Frankreich stärkt die Kaufkraft per Gesetz

Linke will reale Lohnerhöhungen statt unzureichenden Inflationsausgleich

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die veränderten Machtverhältnisse im französischen Parlament sind spürbar. Das Gesetz zur Stützung der Kaufkraft unterscheidet sich zum Teil erheblich von dem, was die Regierung in ihrem Gesetzentwurf vorgegeben hatte. Es wurde Ende vergangener Woche definitiv von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet. Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron musste nachlegen, ihre geplanten Ausgaben von 20 Milliarden Euro stockte sie auf Druck der Opposition um 500 Millionen Euro auf.

Zu den Maßnahmen, mit denen der Inflation entgegengewirkt werden soll, gehört für alle Arbeiter und Angestellten, die bis zu dreimal den Mindestlohn SMIC verdienen, eine einmalige steuer- und sozialabgabenfreie Kostenausgleichszahlung von 3000 Euro.

Offensichtlich um sich ihre Unterstützung zu anderen Passagen des Gesetzes zu sichern, ist die Regierung auf die Forderung der rechtsbürgerlichen Opposition eingegangen, den Unternehmen zu erlauben, von ihren Angestellten durch Überstunden angesammelte »Freie Tage« finanziell abzugelten. Das hat die linke Opposition scharf verurteilt, weil damit die gesetzliche 35-Stunden-Woche ausgehebelt und die Erhöhung der Löhne und Gehälter für alle auf die lange Bank geschoben wird.

Heftig umstritten war auch die Erhöhung der Renten um vier Prozent zusätzlich zu der bereits im Januar automatisch erfolgten Erhöhung um 1,1 Prozent. Das bleibt weit hinter der tatsächlichen Preisentwicklung zurück, betonte die linke Opposition, die sich allerdings mit ihrer Forderung nach einer Koppelung der Erhöhung der Renten und des Mindestlohns SMIC an die Inflationsrate nicht durchsetzen konnte. Gemeinsam haben das Regierungslager und die rechtsbürgerliche Opposition auch die Forderung des linken Bündnisses Nupes abgeschmettert, die durch die Spekulation mit kriegsbedingter Energie- und Rohstoffverknappung erzielten »Superprofite« der Energie- und anderen Großkonzerne mit einer Sondersteuer zu belegen.

Die verschiedenen Formen der Sozialhilfe einschließlich Stipendien und Kindergeld werden rückwirkend zum 1. Juli aufgestockt. Gegen den Willen der Regierung haben die oppositionellen Parlamentarier, denen sich in dieser Frage aber auch etliche ihrer Kollegen aus dem Regierungslager anschlossen, durchgesetzt, dass bei der Behindertenrente nicht mehr das Gehalt des Ehepartners zur Berechnung – und im Ergebnis oft zur Kürzung – herangezogen werden darf.

Die Erhöhung der Mieten, aber auch des Wohngelds, wird zunächst für ein Jahr auf maximal 3,5 Prozent begrenzt.

Von der linken wie rechten Opposition durchkreuzt wurde das Vorhaben der Regierung, ihren Treibstoffrabat von 18 Cent pro Liter durch einen Scheck für »Vielfahrer« abzulösen. Jetzt schreibt das Gesetz fest, dass der Literpreis im September und Oktober durch den Staat sogar um 30 Cent und dann im November und Dezember um zehn Cent zu drosseln ist. Die Abschaffung der jährlichen Rundfunk- und Fernsehgebühr von 138 Euro wurde mehrheitlich beschlossen, obwohl die linke Opposition heftig dagegen angekämpft hat, weil das ihrer Überzeugung nach »populistisch« und gefährlich für die öffentlich-rechtlichen Medien und damit für die Erhaltung der Informationsvielfalt ist. Die rechte und die rechtsextreme Opposition konnten sich mit ihrer unterschwellig ausländerfeindlichen Forderung durchsetzen, zur Bekämpfung von Betrug die aktuellen »Vitale«-Krankenversicherungskarten durch biometrische Karten abzulösen.

Um die Strom- und Gastarife trotz der bereits spürbaren Energiekrise in Grenzen zu halten, erlaubt das Gesetz den vorübergehenden Rückgriff auf Kohlekraftwerke, die aus ökologischen Gründen bereits geschlossen waren. Im Interesse der Versorgungssicherheit werden generell die Umweltauflagen für die Stromerzeugung vorübergehend gelockert, etwa für den Import von Schiefergas aus den USA.

Wie Macron sein Versprechen, das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf fünf Prozent zu beschränken, halten will, ließ er offen. Eine Übergewinnsteuer wäre da hilfreich gewesen.

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