Ein lauter Ruf nach Impfstoff

Die Immunisierungen gegen das Affenpocken-Virus sind angelaufen. In den USA wurde der nationale Notstand ausgerufen

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine der noch raren Dosen des Impfstoffs Imvanex von Bavarian Nordic
Eine der noch raren Dosen des Impfstoffs Imvanex von Bavarian Nordic

Schmerzender Hautausschlag, begleitet von Fieber: Damit geht man gerade besser schnell zum Arzt, denn es könnte sich um Affenpocken handeln.

Von dem aktuellen Ausbruch sind nach Angaben des RKI in Deutschland zurzeit 2839 Menschen betroffen. Die Übertragung von Mensch zu Mensch ist eigentlich selten, und Ausbrüche sollten sich daher von selbst ausbrennen. Das ist im Moment allerdings nicht der Fall, vielmehr steigen die Zahlen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb am 23. Juli den aktuellen Ausbruch zu einer gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite erklärt hat. Weltweit meldet die WHO 26 017 Menschen, die sich mit dem Virus angesteckt haben, davon 4761 in den letzten sieben Tagen. In den meisten Fällen verläuft eine Infektion mild. Weltweit wurden aber auch bereits acht Todesfälle gemeldet.

Der aktuelle Ausbruch seit Mai konzentriert sich mit 16 295 Infizierten vor allem auf Europa; in Deutschland bildet Berlin den Hotspot mit 1418 Fällen. Übertragen wird das Virus durch engen Kontakt, vor allem durch Kontakt mit Hautverletzungen.

Die meisten Betroffenen sind derzeit Männer, die Sex mit Männern haben; in Deutschland wurden bisher nur sieben Fälle bei Frauen gemeldet. Dieser neue von der WHO ausgerufene Notfall weckt daher Erinnerungen an die Aidskrise: In den frühen achtziger Jahren galt Aids als »Schwulenkrankheit«, Politiker*innen diskutierten darüber, die Betroffenen wegzusperren, statt über Behandlungsmöglichkeiten. Die Häufung der aktuellen Fälle und dieser historische Ballast erfordern eine besonders sensible Kommunikation. Zum einen müssen die am meisten gefährdeten Gruppen klar und direkt angesprochen und informiert werden, damit sie sich schützen können und der Ausbruch möglichst schnell eingedämmt wird. Männer, die Sex mit wechselnden männlichen Partnern haben, dürfen dadurch aber nicht als Gefährder dargestellt werden, um eine drohende Stigmatisierung zu vermeiden. Von der Community wird vor allem mehr Impfstoff gefordert, es gibt aber auch Diskussionen, ob es nicht angemessen wäre, bis zum Abklingen des Ausbruchs auf anonymen Sex zu verzichten.

Die gute Nachricht: Affenpocken sind viel harmloser als die Pocken, die seit 1979 weltweit als ausgerottet gelten. Die gegen die Pocken entwickelten Medikamente und Impfungen scheinen auch gegen die Affenpocken wirksam zu sein. Wahrscheinlich schützt daher auch noch die Pocken-Impfung, die in der DDR bis 1980, in der Bundesrepublik bis 1976 Pflicht war.

Die schlechte Nachricht ist jedoch: Es gibt viel zu wenig von dem gut verträglichen Impfstoff. Insgesamt stehen derzeit hierzulande etwa 40 000 Dosen des Impfstoffs Imvanex zur Verfügung, weitere 5300 Dosen hat Deutschland über eine Bestellung der Europäischen Union zusätzlich erhalten. Erst für das dritte Quartal im Herbst sollen dann weitere 200 000 Impfstoffdosen zur Verfügung stehen. Mehr will die Bundesregierung offenbar vorerst nicht beschaffen. Da der Impfstoff zurzeit auch nur von einer einzigen Firma weltweit hergestellt wird, ist die Produktion bis 2023 bereits vorbestellt.

Zwar lagert die Bundesregierung aus Sicherheitsgründen etwa 100 Millionen Dosen Pocken-Impfstoff ein, dieser ist jedoch für eine Impfung gegen Affenpocken nicht geeignet. Anders als der jetzt verwendete Impfstoff Imvanex repliziert der alte Impfstoff die Krankheit, das heißt, dass durch die Impfung eine milde Version der Erkrankung ausgelöst würde, um Antikörper zu produzieren. Daher haben gegen Pocken Geimpfte auch oft eine Narbe an der Einstichstelle. Diese Art der Impfung kann schwere Nebenwirkungen auslösen. Diese wären akzeptabel, wenn es wieder einen Pockenausbruch geben würde, bei den harmloseren Affenpocken wäre das Risiko jedoch nicht angemessen, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Der neuere Impfstoff Imvanex löst dagegen beim Menschen keine Erkrankung aus und kann sich auch nicht vermehren.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Impfungen angesichts der begrenzten Ressourcen für Kontaktpersonen von Erkrankten und für Personen mit einem erhöhten Expositionsrisiko – also unter anderem für Männer, die Sex mit Männern haben und dabei häufig den Partner wechseln. Nach Schätzungen des RKI haben etwa 130 000 Menschen in Deutschland eine Indikation für eine Impfung gegen Affenpocken. Für einen dauerhaften Infektionsschutz sind zwei Impfungen nötig, angesichts der knappen Ressourcen empfiehlt die Stiko jedoch, jetzt nur einmal zu impfen und die zweite Impfung nachzuholen, wenn mehr Impfstoff verfügbar ist. Eine Impfung ist auch nach einer möglichen Infektion bei Affenpocken sinnvoll, weil die Krankheit mit 5 bis 21 Tagen eine relativ lange Inkubationszeit hat.

Die begrenzten Impfressourcen werden scharf kritisiert: »Wir brauchen in Deutschland rund eine Million Impfdosen, um einer halben Million Menschen einen dauerhaften Impfschutz zu bieten«, forderte Axel Jeremias Schmidt, der Referent für Medizin und Gesundheitspolitik der Deutschen Aidshilfe. Es dürfe nicht dazu kommen, dass impfmotivierten schwulen Männern die Impfung verweigert werde. »Der Bund sollte so schnell wie möglich bestellen, denn kurzfristige Käufe werden in nächster Zeit kaum möglich sein. Es gilt vorzusorgen.«

In den USA hat sich die Zahl der Affenpockeninfektionen laut WHO auf 6307 erhöht, nun hat das Land den nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Dadurch können Bundesmittel zur Bekämpfung des Virus freigegeben werden. Gesundheitsminister Xavier Becerra sagte, dass rund 1,1 Millionen Impfdosen bereitgestellt würden, und appellierte an die Bürger, »Verantwortung zu übernehmen, um uns bei der Bekämpfung dieses Virus zu helfen«.

Wie eine angemessene Produktion und weltweit gerechte Verteilung des Impfstoffs garantiert werden kann, ist zurzeit völlig unklar. Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe forderte von der Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, »dass die Produktion massiv ausgebaut wird, sei es zum Beispiel, indem andere Firmen den Impfstoff in Lizenz produzieren, oder vielleicht sogar, indem Patente freigegeben werden«.

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