Werbefrei gegen die Energiekrise

Leuchtreklame trägt massiv zum Stromverbrauch Berlins bei

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 3 Min.

Überall in Berlin leuchten sie an Bus- und Bahnhaltestellen, an Hauswänden oder an langen Masten und sollen die Betrachter*innen zum Geldausgeben anregen: digitale Werbeflächen. Nicht nur ästhetisch sind sie umstritten. Sie verbrauchen ausserdem auch ziemlich viel Energie. „Wenn wir diese digitalen Anlagen abschalten, würden wir sicher einen kleinen Schritt dazu beitragen, der Energie- und Gaskrise entgegenzuwirken», sagt Fadi El-Ghazi von der Initiative Berlin Werbefrei zu „nd».

Allein eine zwei Quadratmeter große, beidseitig beleuchtete digitale Werbetafel der Firma Wall verbrauche bei durchgängigem Betrieb fast 16 000 Kilowattstunden Strom im Jahr, wie Berlin Werbefrei anhand der Ökobilanz des Unternehmens, die „nd» vorliegt, ermitteln konnte. Das entspricht dem Verbrauch von zehn Single-Haushalten. Bei den neun Quadratmeter großen Anlagen seien es jährlich sogar mehr als 47 000 Kilowattstunden, so viel, wie mindestens dreißig Ein-Personen-Haushalte im selben Zeitraum verbrauchen würden. Wenn die Umgebung bei Sonnenschein heller ist, steigt der Energiebedarf noch. Sämtliche Anlagen von Wall in Berlin dürften in etwa dem Strombedarf von 3900 Single-Haushalten entsprechen. 

Folgen für Artenvielfalt und Gesundheit

Nicht nur deswegen fordert Berlin Werbefrei eine deutliche Reduzierung der Werbeflächen im öffentlichen Raum. Leuchtreklame ist auch für einen Großteil der Lichtverschmutzung in den Städten verantwortlich. Besonders Insekten, aber auch verschiedene Vögel werden dadurch so nachhaltig gestört, dass eine Verminderung der Artenvielfalt die Folge ist. Beim Menschen kann das künstliche Licht zu Schlafstörungen und Stoffwechselerkrankungen führen. Der massive Einsatz überdimensionaler Werbetafeln erregt Aufmerksamkeit und verursacht Stress.

Dadurch beeinträchtigen sie auch die Verkehrssicherheit. „Eine leuchtende Werbung sorgt für 2,38 Sekunden Ablenkung. Das bedeuten etwa 30 Meter Blindfahrt», sagt Fadi El-Ghazi. Vor allem aber gehe es der Initiative um die Beeinträchtigung des Stadtbildes. „Durch die Monitore verändert sich die Wahrnehmung der Stadt. Wir wollen eine Stadt, die authentisch ist und in der einem nicht überall Displays entgegenstrahlen», so El-Ghazi. 

Das Problem sei, dass Berlin an Werbeverträge gebunden sei und Schadensersatz zahlen müsste, wenn die Reklamen genauso abgeschaltet würden wie die Beleuchtung von Sehenswürdigkeiten. Deshalb will Berlin Werbefrei eine Gesetzesänderung erreichen, die Werbung nur noch in Ausnahmefällen, zum Beispiel für Kultur- und Sportveranstaltungen, bis zu einer gewissen Größe und Höhe erlaubt. Im November 2020 wurde eine entsprechende Vorlage vom Senat jedoch als unzulässig zurückgewiesen. Im vergangenen Jahr reichte die Initiative einen überarbeiteten Entwurf ein, der von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport immer noch geprüft wird. 

Volksentscheid für 2024 geplant

Wenn die Prüfung durch ist, aber das Abgeordnetenhaus die Gesetzesvorlage ablehnt, plant Berlin Werbefrei für Ende 2023 ein Volksbegehren gegen die Reklame. Und – wenn dieses Erfolg haben sollte – ebenfalls zu den Europawahlen 2024 einen Volksentscheid. „Ein Verzicht auf digitale Werbeanlagen und Leuchtreklame spart enorm Energie und löst das Problem der Lichtverschmutzung gleich mit», betont Fadi El-Ghazi. Bis dahin muss die Hauptstadt aber wohl noch an anderer Stelle Energie sparen. 

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