- Berlin
- Straßenbahn am Ostkreuz
Eine total verplante Strecke
Die Planungsprobleme bei der Straßenbahn zum Ostkreuz gefährden auch andere Vorhaben
2026 – dann soll laut aktuellen Angaben der Senatsmobilitätsverwaltung endlich die Straßenbahnlinie 21 den Bahnhof Ostkreuz erreichen. Nur 1,2 Kilometer ist die Neubaustrecke lang, auf der die Linie von der Boxhagener Straße in Friedrichshain in die Sonntagstraße verschwenkt werden soll, um den Eisenbahnknoten zu erreichen. Erstmals ist 2013 ein geplanter Fertigstellungstermin genannt worden. Damals war vom Jahr 2016 die Rede. Vorgesehen ist der Bau dieser Verbindung seit Ende der 90er Jahre. Kein wirklich konkret geplantes Tramprojekt in der Hauptstadt hat bisher länger gebraucht.
Ob die Strecke wirklich 2026 endlich eröffnet werden kann, steht in den Sternen. Von einem »realistischen Zeitplan« hatte Verkehrs-Staatssekretärin Meike Niedbal (Grüne) bei der letzten Sitzung des Mobilitätsausschusses vor der Sommerpause im Juni gesprochen. Das Planfeststellungsverfahren soll 2023 abgeschlossen werden, die Fertigstellung der Ausführungsplanung und Vergabe der Bauaufträge ist für das Jahr 2024 vorgesehen. Niedbal sagt, was ihre Verwaltung unter »realistisch« versteht: »Zeitpuffer gibt es im Wesentlichen nicht.«
Bereits zweimal sind die Pläne im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens ausgelegt worden. Nun wird eine dritte Auslegung erforderlich sein. Einen Termin dafür gibt es noch nicht. Denn es hat inzwischen einen schwerwiegenden Einwand gegeben, der bisher nicht ausgeräumt werden konnte: Die Berliner Feuerwehr sieht angesichts der Planungen für einen kleinen Abschnitt derzeit keine Lösung, gefahrlos den sogenannten zweiten Rettungsweg zu gewährleisten.
Wenn es, wie in Altbauten üblich, kein zweites Treppenhaus gibt, muss die Rettung bei einem Brand über Drehleitern möglich sein. Für die benötigten Flächen gibt es klare Vorschriften. Unter anderem dürfen die Fahrzeuge nicht zu schief stehen, außerdem müssen die Leitern einen Abstand zur stromführenden Oberleitung einhalten. Aktuell sind das 600, bald 750 Volt Gleichspannung.
Es habe »intensive Abstimmungen mit der Feuerwehr« gegeben, berichtet Guido Schötz im Ausschuss. »Wir können aber sagen: Wir haben eine Lösung gefunden. Die BVG wird eine technische Lösung für das Problem erarbeiten«, verspricht der Referatsleiter der Mobilitätsverwaltung. Etwas gedämpfter klingt das bei BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt. Er spricht von einer »Riesenherausforderung für uns«. Letztlich gebe es zwei Lösungen: entweder die Haltestelle nicht barrierefrei auszuführen oder die Oberleitung anhebbar zu gestalten. »Die Forderung ist, dass die Fahrleitung im Notfall durch die Feuerwehr angehoben werden kann, auf bis zu zehn Meter«, sagt Erfurt. Es gebe »Einzellösungen in Deutschland dazu, aber nicht auf zehn Meter Höhe«.
Zunächst klingt es so, als handele es sich um einen überschaubaren Abschnitt, auf dem die Oberleitung hochfahrbar sein müsste. »Nach jetzigem Erkenntnisstand ist laut BVG das nur im barrierefreien Haltestellenbereich notwendig, der mindestens zwölf Meter lang sein soll«, teilt die Mobilitätsverwaltung auf nd-Anfrage mit.
Doch ein Kenner erläutert: »Selbst wenn nur der Abschnitt zwischen zwei Oberleitungsmasten um vielleicht drei Meter angehoben werden muss, muss das außerhalb des Abschnitts in beiden Richtungen ebenfalls geschehen.« Auch dort müsste der Fahrdraht wie bei einer Rampe nach oben gehen. »Die beidseitigen Rampen werden deutlich länger sein als die zwölf Meter«, sagt er. Er glaubt nicht, dass das technisch im Straßenraum machbar ist.
