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Unternehmen in der Diversitätspflicht
Kundennahe Unternehmen wie die Deutsche Bahn müssen geschlechtlicher Vielfalt nun offiziell Ausdruck verleihen
René_ Rain Hornstein darf von der Deutschen Bahn nicht mehr als »Herr« oder »Frau« Hornstein angesprochen werden. Das hat die nichtbinäre Person vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main erstritten. Bis Ende des Jahres muss der Konzern nun sein IT-System überarbeiten, um den Anforderungen gerecht zu werden – nicht nur für Hornstein, sondern für alle nichtbinären Kund*innen. Das Urteil ist anwendbar auf Unternehmen im Bereich massenhaft und automatisiert ablaufender Geschäfte. Dass es irgendwann dazu kommen würde, war abzusehen, seit die Bundesregierung in Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende 2018 den Geschlechtseintrag »divers« schuf. Das plötzliche Auftauchen des Kürzels »m/w/d« in Stellenanzeigen war ein unübersehbarer Hinweis darauf, dass Unternehmen die rechtlichen Implikationen im Bereich des Diskriminierungsschutzes begriffen hatten.
Als die Nachricht von Hornsteins juristischem Sieg im Juni durch die großen Medien ging, war die Aufregung, natürlich, groß. Der Ruf nach den »richtigen« Problemen schwoll zu einem wütenden Klagegeheul an. Denn: Was es nicht gibt im Lebensalltag der Mehrheitsgesellschaft, das mussten ja nun wieder Linke bloß erfunden haben, um wahlweise Unternehmen oder die gesamte Nation in die Insolvenz respektive den Untergang zu stürzen. Kaum vorstellbare Unsummen gesellschaftlicher Arbeitsleistung waren da in einen völlig unnützen Vorgang geflossen und würden nun noch bei der Überarbeitung von IT-Systemen vergeudet.
Dabei dürften auch all diejenigen von der Sichtbarkeit geschlechtlicher Vielfalt profitieren, die ansonsten seelenruhig schlafen können, wenn jeder Hunderttausende kostende Polizeieinsatz im Rahmen von Herrenfußball-Bundesligaspielen von der Allgemeinheit bezahlt wird. Sie und ihre Kinder werden in Zukunft noch stärker in all den Alltagssituationen, die in Männer oder Frauen einteilen, ganz nebenbei grundlegendes Wissen über die Menschheit ansammeln und verinnerlichen. Denn der Geschlechtseintrag »divers« hat erstmals mit Autorität ausgestattete Institutionen der Gesellschaft dazu verpflichtet, in ihrer Kommunikation eine für alle wichtige Botschaft auszusenden: Es gibt mehr als zwei geschlechtliche Arten und Weisen, ein Mensch zu sein.
Schon reagieren weitere Konzerne auf das Urteil gegen die Bahn, etwa die Versandhäuser Zalando und Otto, die E-Mail-Dienstleister GMX und WEB.de oder das Logistikunternehmen DHL. Sie alle stellen ihre Kommunikation um, erkennen geschlechtliche Vielfalt an, wo sie relevant ist – oder verzichten auf geschlechtlich codierte Ansprachen dort, wo sie keinerlei Zweck erfüllen. Zu welchen Anreden, grammatikalischen Reformen, Gruppenzuschnitten in Schulen oder Wettbewerbsregeln im Sport dieser Prozess führen wird, ist unklar. Nur eines zeichnet sich deutlich ab: Ein erhöhtes Interesse für die speziellen Bedürfnisse auch von Minderheiten steigert zusätzlich die Chancen, mit denen die Bedürfnisse aller zur Sprache kommen und erfüllt werden können. Das gilt auch für weiße, heterosexuelle, nichtbehinderte Cis-Männer, die zum Beispiel nach Jahrzehnten privilegierten Lebens chronisch erkranken und feststellen müssen, welche schmerzhaften Hürden unsere Gesellschaft für die »anderen« bereithält.
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