Bilder, die atmen und pulsieren

Vor 100 Jahren wurde Jan Buck, Nestor der sorbischen Malerei, geboren

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Jan Buck: Blaues Stillleben, 2000, Tempera auf Papier
Jan Buck: Blaues Stillleben, 2000, Tempera auf Papier

Er hat die traumatischsten Ereignisse der Geschichte, den Zweiten Weltkrieg, die Wirren der Nachkriegszeit, die erbitterten Kämpfe zwischen den Ideologien der konträren Machtblöcke im Kalten Krieg durch- und überlebt, ohne sich je beirren zu lassen. Gewiss hatte auch er, der sorbische Maler Jan Buck, der am 2. August 1922 geboren worden ist und 2019 im Alter von 96 Jahren starb, Angst, Entsetzen und Abscheu empfunden über die Gewalt, den Terror, den Unfrieden im 20. Jahrhundert – aber in seinen Bildern suchen wir vergeblich danach. Die freie Natur und das Atelier waren seine Welt: Hier gab es für ihn die innere Ruhe und Harmonie, die er brauchte, um seine Bilder zu erschaffen, die Trost, Zuversicht und Ausgewogenheit ausstrahlen. Trotz der Zurückgezogenheit und inneren Konzentration, die er lebte, war ihm alles Provinzielle, Heimattümelnde fremd. Er war ein weltläufiger Maler, der fest im Grund der klassischen Moderne wurzelte.

Zu seinem 100. Jubiläum wird ihm das Sorbische Museum in Bautzen vom Oktober 2022 bis Februar 2023 eine umfangreiche Werkschau aus sechs Jahrzehnten widmen, die dann noch nach Cottbus und Senftenberg sowie Wroclaw und Zielona Gora in Polen wandert, wo Buck 1947 bis 1950 ein Kunststudium bestritt, das er in Dresden fortsetzte. Gezeigt werden Stillleben, Figurenbilder, Kompositionen und Landschaften der Lausitz und der näheren wie weiteren Ferne. Die Gemälde und Arbeiten auf Papier (Aquarell, Tempera, Tusche) kultivieren das Sehen, machen das Bild zum reinen Objekt der Lust zum Schauen. Indem Buck jede ornamentale, anekdotische, symbolische Absicht verwarf, verwirklichte er eine seltene malerische Reinheit. Ja, er war ein Maler des »reinen Zustandes«, ein »reiner« Maler, der das Sichtbare der Welt in die Sichtbarkeit des Bildes verwandelte. Seine Bilder öffnen das Auge für das Spiel von Raum und Fläche, Licht und Farbe, Ding und Form, Chaos und Ordnung, Materie und Atmosphäre. Jedes Chaos kann in eine Ordnung umschlagen und umgekehrt können komplexe Ordnungen in Chaos ausarten. Das Gegenständliche findet hier Brücken in die Erinnerung und eigene Erfahrung, identifizierbare Formen zu eigenen Empfindungen. Zugleich fügt der Künstler dem Bekannten Unbekanntes hinzu und führt so den Betrachter unversehens in seine geistige Welt, wo Spiel und Traum die Wirklichkeit verdrängt haben und uns von Zerrissenheit und Unruhe befreien.

Seine Stillleben, »natura morta«, tote Natur, zeigt gewöhnliche Gegenstände: Becher, Schalen, Flaschen, Vasen, Gläser, Töpfe, aber auch Fische, Äpfel, Birnen und Melonen. Mit ihnen hält er stille Zwiesprache, er ordnet und verrückt sie, stellt sie neu zusammen und sortiert sie, um sie dann in ein streng gefügtes stilistisches Ganzes zu bringen. Seinen Bildern ist eigen, was alle große Stilllebenkunst auszeichnet: Alltägliches mit einer unvermuteten Bedeutung aufzuladen, mit einer ungeahnten Resonanz. Ein geradezu klassisch benennbares Form- und Farbgefühl lässt in einer sensiblen Monochromie den Raum- und Maßwert verschieden geformter Dinge zusammenklingen.

Dann aber lässt uns wieder die Kühnheit seiner Farben, seine mal gesättigten, aber auch wieder strahlenden Farbharmonien staunen. Welch anderer Künstler der Gegenwart kam mit diesem tiefen, vollen Kobaltblau, diesen Fuchsien- und Orangetönen, diesem samtigen Schwarz und Hellgelb zurecht?

Buck schuf seine Landschaften getreu nach dem Motiv, wie er die Stillleben malte. Unverrückbare Bildelemente, Bildzeichen, die das Gelände markieren und definieren. Doch welcher Reichtum, wie viel an Verwandlung offenbart der Blick auf die Landschaft, die Lausitzer Tagebaulandschaft, den Grubensee, das Industriegelände oder in den Spreewald, ebenso überraschend die Sicht auf die Steilküste bei Ahrenshoop, das bulgarische Smoljan, die Landschaft mit gelber Sonne, Schneereste, Wasser oder Gewitterwolken.

Der Maler verliert sich in der Landschaft und findet sich wieder, antwortet auf ungeordnet erscheinende Zusammenhänge diszipliniert, auf geordnete impulsiv. Man hat den Eindruck, dass Farbe, Licht und Bewegung die Bäume und Mauern zum Sprechen bringen, die Sonne einen metallischen Klang erzeugt und die Grubenlandschaft einen tiefen Generalbass. In verschiedenem Licht, wechselndem Wetter der wandelnden Jahreszeiten entdeckt das Auge des Malers Bilder um Bilder, die Verweildauer verlangen.

»Das Credo meiner Arbeit ist die Lausitz mit all ihren Zwischentönen«, hat er einmal gesagt. Malerei muss künstlich sein, nicht das Leben nachahmen. Andererseits muss sie in dem verwurzelt sein, was der Maler real um sich herum sieht. Daraus erklärt sich dann auch, warum Buck nie ganz »abstrakt« wurde. In manchen späten Bildern scheint er der Abstraktion schon sehr nah, um sich dann aber wieder zurückzuziehen, weil er eine verpflichtende Bindung an die Welt seiner Wahrnehmung erkannte.

Zwischen den Strichen einer Zeichnung und den Farbflächen eines Bildes bricht Licht herein. Die Ausgewogenheit zweier Gefäße enthält alle nur denkbare an Harmonie. Ernst ruhen die Dinge in sich. Eine Welt aus wenig Gegenständen und Figuren, und doch reich wie die Kieselstrände des französischen Malers Yves Tanguy oder wie eine verschwiegene Schöpfungsgeschichte.

Die Bilder des Jan Buck fordern uns auf innezuhalten, hinzuhören, hinzusehen. Seine Bilder leben, atmen, pulsieren. Sind nicht von einer anderen Welt, sondern gehören zu uns.

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