Eintracht Frankfurt gegen Bayern München heißt erstmalig die Konstellation fürs Bundesligaeröffnungsspiel bei beiden Geschlechtern. Die einen machen am 5. August den Anfang, die anderen ziehen am 16. September nach. Für beide Spiele ist die Arena im Frankfurter Stadtwald der Schauplatz. Ausverkauftes Haus bei den Männern, das ist klar. Und bei den Frauen dann 20 000, vielleicht 30 000 Besucher, die Freigang und Gwinn sehen wollen? Siegfried Dietrich, der Sportdirektor der Frauenmannschaft von Eintracht Frankfurt, warnt vor überzogenen Erwartungen. Aber den Zuschauerrekord von 2014 (12 464 beim VfL Wolfsburg) will er auf jeden Fall brechen.

Dietrich findet, dass die EM mit sich bringe, »manche Negativschlagzeilen der Vergangenheit als gesammelte Erfahrung abzuhaken«. Wo bitte spielen denn außer der zu Olympique Lyon wechselnden Sara Däbritz alle Feldspielerinnen? Doch in der Frauenbundesliga. Deshalb werde der Rückenwind diesmal nicht mit dem Abpfiff des Endspiels abflauen, sagt der 65-Jährige, der eng mit den DFB-Granden in Kontakt ist. »Wir wollen nach der erfolgreichen EM mit allen Verantwortlichen der Liga und dem DFB ein neues Wahrnehmungszeitalter der Frauen-Bundesliga einläuten.« Schon oft hat er das Vermarktungspotenzial herausgestellt, schließlich betreiben Gwinn und Freigang derzeit mächtig Imagewerbung für den deutschen Fußball. Jetzt scheint es tatsächlich voranzugehen. Gerade sind die Fernsehrechte für die Bundesliga neu ausgeschrieben worden. Der Bezahlsender Sky hat großes Interesse, will mehr Frauensport übertragen. Das könnte was werden.

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