Rund 18 Meter ist die Sonntagstraße von Fassade zu Fassade breit, vergleichbar mit vielen anderen Straßen, wo die Tram seit über 100 Jahren fährt. Die Strecken hätten Bestandsschutz, begründete die Feuerwehr kürzlich auf nd-Anfrage, warum sie in der Sonntagstraße nicht den Zustand wie in anderen Straßen akzeptieren möchte. Bereits heute verfüge die Feuerwehr über mobile Erdungs- und Kurzschlusseinrichtungen, um den Fahrdraht stromlos zu schalten, teilen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit. Allerdings bisher nur an drei Standorten, »sodass ein flächendeckender Einsatz innerhalb der Hilfsfrist in Berlin nicht gegeben ist«.
Außerdem ist auch eine stromlose Oberleitung den Drehleitern im Weg, weswegen dort dann der Fahrdraht gekappt wird. »Dies führt regelmäßig zu längeren Unterbrechungen und Störungen im Straßenbahnverkehr, als es unbedingt notwendig wäre«, so die BVG. Oberleitungen sind komplizierte Kunstwerke aus vielen gespannten Drähten, die über Dutzende Meter zusammenhängen. »Es braucht drei Tage, um so einen Abschnitt wieder neu zu verdrahten. In der Zeit ist die Straße auch für den Autoverkehr gesperrt«, sagt ein Praktiker zu »nd«.
Die Feuerwehr hat bisher nicht die Frage beantwortet, wann sie ihren Einwand gegen die Straßenbahnplanung eingelegt hat. Urlaubs- und krankheitsbedingt sei die zuständige Abteilung stark unterbesetzt, der zuständige Sachbearbeiter erst in der kommenden Woche wieder an seinem Platz, heißt es dazu bedauernd in einer Antwort der Pressestelle auf nd-Anfrage.
Der Einwand der Feuerwehr hat das Potenzial, den Ausbau der Straßenbahn in Berlin auszubremsen, wenn sich keine technische Lösung findet. Das betrifft dann zum Beispiel die geplante Verlängerung der M10 von der Warschauer Straße zum Hermannplatz, die ebenfalls durch vergleichsweise enge Straßen in Altbauquartieren führen soll. Insgesamt zehn Strecken mit 47 Kilometern Länge sind derzeit in Planung. »BVG und Berliner Feuerwehr waren und sind weiterhin im Gespräch; eine Einigung kann erst nach Vorliegen der konkreten Ausführungsplanung erfolgen«, erklären die Verkehrsbetriebe.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg weist auf nd-Anfrage eine mögliche Mitverantwortung für die Lage durch in der Phase des Planfeststellungsverfahrens neu genehmigte Dachgeschossausbauten von sich. »Die Prüfung der Rettungswege und die Würdigung der Stellungnahme der Feuerwehr obliegt dem im jeweiligen Genehmigungsverfahren tätigen, öffentlich bestellten und vereidigten Prüfsachverständigen für Brandschutz«, heißt es.
»Ich erwarte bei Beachtung aller Sicherheitsvorschriften ein Entgegenkommen und eine Verhandlungsbereitschaft bei der Feuerwehr, damit wir mit der BVG zügig eine technisch saubere Lösung für diesen Abschnitt der Straßenbahn am Ostkreuz finden«, sagt Kristian Ronneburg zu »nd«. Er ist verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Erst wenn die Lösung vorliegt, wird das Verfahren weitergehen können und danach noch über ein Jahr vergehen, ehe wir endlich den Planfeststellungsbeschluss haben«, so Ronneburg weiter. 2026 müsse die Inbetriebnahme erfolgen, fordert er.
Das ist allerdings auch abhängig davon, mit welchem Erfolg Anwohner Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss anstrengen werden. Seit der ersten öffentlichen Vorstellung der Pläne im Jahr 2013 regt sich massiver Widerstand gegen die Strecke. Rund 900 Einwendungen gab es in der ersten Auslegungsphase der Unterlagen. An der Neubaustrecke hängt auch die Einführung des gebotenen Zehn-Minuten-Taktes auf der Strecke. Damit die verschlissenen Schienen im stillzulegenden Abschnitt noch bis zur Eröffnung halten, will die BVG bis dahin zunächst beim 20-Minuten-Takt bleiben.
Insgesamt sei der Steckenausbau am Ostkreuz mit den drei erforderlich gewordenen Auslegungen der Unterlagen im Planfeststellungsverfahren »leider kein Ruhmesblatt«, sagt Kristian Ronneburg. »Aus diesen Fehlern müssen die BVG und die Senatsverwaltung für Mobilität dringend lernen und Schlüsse daraus ziehen, damit jahrelange Verzögerungen bei den vielen bereits laufenden und anstehenden Straßenbahnausbau-Maßnahmen in Zukunft nicht mehr passieren.«
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